Gewalt Geheimdienst befürchtet Blutvergiessen vor Machtübergabe in Israel

SDA

6.6.2021 - 12:40

Die Amtszeit des israelischen Premierministers Benjamin Netanjahu neigt sich dem Ende zu.
Die Amtszeit des israelischen Premierministers Benjamin Netanjahu neigt sich dem Ende zu.
Bild: Yonatan Sindel/Pool Flash 90/AP/dpa

Vor der Regierungsbildung der Gegner des Langzeit-Ministerpräsidenten Netanjahu erreicht die politische Spannung in Israel einen Siedepunkt. Der Inlandsgeheimdienst Schin Bet schlägt Alarm.

Keystone-SDA

Angesichts massiver Hetze vor der Vereidigung einer neuen Regierung in Israel hat der Chef des Inlandsgeheimdienstes in einer ungewöhnlichen Stellungnahme vor Blutvergiessen gewarnt. Zudem nährt ein für Donnerstag geplanter Flaggenmarsch nationalistischer Israelis in Jerusalems Altstadt, der auch durch das muslimische Viertel führt, die Sorge vor einer neuen Eskalation der Gewalt. Der palästinensische Vize-Gouverneur Jerusalems, Abduallah Siam, warnte vor einer «Explosion» in der Stadt.

Der scheidende Ministerpräsident Benjamin Netanjahu von der rechtskonservativen Likud-Partei hatte den designierten Regierungschef Naftali Bennett zuvor scharf angegriffen. Als «Betrug des Jahrhunderts» bezeichnete er die geplante Koalition von Bennetts ultrarechter Jamina-Partei mit sieben weiteren Parteien aus allen politischen Lagern. Anhänger Netanjahus üben massiven Druck aus, um die Vereidigung der Regierung zu verhindern. Demonstranten beschimpften Bennett auf Kundgebungen als «Verräter» und verbrannten das Porträt des 49-Jährigen.



Angesichts dieser Entwicklung erhält Bennett seit Donnerstag Schutz vom Inlandsgeheimdienst Schin Bet. «In letzter Zeit identifizieren wir eine Verstärkung und schlimme Radikalisierung aggressiver und hetzerischer Debatten, vor allem in sozialen Netzwerken», sagte Schin-Bet-Chef Nadav Argaman am Samstagabend. Dies könne als Legitimierung von Gewalt und Blutvergiessen ausgelegt werden.

Geplanter Flaggenmarsch provoziert weitere Spannungen

Die israelische Nachrichtenseite ynet schrieb, die gegenwärtige Hetze erinnere stark an jene vor dem Mord an dem Regierungschef Izchak Rabin durch einen rechtsextremen jüdischen Fanatiker im November 1995. Der bekannte Kommentator Barak Ravid von der Nachrichtenseite Walla verglich die Lage mit der Erstürmung des US-Kapitols durch Anhänger des abgewählten US-Präsidenten Donald Trump im Januar. «Es besteht eine echte Bedrohung der geordneten Machtübergabe in Israel», sagte er am Sonntag.

Für weitere Spannungen sorgte der geplante Flaggenmarsch am Donnerstag. Der letzte Marsch anlässlich des Jerusalem-Tags war am 10. Mai wegen Raketenangriffen der im Gazastreifen herrschenden Hamas auf die Stadt abgebrochen worden. Hamas nannte den Angriff eine «Botschaft» und Reaktion auf Israels Vorgehen auf dem Tempelberg und in dem Viertel Scheich Dscharrah. Die von EU und Israel als Terrororganisation eingestufte islamistische Gruppierung hatte im Fall neuer «Verstösse» Israels in Jerusalem mit neuen Angriffen gedroht.

Israel hatte den arabisch geprägten Ostteil Jerusalems 1967 erobert. Die Palästinenser sehen ihn als künftige Hauptstadt, Israel beansprucht dagegen ganz Jerusalem als Hauptstadt.

Verteidigungsminister Benny Gantz vom Mitte-Bündnis Blau-Weiss forderte eine Absage des Marsches aus Sicherheitsgründen. Einer der Veranstalter, Bezalel Smotrich von der religiös-zionistischen Partei, warf Gantz vor, er gebe Hamas-Drohungen nach. Der Abgeordnete Ram Ben Barak von der Zukunftspartei sagte, Ziel der Veranstaltung sei es Spannungen zu entfachen und so die Vereidigung der neuen Regierung zu vereiteln.

Neue Koalition nur mit hauchdünner Mehrheit

Der bisherige Oppositionsführer Jair Lapid hatte am Mittwoch verkündet, eine Koalition gebildet zu haben. Im Kabinett sollen Politiker vom rechten bis zum linken Spektrum und eine arabische Partei sitzen. Die Koalition hat nur eine hauchdünne Mehrheit von 61 der 120 Parlamentarier und fürchtet mögliche Abtrünnige.

Die Koalitionspartner fordern, eine für die Vereidigung notwendige Abstimmung im Parlament so schnell wie möglich durchzuführen. Damit wird am Mittwoch oder erst am darauffolgenden Montag gerechnet. Parlamentspräsident Jariv Levin von Netanjahus Likud wollte bei einer Knesset-Sitzung am Montag einen Termin festlegen.



Die jüngste Eskalation der Gewalt zwischen Israel und militanten Palästinenserorganisationen im Gazastreifen hatte Koalitionsverhandlungen des Anti-Netanjahu-Lagers zunächst unterbrochen. Während des elftägigen bewaffneten Konflikts im Mai starben in Israel 13 Menschen und im Gazastreifen 254 Menschen. Die Hamas hat nach Medienberichten mit neuen Protesten an der Grenze zu Israel gedroht, sollten Millionenzahlungen für Gaza aus Katar nicht bis Ende der Woche wieder aufgenommen werden.