Ungewollter Sex Ab wann ist es Vergewaltigung? Diskussion erreicht die Politik

tafu

15.1.2020

War es eine Vergewaltigung oder bloss schlechter Sex? Um diese Frage geht es im Film «Alles ist gut» mit Hauptdarstellerin Aenne Schwarz.
War es eine Vergewaltigung oder bloss schlechter Sex? Um diese Frage geht es im Film «Alles ist gut» mit Hauptdarstellerin Aenne Schwarz.
Bild: Outside The Box

Nur wenn tatsächlich Gewalt vorliegt, ist der Straftatbestand der Vergewaltigung erfüllt. So sagt es die Rechtssprechung. Doch die Definition steht auf dem Prüfstand.

Ihr Fall sorgte landesweit für Aufsehen: Offen sprach Influencerin Morena Diaz Anfang des Jahres auf ihrem Instagram-Profil von einer Vergewaltigung, der sie im Dezember 2018 zum Opfer gefallen sei. Neben einer Schilderung des Vorfalls und ihres emotionalen Zustands im vergangenen Jahr fordert Diaz in ihrem Post ein Umdenken, was die Gesetzgebung angeht.

«Was ich ganz sicher weiss, ist, dass wir Gesetze anpassen müssen, um endlich Opfer und nicht mehr Täter zu schützen, dass wir Aufklärung brauchen, denn mein Fall ist kein Einzelfall. Und dass wir unsere Stimmen erheben müssen. Für jede Einzelne von uns. Genau deshalb breche ich mein Schweigen», schliesst Diaz ihre Nachricht an ihre Follower ab.

Die Forderung ist begründet: Wie die «Aargauer Zeitung» berichtet, hatte jede zehnte Frau in der Schweiz bereits Sex gegen ihren Willen – die Zeitung zitiert damit aktuelle Zahlen der Menschenrechtsorganisation Amnesty International. Die meisten Fälle werden bis heute allerdings nicht angezeigt.

Ein Grund dafür ist die geltende Rechtssprechung: Eine Vergewaltigung liegt nur vor, wenn eine Person weiblichen Geschlechts zum Sex genötigt wird, indem der Täter sie bedroht, Gewalt anwendet, sie unter psychischen Druck setzt oder zum Widerstand unfähig macht.



«Schockstarre»

Das bedeutet, das Opfer muss sich aktiv wehren, ein «Nein» genügt nicht. Was dabei ausser Acht gelassen wird, ist der sogenannte «Freeze»-Modus, also ein Zustand der Starre und Handlungsunfähigkeit, wenn sich ein Mensch in einer bedrohlichen Situation befindet.

Auch Morena Diaz spricht von eben dieser Unfähigkeit, sich aktiv zur Wehr zu setzen. «Mit keiner Faser meines Körpers wollte ich das, was er mir angetan hat, und mit keiner Faser meines Körpers konnte ich mich wehren. Es ist wahr, was man in den Zeitungen so liest: Man fällt in eine Art Schockstarre. Man schafft es nicht, sich zu schützen, zu wehren und dem Ganzen rechtzeitig ein Ende zu setzen.»

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English in the comments ll TW / Vergewaltigung: Drei Tage vor Heiligabend hat er nach einem gemeinsamen Abendessen über meinen Körper, mein Herz und meinen Bedürfnissen hinweg entschieden. Mit keiner Faser meines Körpers wollte ich das, was er mir angetan hat und mit keiner Faser meines Körpers konnte ich mich wehren. Es ist wahr, was man in den Zeitungen so liest: Man fällt in eine Art Schockstarre. Man schafft es nicht, sich zu schützen, zu wehren und dem Ganzen rechtzeitig ein Ende zu setzen. Eine Freundschaft, die anfangs 2018 zu blühen begann, endete drei Tage vor Weihnachten in demselben Jahr abrupt. Ich hatte ihm vertraut aber er wollte mehr und holte sich jene Nacht das, was er wollte: meinen Körper. 2019 war für mich eher ein Überleben. Ein Gefühlschaos. Zuerst wollte ich gar nichts mehr fühlen, um den Schmerz nicht zu zu lassen und dann, als ich dem Schmerz kurz die Türen öffnete, traf er mich mit voller Wucht. Der Schmerz kam aber nicht alleine. Er wurde von Angst, Trauer und Wut begleitet. Wut auf ihn, Wut auf alle, die anderen das gleiche angetan haben und antun werden. Wut auf die Gesellschaft, die Gesetze, das Patriarchat, das immer noch Macht über uns Frauen* ausüben darf und kann. 2019 war ein Überleben. 2020 möchte ich leben. Nach und nach loslassen. Dafür musste ich letztes Jahr alle Gefühle und somit auch Heilung zulassen und nach und nach die Scherben auflesen, die in jener Nacht in tausend Stücken umherflogen. Ich wurde vergewaltigt und es tut immer noch weh. Die Scherben lese ich weiterhin jeden Tag auf. Und irgendwann, das weiss ich, werden auch die Ängste weniger, die Wut und die Trauer werden zur gleichen Tür wieder rausgehen. Ich werde wieder komplett ausgelassen tanzen können. Lieben und leben. Was ich ganz sicher weiss ist, dass wir Gesetze anpassen müssen, um endlich Opfer und nicht mehr Täter zu schützen, dass wir Aufklärung brauchen denn mein Fall ist kein Einzelfall. Und dass wir unsere Stimmen erheben müssen. Für jede einzelne von uns. Genau deshalb breche ich mein Schweigen. Ni una menos. ♥️

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Es ist an der Zeit, die Rechtssprechung zu überdenken. In Kürze will die Rechtskommission des Ständerats das Sexualstrafrecht überarbeiten. Gemäss Vorschlag des Bundesrats soll auch bei analer oder oraler Penetration Vergewaltigung geltend gemacht werden können. Bei einer Verurteilung soll das Mindeststrafmass auf zwei Jahre erhöht werden. Nach wie vor bleibt aber die Definition einer Vergewaltigung an die Gewalteinwirkung gebunden.

Konsens-Frage entscheidend

Zu wenig für Politikerinnen, Frauenorganisationen und Strafrechtsprofessoren: Sie fordern, dass auch dann der ungewollte Beischlaf mit einer Person bestraft wird, wenn keine Gewalt vorliegt. Entscheidend sollte der Konsens sein, also die Frage: Wollten beide Personen den Beischlaf?

In der Rechtskommission regt sich allerdings Widerstand: Man schreckt davor zurück, das geltende System grundsätzlich zu revolutionieren. Das bedeutet Arbeit und Umschulung des Personals. Ausserdem sitzen in der 13-köpfigen Kommission zehn Männer – die, wie verschiedene Parlamentarierinnen äussern, für das Thema sexuelle Übergriffe aus Opfersicht nicht ausreichend sensibilisiert seien. Gegner der Reform des Sexualstrafrechts befürchten ausserdem Willkür, wenn im Falle einer Vergewaltigung die Konsens-Frage entscheide.



Eine mögliche Lösung wäre die Einführung eines neuen Straftatbestandes. So schlägt laut «Aargauer Zeitung» Ständerat Andrea Caroni (FDP/AI), Mitglied der Rechtskommission, ein Drei-Stufen-Modell vor. Als Tatbestand gäbe es dann zusätzlich zur sexuellen Belästigung und Vergewaltigung die Zwischenstufe des sexuellen Übergriffs.

«Damit würden schwere sexuelle Handlungen gegen den Willen des Opfers auch dann angemessen bestraft, wenn kein Zwang vorliegt», so Caroni.

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