Raute, Blazer, Engadin Das wird von Angela Merkel bleiben

SDA

8.12.2021 - 18:18

16 Jahre Angela Merkel: Rückblick auf eine Ära

16 Jahre Angela Merkel: Rückblick auf eine Ära

16 Jahre lang hat Angela Merkel als Bundeskanzlerin die Geschicke Deutschlands gelenkt. Ihre lange Amtszeit war mit vielen Krisen gespickt, die die scheidende Regierungschefin mit ihrem Stil aus Ruhe, Sachlichkeit und Zurückhaltung durchstand.

02.12.2021

Nach 16 Jahren als deutsche Bundeskanzlerin sagt Angela Merkel der Politik Lebewohl. Es ist das Ende einer Ära, doch an vieles dürfte man sich noch lange erinnern.

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Wer in Deutschland nach der Jahrtausendwende geboren wurde, der kennt keinen anderen Regierungschef als Angela Merkel. «Kann auch ein Mann Bundeskanzlerin werden?», ist so eine Frage, die deutsche Kinder ihren Eltern schon gestellt haben sollen. Die promovierte Physikerin regierte seit November 2005 Europas grösste Volkswirtschaft, hat ihr Land und auch den Kontinent geprägt.

Am Mittwoch ist ihre Ära zu Ende gegangen, Olaf Scholz wurde zum neuen Bundeskanzler gewählt. «Die 16 Jahre als Bundeskanzlerin waren ereignisreiche und oft sehr herausfordernde Jahre. Sie haben mich politisch und menschlich gefordert. Und zugleich haben sie mich immer auch erfüllt», resümierte Merkel vor Kurzem beim Grossen Zapfenstreich der Bundeswehr zu ihrem Abschied.



Nun ist für die mächtigste Frau Europas Schluss im Bundeskanzlerinnenamt, sie zieht sich mit 67 Jahren aus der Politik zurück. Der «Süddeutschen Zeitung» sagte sie im Oktober auf die Frage, ob sie ruhig schlafen könne bei der Vorstellung, dass mit Scholz künftig wieder ein Sozialdemokrat das Land regiere: «Es wird politische Unterschiede geben, das ist ja ganz selbstverständlich. Aber ich kann ruhig schlafen

Sie geht aus freien Stücken

Merkel hat vier Bundestagswahlen gewonnen, ihre Regierungszeit war nur wenige Tage kürzer als die ihres politischen Ziehvaters Helmut Kohl (1982–1998). Sie führte ihr Land durch die Finanz- und die Eurokrise und musste in der Flüchtlingskrise 2015 viel Kritik einstecken. Im Herbst 2018 kündigte die langjährige CDU-Chefin an, 2021 nicht mehr anzutreten.

Sie hielt Wort und ist damit die erste Regierungschefin in der Geschichte der Bundesrepublik, die das Kanzleramt aus freien Stücken verlässt. Ihre Vorgänger hatten Bundestagswahlen verloren, waren über ein Misstrauensvotum gestürzt oder wurden von den eigenen Parteifreunden aufs Altenteil geschoben.



So weit wollte es Angela Merkel nie kommen lassen. Schon Ende der 1990er-Jahre sagte sie der Fotografin Herlinde Koelbl, sie wolle «kein halbtotes Wrack sein», wenn sie einmal aus der Politik aussteige.

Wie Angela Merkel ohne Politik lebt, darüber muss sich niemand Sorgen machen. Der «Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung» sagte sie kürzlich: «Jetzt schaue ich, dass ein paar Sachen folgen, die als Bundeskanzlerin etwas zu kurz kamen, vielleicht etwas reisen oder lesen oder einfach mal Musse haben in dem Wissen, dass nicht in den nächsten zwanzig Minuten schon wieder etwas Umwälzendes passieren kann. Darauf freue ich mich.»

Stoische Ruhe – auch bei schwierigen Partnern

Ihre Überzeugung, dass es selbst mit den schwierigsten internationalen Staats- und Regierungschefs besser ist, im Gespräch zu bleiben, als die Kontakte abreissen zu lassen, könnte auch für ihren Nachfolger Scholz Vorbild sein. Das galt bei Merkel für den Umgang mit dem mächtigen Russen Wladimir Putin genauso wie für den Chinesen Xi Jinping, den Türken Recep Tayyip Erdogan oder den damaligen US-Präsidenten Donald Trump.



Ex-Bundestagspräsident Norbert Lammert bescheinigte der Ex-Kanzlerin zum Jahrestag ihrer ersten Vereidigung vor 16 Jahren am 22. November 2005: «Angela Merkel hat viele Stärken. Besonders herausragend ist dabei ihre beinahe schon übermenschliche Geduld im Ertragen auch der abwegigsten Positionen nationaler und internationaler Partner. Ihre stoische Ruhe ermöglichte es ihr, auch in besonders brenzligen Momenten den Gesprächsfaden weiterzuspinnen und nicht abreissen zu lassen.»

Zum Ende ihrer Amtszeit wollte Merkel «dazu ermutigen, auch zukünftig die Welt immer auch mit den Augen des Anderen zu sehen, also auch die manchmal unbequemen und gegensätzlichen Perspektiven des Gegenübers wahrzunehmen, sich für den Ausgleich der Interessen einzusetzen». Zugleich ist sie «überzeugt, dass wir die Zukunft auch weiterhin dann gut gestalten können, wenn wir uns nicht mit Missmut, mit Missgunst, mit Pessimismus, sondern (...) mit Fröhlichkeit im Herzen an die Arbeit machen.» So habe sie selbst es immer gehalten.

Angela Merkel wird ein subtiler Humor nachgesagt – von denen, die ihr auch ausserhalb der Politik nahekamen.
Angela Merkel wird ein subtiler Humor nachgesagt – von denen, die ihr auch ausserhalb der Politik nahekamen.
Bild: Wolfgang Kumm/dpa

Raute, Blazer – und Langlaufen im Engadin

Weltberühmt und untrennbar mit Merkel verbunden sind ihre bei öffentlichen Auftritten oft zur Raute geformten Hände. Schon 2013 hatte sie in einem Gespräch mit der Zeitschrift «Brigitte» verraten, wie diese Haltung zustande gekommen ist: «Es war immer die Frage, wohin mit den Armen (...). Es zeigt vielleicht eine gewisse Liebe zu Symmetrie», sagte die Physikerin damals. 

Mit ihren Blazern prägte Merkel einen eigenen Stil: Sie besitzt eine Vielzahl dieser Kleidungsstücke, aber in unterschiedlichen Farben – Rosa, Türkis oder Violett. Das Unprätentiöse wurde zum Markenzeichen. Immer galt die Kanzlerin als weitgehend uneitel und vor allem als unbestechlich. Als grösster Luxus erschien das Wochenendhaus bei Templin im Osten Berlins, wo sich Merkel gern beim Gärtnern von den Anstrengungen der Regierung erholte.

Privat wissen die Deutschen von ihrer langjährigen Kanzlerin sonst nur wenig. Was auf jeden Fall bekannt ist: Ihre Winterferien verbringt Angela Merkel gern im Kanton Graubünden, wo sie auf den Loipen im Oberengadin langläuft – vielleicht demnächst ja etwas häufiger.