AusschaffungenAbgewiesene Asylsuchende sitzen zu Unrecht in Haft
tsha
10.8.2020
Die Coronakrise hat die Ausschaffung abgelehnter Asylbewerber erschwert. Lange Haft sei aber oftmals rechtswidrig, so mehrere Gerichtsurteile.
Die Coronakrise hat das öffentliche Leben in weiten Teilen der Welt zumindest vorübergehend zum Erliegen gebracht. So wurden etwa viele grenzüberschreitende Flüge eingestellt – eine Entwicklung, die für einige Asylsuchende in der Schweiz drastische Konsequenzen hatte. Wie CH Media berichtet, wurden mehrere Menschen, deren Asylgesucht abgelehnt worden war, über einen längeren Zeitraum ins Gefängnis gesteckt.
Laut Zahlen des Staatssekretariats für Migration (SEM) fanden von März bis Mai lediglich 452 selbstständige Ausreisen sowie Rückführungen auf dem Luftweg statt – im Vorjahreszeitraum lag die Zahl noch mehr als dreimal so hoch.
Das hat einerseits damit zu tun, dass die Zahl der Asylsuchenden deutlich zurückgegangen ist: Von April bis Juni sind in der Schweiz lediglich 1'314 Asylgesuche eingereicht worden, fast 60 Prozent weniger als in der Vorjahresperiode. Andererseits konnten Menschen, deren Antrag negativ beschieden worden war, aufgrund des geringen Angebots an Flügen oftmals nicht ausgeschafft werden.
Die Konsequenz: sogenannte Administrativhaft für die Betoffenen, oftmals über Monate. Eine Praxis, die der Bundesgerichtshof zuletzt immer wieder als rechtswidrig eingestuft hat. Denn eine Administrativhaft sei nur dann zulässig, wenn sie zeitlich beschränkt sei, eine Ausschaffung also in naher Zukunft stattfinden könne. Das sei derzeit aber oftmals nicht der Fall. Dass die verantwortlichen Behörden hofften, der internationale Flugverkehr würde bald wieder aufgenommen, reiche nicht aus, um Menschen in Haft zu behalten.
«Menschen, die oft völlig unbescholten sind»
Mehrfach, so der Bericht von CH Media, hätten der Bundesgerichtshof und die kantonalen Instanzen in den letzten Wochen entsprechend entschieden. Das bedeute, dass Dutzende Asylsuchende während der Coronakrise zu Unrecht im Gefängnis gewesen seien. Maximal 18 Monate darf ein Mensch in Administrativhaft genommen werden.
Es handele sich bei den Inhaftierten «um Menschen, die oft völlig unbescholten sind», sagt Lea Hungerbühler gegenüber CH Media. Die Juristin ist Gründerin der Organisation Asylex, die zuletzt mehr als 30 Menschen aus der Administrativhaft geholfen hatte. Die abgelehnten Aslybeweber seien «nicht in Haft, weil sie eine Gefahr darstellen, sondern nur, weil sie die Schweiz verlassen müssen».
In vielen Kantonen seien die Asylsuchenden in regulären Gefängnissen inhaftiert, obwohl die Vorgaben eine andere Unterbringung vorsehen . «Es ist sehr fraglich, ob die Haftbedingungen so zulässig waren», so Hungerbühler.
Oftmals triftige Gründe für eine Haft
Derzeit sei eine Ausschaffung noch immer schwierig, sagt Marcel Suter vom Bündner Migrationsamt. So könnte Rückführungen «weiterhin nur vereinzelt durchgeführt werden», so Suter gegenüber CH Media. «Ausschaffungen in Drittstaaten können auch in den nächsten Wochen kaum vollzogen werden.» Trotz der fehlenden Perspektive verteidigt Suter die Praxis der Inhaftierungen. Würde man Asylsuchende entlassen, weil sie derzeit nicht ausgeschafft werden können, sei die Gefahr gross, dass diese untertauchten.
Für Jürg Eberle, Chef des St. Galler Migrationsamtes, ist die aktuelle Unsicherheit bezüglich der Corona-Lage ein Problem. «Ausschaffungen in Staaten ausserhalb Europas sind nach wie vor schwierig, weil auch gelistete Flüge durch die Airlines bei ungenügender Auslastung sehr kurzfristig storniert werden», wird Eberle von CH Media zitiert.
Erwin Rast, Leiter des Migrationamts in Luzern, sagt, sein Amt nehme «eine Person für eine möglichst kurze Dauer in Ausschaffungshaft». Oftmals gebe es für eine längere Haftdauer triftige Gründe. So würden etwa Papiere fehlen oder die inhaftierte Person sei straffällig geworden.