Selenskyjs erste GegenoffensiveSo gelang es der Ukraine, Charkiw zu befreien
mar
3.4.2023
Im September 2022 ist es der ukrainischen Armee gelungen, Charkiw und Umgebung von den russischen Besatzern zu befreien. Ein Film zeichnet nun nach, wie die zweitgrösste Stadt befreit werden konnte.
03.04.2023, 16:01
mar
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Ein ausführliches ukrainische Video erklärt, wie Kiews Kräfte den Oblast Charkiw befreien konnten.
Die Armee musste von kleineren Einheiten auf grosse, schlagkräftige Verbände umstellen.
Die Vortäuschung eines Angriffs auf Cherson führte zum Abzug russischer Truppen.
Ein britischer Soldat lobt das Zusammenwirken von Artillerie und Infanterie.
Selbst Kiew war vom Erfolg der ersten ukrainischen Gegenoffensive überrascht.
Fast 7 Monate sind seit der Befreiung der Region Charkiw von der russischen Armee vergangen. Wie ist es den ukrainischen Truppen gelungen, die Stadt zu befreien? Warum haben die Russen das Gebiet so schnell verlassen?
All dies wird in einem der Teile des Dokumentarfilms aus dem Projekt «Militärischer Geheimdienst der Ukraine: Zur See, zur Luft, zu Lande» gezeigt. Charkiw ist die flächen- und bevölkerungsmässig zweitgrösste Stadt des Landes. Charkiw liegt 30 Kilometer von der Grenze zu Russland entfernt, was die Grundlage für die Besatzer war, schnell vorzustossen.
Lange Zeit war hier eines der umkämpftesten Schlachtfelder der Ukraine. In der Region wurde die bisher erfolgreichste ukrainische Gegenoffensive durchgeführt: Mehr als 8500 Quadratkilometer Land wurden zurückerobert.
Aufbau einer grösseren Truppe
Am dritten Tag der russischen Invasion am Morgen des 27. Februar rückten russische Kolonnen in das Stadtzentrum vor, wobei sich einige von ihnen in Wohngebieten verirrten. Neben der 92. mechanisierten Brigade, der Nationalgarde und den neu gebildeten territorialen Verteidigungskräften schlossen sich ukrainische Freiwillige dem Kampf an.
Es gelang ihnen, viele gepanzerte Fahrzeuge und Mannschaften des Feindes zu zerstören und erste Gefangene zu machen. Den Angreifern gelang es in der Folge nicht, die zweitgrösste ukrainische Stadt einzunehmen, aber sie besetzten immerhin einen Drittel des Territoriums des gleichnamigen Oblast.
Kyrylo Budanow, Chef des Verteidigungsnachrichtendienstes der Ukraine, sagt im Clip ab Minute 8:35: «Wir haben unser ganzes Leben lang mit kleinen Einheiten gearbeitet. Vor dem Krieg, als wir erkannten, dass er absolut unvermeidlich war, begannen wir, stärkere Einheiten zu bilden, da uns klar war, dass jetzt ihre Zeit gekommen war. Wie Sie sehen, haben wir uns dabei nicht geirrt.»
Angriff auf Cherson vorgetäuscht
Im Spätsommer plante die ukrainische Armee unter der Führung von Generaloberst Oleksandr Syrsky, dem Befehlshaber der ukrainischen Armee, eine grosse Gegenoffensive in der Region Charkiw. Zu diesem Zweck wurde dem Feind vorgegaukelt, die ukrainische Armee baue ihre Kräfte auf und bereite sich auf einen Angriff im Süden in der Region Cherson vor. Dorthin verlegten die Russen zusätzliche Reserven.
Balaklija, nicht weit von der internationalen Fernstrasse Charkiw-Rostow entfernt, wurde zur grössten Stadt auf der Route des Hauptangriffs. Am 6. September startete die Krakin-Einheit ihren Angriff, stürmte die Stadt aber nicht direkt, sondern umzingelte sie und begann, die kleinen Dörfer rund um die Stadt nach und nach zu besetzen.
Die Besatzer wurden von der ukrainischen Seite mit raketengetriebener Artillerie und Mörsern unter Feuer genommen. Die russische Armee war nicht in der Lage, Widerstand zu leisten: Die Besatzer flohen. Die, die es nicht schafften, wurden gefangengenommen. Nach der Befreiung von Balakliya brach die Front der russischen Armee im Sektor Charkiw ein.
«Aus verschiedenen Leuten schlagkräftige Einheit» geformt
Ab Minute 36:21 ist der Chef des Verteidigungsnachrichtendienstes der Ukraine zu hören: «Es hat lange gedauert, bis aus völlig verschiedenen Leuten eine schlagkräftige Einheit entstanden ist. Die Grundlage war wichtig: Loyalität gegenüber dem ukrainischen Volk, der Wunsch, den Feind zu vernichten, und bedingungslose Unterordnung unter ihre Befehlshaber. Sie haben eine Aufgabe erhalten, und sie erfüllen sie, egal wie schwierig oder beängstigend sie ist – ob sie den Willen dazu haben oder nicht. Wir sind stolz auf sie.»
Freiwillige der Fremdenlegion haben auch an der Gegenoffensive im Gebiet Charkiw teilgenommen. Sie kamen hinzu, nachdem die Städte befreit waren. Ein britischer Staatsbürger, ein Berufssoldat mit dem Rufzeichen «Sarmat», erinnert sich daran: «Ich war wirklich sehr überrascht. Zu diesem Zeitpunkt waren wir bereits seit sechs, sieben Monaten an der Front und hatten viele militärische Operationen mit klassischen Taktiken gesehen.»
Er berichtet weiter: «Und dann begann diese gemeinsame Operation unserer verschiedenen Teilstreitkräfte, die ich zum ersten Mal in der Ukraine gesehen hatte. Es gab eine schlagkräftige Truppe von Artillerie- und Infanterie-Kräften, die effektiv zusammenarbeiteten. Deshalb denke ich, dass [die Operation] so erfolgreich war. Die Russen waren mit solchen Aktionen noch nicht konfrontiert und konnten die Front nicht halten.»
«Ehre denen, die hier sind»
«Sarmats» Fazit: «Ich war persönlich beeindruckt von der Art und Weise, wie diese Gegenoffensive strukturiert war, während ich selbst an einer dieser gross angelegten Operationen teilnahm.» Während die russische Armee zuvor mehr als ein Drittel des gesamten Gebiets des Oblasts Charkiw besetzt und kontrolliert hatte, waren es danach nur noch sechs Prozent.
Die ukrainischen Truppen erreichten die Grenze zum Oblast Luhansk. Oleksandr Syrskyi sagt, dies sei unerwartet gewesen: «Das Ergebnis war viel besser, als wir erwartet hatten, weil wir mehr Gebiet entlang der Grenze hinzugewonnen haben. Wir hatten etwas weniger geplant, 2000 Quadratkilometer weniger. Das ist ein wichtiger Impuls für unsere weiteren Offensivaktionen.»
Bereits am 14. September traf Generaloberst Syrskyi mit Präsident Selenskyj im Bezirkszentrum von Isjum im Gebiet Charkiw zusammen, das seit Anfang April 2022 besetzt war. Die Stadt wurde zu einer der grössten befreiten Siedlungen im Gebiet Charkiw. «Ehre denen, die hier sind, und denen, die für immer in unserem Gedächtnis und unserer Geschichte bleiben werden»: Dies waren die lobenden Worte des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj an seine Militärs.