Reise des US-PräsidentenSo gelangte Joe Biden unbemerkt nach Kiew
Von Evan Vucci, John Leicester und Zeke Miller, AP
21.2.2023 - 06:16
Biden überraschend in Kiew – «Wichtiges Zeichen der Unterstützung»
In einer Rede lobte Biden den Mut der Ukraine beim Widerstand gegen den russischen Angriff.
20.02.2023
Sorgfältig wurde der Abstecher von Joe Biden über Monate hinweg geplant, am Montag war es dann so weit: Überraschend tauchte der US-Präsident in Kiew auf. Die Details des logistischen Kraftakts werden nun bekannt.
DPA, Von Evan Vucci, John Leicester und Zeke Miller, AP
21.02.2023, 06:16
21.02.2023, 09:20
dpa
In aller Herrgottsfrühe, gegen 03:30 Uhr, schlich sich die Wagenkolonne mit Joe Biden vom Weissen Haus davon. Dann entschwand er nicht etwa an Bord der protzig umgebauten Präsidentenmaschine Air Force One in die Dunkelheit, sondern mit einer unscheinbareren Boeing 757, die eigentlich für Trips zu kleineren Flughäfen im Inland genutzt wird. 20 Stunden später tauchte er zu aller Überraschung im Herzen von Kiew auf.
Bidens Abstecher in die Hauptstadt der Ukraine war der erste Besuch eines amerikanischen Präsidenten in einem Konfliktgebiet ausserhalb des Einflussbereichs des US-Militärs in der jüngeren Geschichte. Auch wenn Moskau vorab ins Bild gesetzt wurde, barg die Reise so manche Risiken, wie das Weisse Haus einräumte.
Dennoch brannte Biden seit dem vergangenen Jahr darauf, sich in die Riege anderer westlicher Staats- und Regierungschefs einzureihen, die an der Seite des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selensky in Kiew ihre Solidarität mit dem von Russland angegriffenen Land bekundet haben. Eine bereits geplante Warschau-Visite – und der am dritten Montag im Februar begangene US-Gedenktag President's Day – boten eine günstige Gelegenheit für einen heiklen Zwischenstopp, den eine kleine Gruppe ranghoher Mitarbeiter im Weissen Haus und Sicherheitsbehörden heimlich laut dem nationalen Sicherheitsberater Jake Sullivan schon seit Monaten vorbereitet hatten. Erst am vergangenen Freitag habe Biden endgültig grünes Licht für die Reise gegeben.
Man habe aus einem «inhärent riskanten Unterfangen ein handhabbares Unterfangen» machen müssen, was «sicherheitstechnische, operative und logistische Anstrengungen von Profis aus der Breite der Regierung erfordert» habe, erklärte Sullivan.
Als Biden am frühen Sonntagmorgen an Bord der Maschine der Luftwaffe geschleust wurde, galt für die Boeing das Rufzeichen «SAM060», das für Special Air Mission steht, nicht das übliche «Air Force One». Geparkt war das Flugzeug im Dunklen bei heruntergelassenen Fensterblenden, um 04:15 Uhr (Ortszeit) hob es schliesslich vom Luftwaffenstützpunkt Andrews nahe Washington ab.
Für einen Tankstopp auf dem US-Luftwaffenstützpunkt in Ramstein in Rheinland-Pfalz legte die Maschine eine Zwischenlandung ein, während der der Präsident an Bord blieb. Während des fast einstündigen Weiterflugs nach Polen wurde der Transponder ausgeschaltet, über den zur Flugsicherung Daten an das Bodenpersonal übermittelt werden.
Zentrale Gegenden ohne Erklärung abgeriegelt
Dann landete die Maschine auf dem Flughafen von Rzeszów unweit der polnisch-ukrainischen Grenze, über den schon andere Politprominenz und westliche Waffen im Milliardenwert in die Ukraine gelangt sind. Dort bestiegen Biden und seine Entourage einen Zug mit Destination Kiew, dieser Teil der Reise dauerte etwa zehn Stunden.
Am Montag gegen 8 Uhr (Ortszeit) erreichte der Präsident sein Ziel, wo ihn zunächst US-Botschafterin Bridget Brink begrüsste. Mit der Wagenkolonne ging es für ein Treffen mit Gastgeber Selenskyj zum Marienpalast weiter, der offiziellen Residenz des ukrainischen Staatschefs. Biden wurde in einem weissen Geländewagen durch Kiew chauffiert, nicht in der gewohnten Präsidentenlimousine.
Schon vorab waren viele Hauptstrassen und zentrale Gegenden ohne jede Erklärung abgeriegelt worden. Als dann die Wagenkolonne vorbeiraste, zückten Passanten ihre Handys, teilten Videos – und damit erste Hinweise, dass da ein sehr wichtiger Mensch unterwegs sein musste.
Keine Präsenz des US-Militärs in Ukraine
Dabei reiste Biden mit einem weitaus kleineren Tross als sonst: Neben Sicherheitsberater Sullivan waren die Vize-Stabschefin Jen O'Malley Dillon und Annie Tomasini, die Direktorin für Betriebsabläufe im Oval Office, dabei. Nicht fehlen durften natürlich die Biden zugewiesenen Agenten des Secret Service und der Militär, der dem Präsidenten den «Nuclear Football» genannten Atomkoffer hinterherträgt. Ein kleines Team aus medizinischen Fachkräften und der offizielle Fotograf des Weissen Hauses gehörten ebenfalls zu Bidens Gefolge.
Mitreisen durften nur zwei Medienschaffende, sonst begleiten 13 Journalisten den Präsidenten bei Auslandsreisen. Die elektronischen Geräte der beiden Presseleute wurden ausgeschaltet und während der Reise in die Ukraine vom Weissen Haus eingezogen. Zu den Journalisten durfte sich am Montagmorgen eine kleine Zahl von Kollegen mit Sitz in der Ukraine gesellen, die zu einem Hotel im Zentrum Kiews bestellt wurden. Über das Kommen Bidens wurden auch diese erst kurz vor dessen Ankunft informiert.
Das US-Militär ist in der Ukraine nicht präsent, nur eine kleine Einheit aus Soldaten der Marines bewacht die US-Botschaft in Kiew. Die Gegebenheiten machten Bidens Abstecher für die Amerikaner daher zu einem heikleren Besuch als Visiten früherer US-Präsidenten in Kriegsgebieten. «Wir haben die Russen durchaus unterrichtet, dass Präsident Biden nach Kiew reisen würde», sagte Sullivan. Dies sei einige Stunden vor dessen Aufbruch zum Zweck der Konfliktvermeidung geschehen. Zur Sicherheit wachten dann doch US-Überwachungsflugzeuge vom polnischen Luftraum aus über Kiew.
Glocken und Sirenengeheul
So gespenstisch ruhig war es im abgeriegelten Zentrum der Hauptstadt der Ukraine, dass die Krähen zu hören waren, als Biden und Selenskyj von der Wagenkolonne zum St. Michaelskloster marschierten. «Lassen Sie uns hineingehen und uns umsehen», sagte der US-Präsident zu seinem Gastgeber. Dann verschwanden beide in der Klosterkirche.
Um 11:30 Uhr läuteten die Glocken der Kathedrale, gefolgt vom Geheul von Sirenen, ehe Biden und Selenskyj heraustraten. Sekunden später ertönten Alarmrufe von Handy des Gefolges: Über eine App mahnte die Stimme der aus der Science-Fiction-Reihe «Star Wars» bekannten Figur Luke Skywalker, in Deckung zu gehen. «Seien Sie nicht unvorsichtig. Ihre Selbstüberschätzung ist Ihre Schwäche», sagte Skywalker.
Biden und Selenskyj schien es nicht zu kümmern. Gemessenen Schrittes gingen sie durch das Tor der Klosterkirche auf einen Vorplatz, wo verrostete Ruinen zerstörter russischer Panzer und anderer Fahrzeuge als grimmige Erinnerung an den Krieg herumstanden. Die beiden folgten zwei Mitgliedern der Ehrengarde, die für sie zwei Blumenkränze an ein Mahnmal für ukrainische Soldaten trugen, die seit 2014 gefallen sind.
«Möge die Macht mit dir sein»
In jenem Moment machten erste Bilder von Biden in Kiew die Runde in sozialen Medien in der Ukraine, schon bald wurde sein Besuch eine globale Neuigkeit. Der US-Präsident legte noch einen Zwischenstopp in der amerikanischen Botschaft ein, ehe er und seine Entourage nach etwa fünf Stunden in Kiew wieder den Zug zurück nach Polen bestiegen. Gegen 13:07 Uhr gab Skywalker per App Entwarnung, als die Bahn losfuhr. «Der Fliegeralarm ist vorbei», verkündete er. «Möge die Macht mit dir sein.»