Hochwasser in Deutschland Zahl der Opfer steigt weiter an

tafu, mit Material der dpa

15.7.2021

Die Unwetter-Lage im Westen Deutschlands ist dramatisch: Mindestens 42 Menschen haben in den durch Starkregen ausgelösten Fluten bereits ihr Leben verloren, mehr als 50 Personen gelten noch als vermisst.

tafu, mit Material der dpa

15.7.2021

Das Wichtigste in Kürze:

  • Nach Starkregen sind in mehreren deutschen Landkreisen Flüsse über die Ufer getreten.
  • Mindestens 42 Menschen sind dabei ums Leben gekommen, zahlreiche werden noch vermisst.
  • Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärte, sie sei erschüttert und dankte den Helfern für ihren Einsatz.

Heftige Unwetter, Dauerregen, Hochwasser: Nicht nur in der Schweiz ist die Lage derzeit dramatisch, auch in Teilen Deutschlands nehmen die Wassermassen überhand. Nach und nach wird nicht nur das Ausmass der Schäden ersichtlich, auch die Zahl der Todesopfer und Vermissten steigt offenbar von Stunde zu Stunde. Die Situation im Überblick.

Die Lage in Rheinland-Pfalz

Besonders dramatisch zeigt sich die Lage im Bundesland Rheinland-Pfalz. Im Raum Bad Neuenahr-Ahrweiler seien bisher mindestens 18 Menschen ums Leben gekommen, teilte die Polizei Koblenz am Donnerstag mit. 

Weitere 50 bis 70 Menschen werden in der Katastrophenregion vermisst noch. Unklar sei zurzeit, ob es sich dabei um Menschen handle, die vielleicht in den Ferien seien, oder ob sie im Unwetter bei Bekannten untergekommen oder in einer schwierigen Situation seien.



«Es ist wirklich verheerend»

Im Ort Schuld in der Eifel, der ebenfalls zum Landkreis Ahrweiler zählt, wurde der Katastrophenfall ausgerufen. In der Nacht waren dort sechs Häuser eingestürzt, eine Vielzahl von weiteren Häusern sei zusätzlich instabil, es bestehe Einsturzgefahr.

Nicht nur Anwohner, auch Touristen sind von dem Unwetter schwer getroffen. Nachdem die Behörden am Mittwochabend extremen Starkregen gemeldet hatten, mussten auf Campingplätzen entlang des Flusses Ahr Personen von den Dächern ihrer Campingwagen gerettet werden.


Augenzeuge nach Flut in Rheinland-Pfalz: «Alles ist weg»


Die rheinland-pfälzische Regierungschefin Malu Dreyer hat die Lage in den Hochwassergebieten des Landes mit dramatischen Worten als bisher noch nie erlebte Katastrophe beschrieben.

«Es gibt Tote, es gibt Vermisste, es gibt viele, die noch in Gefahr sind», sagte Dreyer am Donnerstag in Mainz. Das Bundesland habe zwar schon einige Hochwasser erlebt. «So eine Katastrophe haben wir noch nicht gesehen. Es ist wirklich verheerend.» Ganze Orte seien überflutet, Häuser seien einfach weggeschwommen.

Die Lage in Nordrhein-Westfalen

Auch im angrenzenden Bundesland Nordrhein-Westfalen bleibt die Lage angespannt. Nach dem Abklingen des Starkregens kämpfen Feuerwehr und andere Einsatzkräfte an vielen Orten mit einer sich verschärfenden Hochwasserlage. Mindestens 24 Menschen starben.

Die Polizei Köln berichtete von 20 Toten in der Region. Neben zwei in Köln gefundenen Toten seien bislang aus Euskirchen 15 und aus Rheinbach drei Tote gemeldet worden, teilte die Polizei am Donnerstagnachmittag mit. Noch seien nicht alle gesichteten Leichen geborgen. «Aussagen zur Identität, Alter, Auffindeort und Todesumständen wird die Polizei zum Schutz der Angehörigen nicht veröffentlichen», erklärten die Beamten.

Vielerorts mussten Menschen vor den Fluten in Sicherheit gebracht werden. «Ich hab' so was im Leben noch nicht erlebt», zeigt sich ein Betroffener aus Hagen im «Nachtmagazin» der ARD schockiert. Er war in der Nacht von den Wassermassen überrascht worden, als er nur kurz mit dem Auto auf dem benachbarten Campingplatz schauen wollte, wie es um seinen Wohnwagen steht.

Auf der Rückfahrt waren die Fluten bereits so hoch, dass die Feuerwehr den Mann aus seinem Auto retten musste. «Damit hat ja keiner gerechnet, dass es so schnell geht. Das ist ja ein reissender Fluss!»

Die Strassen von Esch (Kreis Ahrweiler) haben sich in reissende Ströme verwandelt. Andauernde Regenfälle haben in Rheinland-Pfalz zahlreiche Ortschaften und Keller geflutet.
Die Strassen von Esch (Kreis Ahrweiler) haben sich in reissende Ströme verwandelt. Andauernde Regenfälle haben in Rheinland-Pfalz zahlreiche Ortschaften und Keller geflutet.
Bild: KEYSTONE/DPA/Thomas Frey

In Hückeswagen im Oberbergischen Kreis lief aufgrund der heftigen Regenfälle die Bevertalsperre über. Das Wasser laufe aktuell unkontrolliert über den Rand der Staumauer, teilte ein Sprecher der Leitstelle am frühen Donnerstagmorgen mit. Mehr als 1000 Menschen mussten ihre Häuser verlassen.

Auch bei der Wupper-Talsperre im Bergischen Land befürchtete man nach den starken Regenfällen ein unkontrolliertes Überlaufen. Einsatzkräfte der Feuerwehr können das Wasser nach Angaben eines Sprechers mittlerweile jedoch kontrolliert ablaufen lassen. Aus Sicherheitsgründen wurden die Anwohner der Wupper in Radevormwald bereits seit dem späten Abend aufgefordert, ihre Wohnungen zu verlassen, auch mit Lautsprecher-Durchsagen. 

Besonders schlimm war die Lage im nordrhein-westfälischen Kreis Euskirchen. Dort kamen nach Behördenangaben acht Menschen ums Leben. Genauere Angaben zur Todesursache teilte der Kreis zunächst nicht mit. In mehreren Orten sei die Lage sehr kritisch, hiess es.

Teilweise bestehe kein Zugang zu den Orten. Im Kreisgebiet sei die Kommunikation weitgehend ausgefallen. In Köln wurden zwei Menschen tot in ihren mit Wasser vollgelaufenen Kellern entdeckt. Auch aus Solingen, Rheinbach oder Kamen wurden Tote gemeldet.

Rettungskräfte unter den Opfern

In Altena waren Keller und Strassen überflutet. Der über die Ufer getretene Fluss Lenne verschärfte dort die Situation zusätzlich. Das Wasser lief in die Innenstadt. Altena sei «so gut wie nicht erreichbar», hatte die Polizei am Nachmittag mitgeteilt.

Ein Anwohner schaut sich in Hagen, Nordrhein-Westfalen, die Schäden an, die die Überflutung des Nahmerbach am Vorabend mit sich gebracht hatte. 
Ein Anwohner schaut sich in Hagen, Nordrhein-Westfalen, die Schäden an, die die Überflutung des Nahmerbach am Vorabend mit sich gebracht hatte. 
Bild: KEYSTONE/DPA/Roberto Pfeil

Unter den Einsatzkräften forderte das Unwetter ebenfalls bereits erste Opfer. In Altena in Nordrhein-Westfalen kam bei der Rettung eines Mannes  ein 46 Jahre alter Feuerwehrmann ums Leben. Er wurde von den Wassermassen fortgerissen und ertrank. Nur zwei Stunden später kollabierte in demselben Bundesland ein 52 Jahre alter Feuerwehrmann bei einem Einsatz. Er sei am Mittwochabend trotz Reanimations- und Hilfsmassnahmen gestorben, teilte die Polizei mit.

Fast 200'000 Haushalte ohne Strom

Durch das Unwetter kam es ausserdem zu grossflächigen Stromausfällen. Rund 190'000 Haushalte seien ohne Strom, weil Umspannwerke und andere Anlagen überflutet seien und abgeschaltet werden mussten. Betroffen seien vor allem das Bergische Land und die Eifel. Auch der Bahnverkehr ist durch die Überflutungen und den Dauerregen massiv beeinträchtigt.

«Bitte verschieben Sie Reisen von und nach NRW nach Möglichkeit auf die kommenden Tage», hiess es in einer Mitteilung der Deutschen Bahn. Aufgrund von Streckensperrungen fahren zahlreiche S-Bahn- und Regionallinien nicht oder nur eingeschränkt, wie sie weiter mitteilte. 

Reaktionen aus der Politik

Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (links) unterrichtet zusammen mit dem Hagener Oberbürgermeister Erik O. Schulz die Medien, nachdem er sich ein Bild von der Lage in der Stadt gemacht hat.
Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (links) unterrichtet zusammen mit dem Hagener Oberbürgermeister Erik O. Schulz die Medien, nachdem er sich ein Bild von der Lage in der Stadt gemacht hat.
Bild: KEYSTONE/DPA/Roberto Pfeil

Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) besuchte am Donnerstagmorgen den Ort Altena. Er informierte sich in der Leitzentrale des Kreises beim Landrat und beim Kreisbrandmeister über die Lage. Anschliessend fuhr er in die besonders von den Unwettern betroffene Stadt Hagen, um sich auch dort ein Bild von der Lage vor Ort zu machen.

Seinen geplanten Besuch bei der Klausur der CSU-Landesgruppe im bayerischen Seeon sagte der CDU-Chef ab. Das teilte die Staatskanzlei in Düsseldorf am Donnerstag mit. Laschet habe seine Reise durch Süddeutschland abgebrochen und sei noch in der Nacht nach Nordrhein-Westfalen zurückgekehrt.

Merkel dankt Einsatzkräften

Bundeskanzlerin Angela Merkel übermittelte den Opfern ihr Mitgefühl. Sie sei «erschüttert über die Katastrophe, die so viele Menschen in den Hochwassergebieten durchleiden müssen», liess sie von ihrem Sprecher über Twitter mitteilen. «Mein Mitgefühl gilt den Angehörigen der Toten und Vermissten. Den vielen unermüdlichen Helfern und Einsatzkräften danke ich von Herzen.»

Bundeswehr im Einsatz

Die deutschen Streitkräfte unterstützen inzwischen bei Rettungs- und Bergungsarbeiten. Das teilte unter anderem Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) auf Twitter mit.

In Nordrhein-Westfalen seien am Donnerstagmorgen 200 Männer und Frauen mit Bergepanzern, Radladern, schweren Lastwagen und dem Transportpanzer Fuchs in den Einsatz geschickt worden, sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums in Berlin.

In Rheinland-Pfalz sind demnach 70 Soldaten mit vier Unimogs und Krankenwagen-Ausstattung unterwegs. Diese sind watfähig, können also auch in überschwemmten Dörfern fahren. Das Heer schickte Hilfe aus der Luft.

Hilfe aus Bayern angekündigt

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hat den betroffenen Ländern bereits Hilfe versprochen. «In dieser schlimmen Situation ist Solidarität gefragt», teilte er über Twitter am Donnerstagvormittag mit. Man biete «jedwede Hilfe an, um die Schäden des katastrophalen Unwetters zu beseitigen».

Nach Einschätzung des Deutschen Wetterdienstes (DWD) ist der Höhepunkt der extremen Niederschläge in Teilen Deutschlands überschritten. Der DWD-Meteorologe Marco Manitta erwartete am Donnerstag «eine Entspannung der Wetterlage».

Zwar könne es weiterhin «punktuellen Starkregen» geben, dieser sei aber nicht mehr so verbreitet wie in der vergangenen Nacht, sagte Manitta der Nachrichtenagentur dpa. «Das Unwetterpotenzial sinkt deutlich.»

Die grössten Niederschlagsmengen gab es Manitta zufolge in einem breiten Streifen vom Sauerland über das Bergische Land und die Eifel, den Grossraum Köln/Bonn bis zur Grenze nach Luxemburg.