Ende einer Ära Was die EU-Politik ohne Merkel für die Schweiz bedeutet

Barbara Stäbler, sda

12.9.2021 - 18:03

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel wird ihr Amt nach 16 Jahren abgeben.
Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel wird ihr Amt nach 16 Jahren abgeben.
Bild: Markus Schreiber/AP/dpa

Am 26. September geht mit den Bundestagswahlen in Deutschland auch die Ära der Kanzlerin Angela Merkel zu Ende. Der neue Kanzler oder die neue Kanzlerin wird auch die Beziehung der EU mit der Schweiz prägen. 

12.9.2021 - 18:03

Ohne Deutschland, dem wirtschaftlich stärksten und bevölkerungsreichsten Land in der EU, geht in Brüssel nichts. Die britische Zeitschrift Economist hatte die deutsche Kanzlerin Angela Merkel gar einmal als «Regina Angela» – «Königin Angela» – bezeichnet.

Als amtsälteste Regierungschefin – sie erlebte vier französische Präsidenten und acht italienische Regierungschefs – hatte sie die EU durch etliche Krisen wie die Finanz-, die Euro-, die Flüchtlings- sowie die Ukrainekrise, den Brexit und nun auch noch die Coronakrise geführt und damit Deutschland als Führungsmacht in der EU etabliert.



Trotzdem braucht Berlin Partner: Alleine kann es keine Mehrheiten beschaffen. So konnte sich Merkel 2019 bei der Besetzung der neuen EU-Kommission mit Manfred Weber (CDU) als Präsidenten nicht durchsetzten. Die Kompromiss-Kandidatin hiess Ursula von der Leyen.

Kein Schweiz-Freund

Das Beispiel zeigt, dass auch ein neuer Kanzler oder die neue Kanzlerin die Beziehung Schweiz-EU nicht einfach umkrempeln kann. Bei einem Kanzler Armin Laschet (CDU) dürfte die Schweiz ausserdem kaum Verständnis für ihre EU-Politik erwarten.

Nach der Annahme der Masseneinwanderungs-Initiative 2014 sagte Laschet in der Zeitung «Rheinische Post», dass wenn die Schweiz die Freizügigkeit nicht mehr wolle, «sie in Zukunft auch keinen erleichterten Zugang zur EU haben» könne.

Zudem soll sich Gerüchten zufolge Martin Selmayr, Kabinettschef von EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker und Architekt der harten Linie der EU gegenüber Bern beim institutionellen Rahmenabkommen, für ein Amt in Stellung gebracht hat, falls Laschet Kanzler wird – etwa als EU-Berater.

Von Olaf Scholz (SPD) und Annalena Baerbock (Grüne) sind keine politisch wichtigen Äusserungen zur Schweiz zu finden, wie eine Archiv-Recherche zeigt. Doch wie Laschet sind sie beide bekennende Pro-Europäer.

Hinzu kommt, dass keiner der drei Kanzler-Kandidaten ein besonderes Verhältnis zur Schweiz zu pflegen scheint. Doch selbst wenn, ist das keine Garantie für Wohlwollen. Trotz regelmässigem Winterurlaub in Pontresina GR zeigte Merkel keine besondere Affinität zur Schweiz.

Simonetta Sommaruga (links) und Angela Merkel trafen unter anderem bei einem Besuch der deutschen Kanzlerin im September 2015 aufeinander.
Simonetta Sommaruga (links) und Angela Merkel trafen unter anderem bei einem Besuch der deutschen Kanzlerin im September 2015 aufeinander.
Bild: Keystone / Lukas Lehmann

Power-Duo Berlin-Paris

Während Deutschland alleine also kaum in der Lage ist, auf EU-Ebene tragfähige Lösungen zustande zu bringen, ist es das Duo Berlin-Paris sehr wohl – zuletzt beim im Zuge der Corona-Pandemie lancierte 750-Milliarden-Euro schweren Wiederaufbaufonds. Solche politischen Projekte sind möglich dank einer mittlerweile institutionalisierten Beziehung zwischen Berlin und Paris.

Es lohnt sich also, beim Verhältnis Schweiz-EU auch einen Blick auf Paris zu werfen. Im Januar 2018 machte Staatspräsident Emanuel Macron im Westschweizer Fernsehen RTS seine Position deutlich. Wolle die Schweiz am EU-Binnenmarkt teilnehmen, müsse sie drei Bedingungen erfüllen: einen finanziellen Beitrag leisten, die vier Freiheiten – freier Verkehr von Waren, Personen, Kapital und Dienstleistungen – als Einheit und den EU-Gerichtshof akzeptieren.

Bereits im April nächsten Jahres finden jedoch in Frankreich nationale Wahlen statt. Ob Macron diese gewinnen wird, ist zurzeit alles andere als sicher.

Trotz der Macht, die das deutsch-französische Duo besitzt, muss es auf die Befindlichkeiten der anderen EU-Staaten Rücksicht nehmen. Eine zu starke Dominanz würde längerfristig nicht akzeptiert.

Brüssel gibt sich zugeknöpft

Gleichgültig, wer nun neue Kanzlerin oder neuer Kanzler wird: Eine Kursänderung in der Beziehung Schweiz-EU ist von dieser Seite nicht zu erwarten. Das Gleiche dürfte für Frankreich gelten.

Ausserdem: Selbst, wenn der neue Kanzler der Schweiz wohlgesinnt sein sollte, muss die Schweiz ihre Beziehung mit der EU und nicht mit Berlin oder Paris regeln. Und in Brüssel hat die EU-Kommission ein gewichtiges Wort mitzureden, auch wenn am Ende die Mitgliedstaaten über die Schweiz-Strategie der EU befinden.



Doch die EU-Behörde gibt sich aktuell betont zugeknöpft. Zu den Gerüchten, Maros Sefcovic, Vizepräsident der EU-Kommission, würde das Schweiz-Dossier übernehmen, wollt sie sich nicht äussern. Zudem machte sie klar, dass man im Moment wichtigeres zu tun hat, als sich um eine neue Strategie zu kümmern.

Die Schweiz dürfte sich also auf eine längere Zeit der Ungewissheit und wohl auch Stillstand einstellen müssen. Denn im Oktober 2023 sind National- und Ständeratswahlen. Gut möglich, dass sich bis dahin Seitens der Schweiz auch nicht viel tut.

Barbara Stäbler, sda