Kinder töten Kinder Kriminologe: «Das sind äusserst seltene Extremfälle»

Von Stefan Michel

5.4.2023

Mit einer Trauerfeier nehmen Angehörige der getöteten zwölfjährigen Luise aus Freudenberg Abschied von dem Mädchen.
Mit einer Trauerfeier nehmen Angehörige der getöteten zwölfjährigen Luise aus Freudenberg Abschied von dem Mädchen.
Federico Gambarini/dpa

Wie kommt es, dass einzelne Kinder und Jugendliche schwere Gewalt an anderen Kindern verüben? Ein Experte für Jugendgewalt sagt, was Forschende dazu herausgefunden haben.

Von Stefan Michel

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Auch wenn im jüngsten Fall eines getöteten Mädchens noch vieles unklar ist, drängt sich eine Frage auf: Warum töten Kinder andere Kinder?
  • Kriminologe Denis Ribaud betont, dass dies so selten sei, dass es keine Statistiken dazu gebe.
  • Ein Teil könne genetisch erklärt werden, ein Teil mit extrem schwieriger Sozialisation der Täter*innen.
  • Klar ist: Die überwiegende Mehrheit der Kinder hat auch schon mit 10 Jahren genügend Empathie entwickelt, um niemandem schwere Gewalt anzutun.

Wieder besteht der Verdacht, dass Kinder ein Kind tödlich verletzt haben. Vor kurzem erst töteten zwei Mädchen die zwölfjährige Luise. Heute ist eine Zehnjährige tot in einer Kinder- und Jugendeinrichtung gefunden worden. Im Verdacht stehen drei Buben im Alter von elf bis 16 Jahren. Für sie gilt die Unschuldsvermutung. 

«Das sind absolute Extremfälle und äusserst selten» sagt Denis Ribeaud, «umso wichtiger ist es, die Hintergründe zu kennen, um solches Verhalten erklären zu können.» Er ist Kriminologe am Jacobs Center for Productive Youth Development der Universität Zürich und forscht zu Gewalt im Kindes- und Jugendalter.

Elfjährige seien in der Regel empathiefähig, haben also verinnerlicht, dass es falsch ist, einem anderen Menschen Gewalt anzutun. «Die grösste Aggressionsbereitschaft haben Menschen im Alter von vier Jahren. Danach wird sie sukzessive wegsozialisiert.» Die Kinder lernen, mit ihren Aggressionen umzugehen.

Für seltene Extremfälle gibt es keine Statistiken

Längsschnittstudien zu Gewalt in Kindheit und Jugend

Denis Ribeaud vom Jacobs Center der Universität Zürich leitet zwei Studien zu Gewalterfahrungen von Kindern und Jugendlichen in der Schweiz. Die Zürcher Jugendbefragung finde alle sieben Jahre statt. 2000 Schülerinnen und Schüler der 3. Oberstufenklasse geben Auskunft über ihre Erlebnisse mit Gewalt Auskunft. Häufigkeit und Art der Erfahungen lassen sich mit den Resultaten früherer Durchgänge der Befragung vergleichen. Die Studie Proso-Z befragt seit 2004 die gleiche rund 1000 Personen, die damals 7 Jahre alt war. An ihnen lässt sich zeigen, wie Menschen mit zunehmendem Alter andere Gewalterfahrungen machen.

Die Forschung sei sich aber nicht einig, warum sich Empathiefähigkeit bei einzelnen Kindern nicht entwickle, erklärt Ribeaud. «Das kann teilweise genetisch bedingt sein, teilweise durch eine extrem schwierige Sozialisation.»

Gruppendynamik könne auch eine Rolle spielen. Sie sei in der Pubertät ein Faktor. «Normalerweise wirkt eine der beteiligten Personen eher bremsend.» Ribeaud erwähnt auch die Möglichkeit, dass vergangene Fälle über die Medien zum Modell geworden sind. Er betont aber sofort, dass er die Einzelheiten des neusten Falls nicht kenne.

Die beiden tragischen Ereignisse haben sich in Deutschland zugetragen. In der Schweiz würde verurteilte Täter eine Kombination aus Jugendstrafvollzug und resozialisierenden Massnahmen erwarten.

Ziel ist, dass Kinder und Jugendliche die fehlenden sozialen Kompetenzen aufbauen können.