Italien Zugtunnel ins Nirgendwo? Bauprojekt entzweit Regierungskoalition

AP

24.2.2019

Zwischen Lyon und Turin soll ein neuer Zugtunnel durch die Alpen entstehen. Doch auf italienischer Seite lässt man die Arbeit ruhen.
Zwischen Lyon und Turin soll ein neuer Zugtunnel durch die Alpen entstehen. Doch auf italienischer Seite lässt man die Arbeit ruhen.
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Ein Tunnel quer durch die Alpen soll das Hochgeschwindigkeitsnetz der französischen und italienischen Bahnen verknüpfen. Doch in der Regierung in Rom prallen Gegner und Befürworter aufeinander.

Auf französischer Seite bohrt sich eine 140 Meter lange Maschine wie ein Steinfresser Tag für Tag knapp zwanzig Meter weiter in den Berg, auf italienischer Seite herrscht Stillstand. Dort beschränkt sich die Arbeit auf die Wartung der Baustelle in den Alpen, die seit langem Ziel von Protesten ist und von Sicherheitskräften geschützt werden muss.

Das strategische EU-Projekt, das die Bahn-Hochgeschwindigkeitsnetze der beiden Länder verbinden soll, ist ins Stocken geraten. Wie es weitergeht mit dem Tunnel auf der Strecke Turin-Lyon, ist offen. Ob die im vergangenen Sommer gestoppten Arbeiten wieder aufgenommen werden, könnte mit dem Schicksal der Regierung in Rom stehen und fallen.

Fünf-Sterne-Bewegung vs Lega

Auf französischer Seite wurden schon sieben Kilometer des Tunnels gebaut.
Auf französischer Seite wurden schon sieben Kilometer des Tunnels gebaut.
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In dem populistischen Bündnis stehen sich Tunnelgegner und -befürworter unversöhnlich gegenüber. Sollte das Kräftemessen zwischen der Fünf-Sterne-Bewegung, die sich gegen solch grosse Infrastrukturprojekte positioniert hat, und der wirtschaftsfreundlichen Lega noch lange Stillstand bedeuten, könnte Frankreich schliesslich mit einem Tunnel ins Nirgendwo dastehen.

Die Unsicherheiten verschärfen auch die Spannungen mit der Europäischen Union, denn die schultert schliesslich 40 Prozent der 8,6-Milliarden-Euro-Rechnung für das Vorhaben. Der 57,5 Kilometer lange Mont D'Ambin-Basistunnel ist ein Schlüsselbestandteil eines EU-Projekts zur Verbindung von Südspanien bis Ost- und Nordeuropa. Dazu gehören ferner der Gotthard-Basistunnel, der im Juni 2016 eingeweiht wurde, und der Brenner-Basistunnel, der im nächsten Jahrzehnt fertig sein soll.

Bestehender Tunnel ist veraltet

Der Bahntunnel, der bislang genutzt wird, ist fast 150 Jahre alt.
Der Bahntunnel, der bislang genutzt wird, ist fast 150 Jahre alt.
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Die neue Verbindung zwischen Turin und Lyon soll einen Tunnel ablösen, der aus dem Jahr 1871 stammt. Die Behörden stufen ihn sowohl bei Technologie als auch Sicherheit als veraltet ein. Züge müssen dort auf etwa 60 Kilometer pro Stunde abbremsen – die Reise von Mailand nach Paris dauert so sieben Stunden. Mit dem neuen Tunnel sollen es letztlich nur noch viereinhalb sein.

Seit Langem gibt es auf italienischer Seite Proteste. Die Demonstranten stellen den Nutzen infrage und machen ihren Umweltbedenken Luft. An ihrer Seite wettert die als Protestbewegung entstandene Fünf-Sterne-Bewegung ebenfalls gegen die Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Turin und Lyon. Fünf-Sterne-Gründer Beppe Grillo schloss sich schon 2010 der Front gegen den Tunnel an. Und als die Fünf-Sterne-Bewegung 2013 erstmals ins Parlament einzog, pilgerten neue Abgeordnete aus ihren Reihen zur Tunneleinfahrt ins Susatal.

Fünf-Sterne-Bewegung ist unter Druck

Fünf-Sterne-Gründer Beppe Grillo schlug sich schon vor neun Jahren auf die Seite der Tunnelgegner.
Fünf-Sterne-Gründer Beppe Grillo schlug sich schon vor neun Jahren auf die Seite der Tunnelgegner.
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Dass die Fünf-Sterne-Bewegung aber inzwischen bei einigen Grossprojekten eingeknickt ist, hat ihre Glaubwürdigkeit bei Anhängern erschüttert. Am Tunnel muss sie sich erneut beweisen. «Wenn sie in dieser Schlacht zurückstecken, verraten sie sich selbst», sagt der 73-jährige Umweltingenieur und Aktivist Mario Cavagna. «Wir haben viel Hoffnung, aber ein gesundes Misstrauen.»

Die Front gegen den Tunnel schreibt sich zwar Erfolge auf die Fahne wie die massive Verzögerung der Arbeiten auf italienischer Seite, auf die Fünf-Sterne-Bewegung will sie sich aber nicht verlassen. «Keine Regierung ist unser Freund», betont Cavagna.

Die Demonstrationen verzögerten die Bauarbeiten.
Die Demonstrationen verzögerten die Bauarbeiten.
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Man stellt sich blind

Die Partei scheint inzwischen eher eine Politik des Wegschauens zu betreiben. Immer wieder wird erklärt, es gebe keine Tunnel. Während in Frankreich bereits drei Zugangstunnel existieren sowie rund sieben Kilometer des Haupttunnels, steht in Italien bislang nur ein sieben Kilometer langer Zugangstunnel. Insgesamt sind so knapp 30 Kilometer fertig – nur 15 Prozent des Projekts, dessen Abschluss für 2030 geplant ist.

«Die Fünf-Sterne-Minister haben sich allesamt geweigert, an die Baustelle zu kommen», sagt der Regierungsbeauftragte für das Projekt, Paolo Foietta. «Nur, damit sie so tun können, als ob es sie nicht gibt.» Das Hickhack innerhalb der Koalition nennt er «surreal».

Fünf Jahre lang war Paolo Foietta zuständiger Regierungsbeamter für das Projekt. Was nun nach Ablauf seiner Amtszeit passieren wird, weiss er nicht.
Fünf Jahre lang war Paolo Foietta zuständiger Regierungsbeamter für das Projekt. Was nun nach Ablauf seiner Amtszeit passieren wird, weiss er nicht.
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813 Millionen Euro Fördergelder drohen wegzubrechen

Dabei steht für Italien einiges auf dem Spiel. Wenn die nächste Phase des Projekts nicht bis Ende des Jahres eingeläutet wird, riskiert Italien laut Foietta den Verlust von 813 Millionen Euro an EU-Fördergeldern. Und sollte das Vorhaben komplett blockiert werden, könnten Frankreich und die EU Entschädigung von Italien verlangen.

Foiettas Amtszeit läuft in dieser Woche nach fünf Jahren aus. Er gehe davon aus, dass der Posten unbesetzt bleibe, sagt er – ein weiteres Zeichen dafür, dass die Regierung den Kopf in den Sand stecke.

Alternativtunnel durch die Schweiz?

EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc hofft, das Bewegung in die Angelegenheit kommt.
EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc hofft, das Bewegung in die Angelegenheit kommt.
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EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc betont indes die Bedeutung des Tunnels nicht nur für Italien und Frankreich, sondern für ganz Europa. Aus Behördenkreisen der EU heisst es, dass bis zum Frühsommer Klarheit herrschen müsse. Sonst werde das Geld anderweitig verplant.

Offiziell gibt es keinen Plan B. Foietta nennt als mögliche Alternative aber eine Verbindung durch die Schweiz und Deutschland, bei der Italien und seine Exporteure abgeschnitten wären. «Zuallererst wird Italien bestraft», betont er. Lega-Chef Matteo Salvini setzt derweil auf Rückenwind aus der Wirtschaft. Vor allem die norditalienischen Unternehmen wollen den Trasse. Wenn nun im Mai das EU-Parlament gewählt wird, dürften sich auch die Koalitionspartner in Rom neu austarieren. Vielleicht löst sich dann der Stillstand im Susatal.

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