Taiwan-FrageWie das kleine Litauen dem chinesischen Riesen trotzt
Von Philipp Dahm
8.1.2022
Mit dem wirtschaftlich potenten China legt sich niemand gerne an. Doch ausgerechnet Litauen mit seinen 2,8 Millionen Einwohnern lässt sich von Peking nichts vorschreiben, wenn es um das Reizthema Taiwan geht.
Von Philipp Dahm
08.01.2022, 17:54
10.01.2022, 08:04
Philipp Dahm
Nicht viele Staaten erkennen Taiwan an. Nur 14 Länder unterhalten diplomatische Beziehungen zur Insel-Republik – Paraguay ist noch das grösste. Und gerade erst hat Taipeh wieder einen Unterstützer verloren.
Anfang Dezember musste Taiwan seine Botschaft in Nicaragua schliessen, zum Jahreswechsel hat dafür China eine ständige Vertretung in dem mittelamerikanischen Land eröffnet. Klar ist: Pekings Arm ist lang, und er hat einen dicken Bizeps.
Litauen ist gerade mal halb so gross wie Nicaragua. Doch Litauen geht trotzdem den umgekehrten Weg: Seitdem sich Vilnius 2020 für eine Mitgliedschaft Taiwans in der Weltgesundheitsorganisation WHO ausgesprochen hat, werden die bilateralen Beziehungen immer besser.
Allen Warnungen Chinas zum Trotz wurde im Juni 2020 Taiwans Geschäftsträger für die Baltischen Staaten ins nationale Parlament geladen, und 200 Politiker*innen forderten Litauens Präsidenten in einer Petition dazu auf, die Republik China anzuerkennen.
Im Oktober 2020 zogen nach den Wahlen weitere Taiwan-freundliche Parteien ins Parlament. Ein bilaterales Forum wurde 2021 gegründet und im Juni ein taiwanesisches Verbindungsbüro in Vilnius eröffnet, das im November bezogen werden konnte.
Die Chuzpe, China Kontra zu geben
China reagierte verärgert: Die diplomatischen Beziehungen verschlechterten sich ebenso wie das zwischenstaatliche Handelsvolumen. Im Dezember 2021 wurden Importe aus Litauen gänzlich gestoppt. Politiker, die die Lage der Menschenrechte in China kritisiert hatten, wurde zu personae non grata erklärt.
Hello world! Sveiki and 歡迎! Welcome to the official Twitter account of The Taiwanese Representative Office in Lithuania! Follow us for updates on #Taiwan and its relations with #Lithuania! 🇱🇹❤️🇹🇼 pic.twitter.com/ViNze9la51
— The Taiwanese Representative Office in Lithuania (@TW_in_LT) November 18, 2021
Litauen jedoch denkt gar nicht daran, sich von Peking einschüchtern zu lassen. «Das europäische Land, das es gewagt hat, China entgegenzutreten anstatt rumzueiern», staunt die britische BBC. Der Widerstand wird dem Ostsee-Anrainer allerdings auch versüsst – von taiwanesischer Seite.
Schon im Juni, als öffentlich wurde, dass Taiwan eine Art Botschaft eröffnen darf, war es die Bevölkerung, die es den Osteuropäer*innen dankte. Nachdem Vilnius der Insel auch noch 20'000 Dosen Corona-Impfstoff geschenkt hatte, stieg die Nachfrage nach litauischer Schokolade und Bier sprunghaft an, und taiwanesische Firmen schickten Geschenke nach Litauen.
Taiwan will 200 Millionen Dollar investieren
«Es ist sehr nett, dass sie derart freundlich auf uns reagiert haben. Das kam schon unerwartet für uns», erklärte damals Marius Horbacauskas, Chef der Brauerei Volfas Engelman. «Wir haben noch nicht vor allzu langer Zeit begonnen, nach Taiwan zu exportieren. Es läuft bisher ziemlich gut, trotz der Tatsache, dass es ein weit entferntes Land ist.» Rolandas Pridotkas vom Chocolatier Ruta lobt die «unterschiedliche Mentalität und die Werte der Menschen in Asien».
Auch als Peking litauische Importe stoppt, springt Taipeh ein: Gerade erst hat Taiwan 20'000 Liter Rum aufgekauft, die die beleidigten Chinesen nicht mehr wollten. Die Produkte, die Ende Januar in Asien eintreffen wollen, werden explizit beworben.
Nachdem Vilnius den 20'000 Impfdosen noch einmal knapp 240'000 Dosen folgen liess, ist nun erneut Taipeh an der Reihe: Um die Ausfälle aus China zu kompensieren, will Taiwan satte 200 Millionen Dollar in dem baltischen Land investieren, wie Eric Huang vom Verbindungsbüro in Litauen verkündet.
Litauens Präsident und der «Fehler»
Das tönt ein wenig nach Happy Ende, aber ganz so einfach ist es dann doch nicht. Litauens Präsident hat gerade eingeräumt, sein Land habe daneben gelegen. «Ich denke, es war nicht die Öffnung eines Taiwan-Büros, die ein Fehler war», bekundet Gitanas Nauseda. «Es war sein Name, der mit mir nicht abgesprochen war.»
Jetzt müsse man mit den Konsequenzen leben, so der Präsident weiter. Ein Riss in der Story vom wehrhaften kleinen Land in Europa? Vielleicht ist Nausedas Kotau bloss Kalkül: Andere litauische Politiker kontern, es sei alles abgesprochen gewesen. Auch das Aussenministerium steht zu seinem Taiwan-Kurs.
Experte Marcin Jerzewski sagt dazu der BBC: «Die Kosten für hohen moralischen Anspruch ist für Litauen geringer als für andere Staaten. Das ist von Bedeutung.» Die freundlichen Reaktionen von Taiwan seien hilfreich, impliziert er: «Aber von Bedeutung ist auch das vernünftige Versprechen, für den verlorenen Handel aufzukommen.»