Ukrainer starten Wiederaufbau«Wir können keine Pause einlegen»
Von Hanna Arhirova, AP/uri
1.7.2022 - 08:41
Nach dem Abzug der russischen Truppen aus der nördlichen Region Tschernihiw beginnt dort der Wiederaufbau. Sogar aus dem Ausland kommen freiwillige Helfer, damit die Menschen schnell in ihre Häuser zurückkehren können.
Von Hanna Arhirova, AP/uri
01.07.2022, 08:41
Von Hanna Arhirova, AP/uri
Am Dorfrand stehen die Überreste einer kleinen Schule. Das von hohen Pinien umgebene Gebäude in der ukrainischen Ortschaft Jahidne wurde in den ersten Wochen des russischen Kriegs schwer beschädigt. Die zerbrochenen Fensterscheiben geben den Blick frei in verlassene Klassenzimmer, in denen auf absehbare Zeit wohl keine Schülerinnen und Schüler mehr sitzen werden. Die Schule ist nur eines von vielen Gebäuden in Jahidne, die im Krieg in Trümmer gelegt wurden.
Doch nun kehrt in dem Dorf und anderen Ortschaften langsam das Leben zurück, seit sich die russischen Truppen aus der nördlichen Region Tschernihiw zurückgezogen haben. Die Menschen reparieren ihre Häuser, Baulärm liegt in der Luft. Die Bewohnerinnen und Bewohner bekommen Hilfe von Freiwilligen aus der gesamten Ukraine und aus anderen Ländern. Denn es ist noch viel zu tun, bevor der nächste Winter kommt.
An den Wiederaufbau der Schule denkt noch niemand
Unter den Helfern sind ein Werbetexter und ein Kameramann. Seit Tagen setzen sie in brütender Hitze das Dach eines Mehrfamilienhauses gegenüber der Schule wieder instand. Der 31-jährige Denis Owtscharenko und der 43 Jahre alte Denis Huschik kommen aus der Hauptstadt Kiew. Zusammen mit 22 weiteren Helfern der Freiwilligenorganisation Dobrobat unterstützen sie ihre Landsleute dabei, so schnell wie möglich in ihre Häuser zurückzukehren. «Während die Männer uns beschützen, arbeiten wir hier», sagt Huschik mit Blick auf die Dorfbewohner, die an der Front kämpfen.
An einen Wiederaufbau der Schule denkt bislang noch niemand. Am liebsten erwähnen die Menschen in Jahidne das Gebäude gar nicht – denn die russischen Soldaten hatten dort ihren Stützpunkt eingerichtet. Die meisten der knapp 400 Einwohnerinnen und Einwohner verbrachten einen Monat im Keller der Schule, wo sie rund um die Uhr als menschliche Schutzschilde gegen einen Angriff der ukrainischen Streitkräfte festgehalten wurden.
Nur hin und wieder erlaubten es die russischen Truppen Geiseln, nach oben in den Schulhof zu gehen. Zehn Menschen starben in dem dunklen, überfüllten Keller. Überlebende führen das auf Sauerstoffmangel dort zurück. Ende März zogen die Invasoren schliesslich ab.
Helfer aus Tschechien wollen etwas «Sinnvolles tun»
Die Organisation Dobrobat will in den kommenden Wochen nun die Dächer von 21 Häusern reparieren. Unter den Freiwilligen sind Lehrer, Sportler und Programmierer. Etwa 80 Prozent von ihnen haben keinerlei Erfahrung auf dem Bau.
Jahidne ist nur eines der Dörfer im Norden der Ukraine, die unter dem russischen Angriffskrieg litten. Und Dobrobat ist nur eine von mehreren Hilfsorganisationen, die mit Helfern aus dem Ausland unterstützen. So entschieden sich etwa Michal und Daniel Kahle aus Tschechien, ihre jährliche Familienreise in diesem Jahr in der Ukraine zu verbringen. Der Vater und der Sohn sehen sich immer nur für ein paar Wochen im Sommer, da Daniel Kahle in den USA studiert. «Wir wollten etwas Sinnvolles tun, anstatt nur Touristen zu sein», sagt der 21-Jährige.
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So landeten beide in der Stadt Makariw in der Region Kiew. Viele Gebäude dort waren in den ersten Kriegswochen beschädigt oder zerstört worden. Vater und Sohn schlossen sich der Jugend-Freiwilligenbewegung Building Ukraine Together an, die seit 2014 bei der Sanierung beschädigter Häuser im Osten der Ukraine hilft. Zusammen mit jungen Menschen aus verschiedenen Regionen in der Ukraine arbeiteten die Kahles mehrere Tage lang am Wiederaufbau der Feuerwache mit, die am 12. März von einer Granate getroffen worden war. «Wir können keine Pause einlegen, zuhause sitzen und darauf warten, dass der Krieg vorbei ist», sagt Tetjana Simkowitsch, Koordinatorin der Gruppe in Makariw.
«Ich versuche, nicht in der Vergangenheit steckenzubleiben»
Auch Julia Kapustienko kommt jeden Morgen zu der Feuerwache, um Mauern zu verspachteln. Die junge Frau hat Ende April Mariupol verlassen, nachdem sie zwei Monate in der belagerten Hafenstadt verbracht hatte. «Ich habe Leichen und ausgebrannte Häuser gesehen», sagt sie. «Wenn ich ein normales Haus sehe, stelle ich mir immer noch automatisch vor, was passieren würde, wenn es von einer Rakete getroffen wird. Es ist unmöglich, das aus dem Gedächtnis zu löschen. Aber ich versuche, nicht in der Vergangenheit steckenzubleiben, sondern aktiv zu werden und Verantwortung zu übernehmen.»
Die 23-Jährige stammt ursprünglich aus Horliwka in der östlichen Region Donezk. Ihre erste Belagerungserfahrung machte sie im Jahr 2014. Nach dem Verlust ihrer Heimatstadt trauerte Kapustienko jahrelang. Diesmal will sie es anders machen. «Ich weiss jetzt, dass ich etwas tun muss», sagt sie. «Was ich wiederaufbaue, ist mir egal. Hauptsache, es ist in der Ukraine.»
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