Wende im Atompoker Wende im Atompoker: Aber seine Kernwaffen will Kim nicht aufgeben

dpa/Andreas Landwehr, Martin Bialecki und Dirk Godder

21.4.2018

Damit hat wohl kaum jemand gerechnet: Nordkoreas Machthaber will seine Atom- und Raketentests auf Eis legen. Die Ankündigung ist eine gute Grundlage für mögliche Fortschritte bei den nahenden Gipfeln. Die atomare Bedrohung bleibt aber Kims wichtigstes Faustpfand.

Jetzt müssen wir nicht mehr testen, weil wir längst eine Atomstreitmacht aufgebaut haben. So liesse sich die Botschaft von Kim Jong Un zusammenfassen. Nordkoreas Machthaber will sich nunmehr auf den wirtschaftlichen Aufbau seines armen, unter strengen Sanktionen leidenden Landes konzentrieren. Die überraschende Abkehr von seinen jahrelangen Provokationen mit Atomwaffen- und Raketenversuchen weckt Hoffnungen auf eine atomare Abrüstung, aber aufgeben will Kim seine Atomwaffen und Raketen keineswegs. Er verkündet vielmehr den «grossen Sieg», Nordkorea in kurzer Zeit zur Atommacht entwickelt zu haben.

Trotzdem ist seine Ankündigung, die Versuche mit Atomwaffen und Raketen auf Eis zu legen, ein wichtiger, erster Schritt. Er ebnet den Weg für die historischen Gipfeltreffen des Machthabers mit dem südkoreanischen Präsidenten Moon Jae In und US-Präsident Donald Trump. Es ist sogar mehr, als sich diese erhoffen konnten. Moon und Trump sprachen auch umgehend von einer guten Grundlage für ihre Begegnungen mit dem jungen nordkoreanischen Führer, der zum Auftakt am Freitag im Grenzort Panmunjon erstmals mit Südkoreas Präsident Moon zusammentreffen wird.

Keine Beseitigung der Atomwaffen

Kims jüngstes Friedenssignal überraschte, wie es zugleich auch viele Fragen offenliess. «Von einer Beseitigung der Atomwaffen, die das Land bereits besitzt, ist nicht die Rede», sagt der südkoreanische Experte Lee Sang Hyun vom privaten Sejong-Institut. «Dennoch ist das ein positives Zeichen.» Die Frage, ob Nordkorea zu einer kompletten Denuklearisierung bereit sei, sei äusserst komplex. Kim dürfte bei seinen Treffen mit Moon und Trump eine «umfassende Sicherheitsgarantie» fordern. Doch kein Land sei imstande, eine solche Garantie auszustellen, sagt Lee.

Trump wird Kims Ankündigung in den ihm eigenen Kategorien als geradezu monumentale Bestätigung seines eigenen Kurses sehen. Die Kampagne des «maximalen Drucks», all seine Beschimpfungen des Gegenübers in Pjöngjang und die zur Schau getragene Härte - sollte sich das tatsächlich auszahlen? Die Nachricht aus Nordkorea war kaum in der Welt, da reagierte der US-Präsident schon auf Twitter: Ein großer Fortschritt sei das, für Nordkorea und für die Welt, er freue sich auf den Gipfel mit Kim.

«Der» Gipfel ist es nun wieder, ganz selbstverständlich formuliert Trump ihn wieder als gegeben. Ende Mai, Anfang Juni steht im Raum. Vor kurzem erst, in Florida neben Japans Regierungschef Shinzo Abe stehend, markierte Trump tänzelnde Rückzugsbewegungen oder so etwas wie Bedingungen: Wenn ein Gipfel kein Erfolg werde, dann werde er ihn entweder gar nicht antreten oder mittenmang wieder verlassen.

Will Kim Jong Un den US-Präsidenten nur hinhalten?

Nun spielt Kim dem Amerikaner anscheinend in die Karten. Wirklich ins Blatt schauen lässt sich keiner. Ob Trump, der selbst ernannte grosse «Dealmaker», wirklich der bessere Spieler ist? Der Präsident hat nach wie vor keine wirkliche Erfahrung in der internationalen Politik. Er handelt oft nach den Usancen, die er aus der Bauwirtschaft kennt: Spielen, Härte, Geld, dazu die harten Seiten des Mannseins. Ob er sich im Nuklearpoker damit gegen sein gewieftes Gegenüber durchsetzt oder am Ende abgezockt wird, wird man sehen.

Denn Kim behält in dem Spiel auf jeden Fall geschickt die Initiative. Der Machthaber stellt seine Kehrtwende als logische Fortsetzung seiner Politik dar, den Aufbau der Wirtschaft und der Atomwaffen gleichzeitig zu entwickeln. Wie weit seine nukleare Streitmacht wirklich gediehen ist, bleibt offen. Sein Selbstbewusstsein, Atom- und Raketentests nicht mehr für nötig zu erachten, impliziert, dass er einsatzfähige, schlagkräftige Atomraketen besitzt. Die Bedrohung der USA und ihrer Verbündeten bleibt damit glaubwürdig, dient unverändert als sein Faustpfand in möglichen Verhandlungen.

Ein Scheitern der Gespräche birgt grosse Gefahren

Nach seiner überraschenden Annäherung gegenüber Südkorea seit Jahresanfang, Nordkoreas Teilnahme an den Olympischen Winterspielen im südkoreanischen Pyeongchang und dem Besuch beim grossen Nachbarn China ist es ein weiterer Coup des Machthabers. Mit der Ankündigung, das Atomtestgelände Punggye-ri abzubauen, um «transparent» die Aussetzung der Nuklearversuche zu garantieren, scheint Kim geradezu internationale Inspekteure einzuladen, um sich davon zu überzeugen. All diese kleinen Schritte müssen jetzt verhandelt werden.

Im Gegenzug dürfte Kim wirtschaftliche Unterstützung und eine Lockerung der Sanktionen fordern. «Der entscheidende Punkt ist, dass sie die Atomwaffen aufgeben müssen, wenn sie die Wirtschaft entwickeln wollen», sagte Professor Jin Qiangyi von der Yanbian Universität in der Grenzprovinz Jilin. «Wenn nicht, wird die Wirtschaft ohne Zweifel zusammenbrechen.» Das Einfrieren der Atom- und Raketentests sei nur ein Abrüstungsschritt, der die Forderung nach einer Beseitigung der Atomwaffen aber nicht erfülle.

Der Experte sah vor den Gipfeltreffen aber ein klares Signal, auf eine Denuklearisierung hinarbeiten zu wollen. «Trumps Druck war wirksam, sonst hätte Nordkorea keinen Grund, diesen Schritt zu unternehmen», sagte Jin Qiangyi. «Darüber hinaus hat die Verschärfung der Sanktionen durch China eine wichtige Rolle gespielt, weil sie lebenswichtige Teile der Wirtschaft getroffen haben.»

Kim sei wirklich daran interessiert, die Wirtschaft zu verbessern. «Wenn sich die Lebensumstände der Menschen verbessern, erhöht sich die Möglichkeit für eine Beseitigung der Atomwaffen», sagte der Professor. «Wenn Kims Herrschaft unangefochten ist, wie jetzt ziemlich klar zu sehen ist, wird es möglich, die Atomwaffen aufzugeben.» Der Korea-Experte sagt aber auch: Wenn die Gespräche mit den USA scheiterten, die Sanktionen und der militärische Druck verschärft würden, könnte Kim die Tests auch wieder aufnehmen.

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