Die Schweiz hat neu eine nationale Anlaufstelle für ältere Menschen, die von Misshandlung betroffen sind. Die am Dienstag in Bern den Medien vorgestellte Einrichtung «Alter ohne Gewalt» richtet sich auch an Angehörige, Drittpersonen und Fachleute.
Lanciert wurde die Anlaufstelle von der Unabhängigen Beschwerdestelle für das Alter UBA in der Deutschschweiz, Pro Senectute Ticino e Moesano im Tessin und Misox sowie alter ego in der Westschweiz.
Die Telefonnummer 0848 00 13 13 verbindet je nach Sprachregion, aus welcher telefoniert wird, zu einer der drei Organisationen, sodass rasche Unterstützung, Hilfe und Beratung erfolgen kann. Die Internetseite www.alterohnegewalt.ch in drei Sprachen vermittelt den Kontakt sowie Informationen zum Thema.
Ein Tabuthema
Misshandlungen an älteren Menschen seien eine Realität in der Schweiz, hiess es am Dienstag an einer Medienkonferenz in Bern. Gewalt im Alter sei jedoch ein Tabuthema. Man rechne, dass gegen 300'000 Personen in der Schweiz davon betroffen seien.
Gewaltsituationen fänden sehr oft im Privatbereich, zu Hause statt, ausgehend von Familienangehörigen, etwa Partnern oder erwachsenen Kindern. Häusliche Gewalt an älteren Menschen gehe meistens mit der Überforderung von pflegenden Angehörigen einher.
Misshandlung trete auch in Institutionen auf und hänge im Allgemeinen mit institutionellen Problemen zusammen, zum Beispiel Personalmangel, Mangel an Weiterbildung oder häufigen Personalwechseln.
Scham und Schuldgefühle
Die älteren Menschen, welche Opfer von Misshandlungen sind, empfänden Scham und Schuldgefühle. Sie wagten nicht, über das Geschehene zu sprechen und wüssten nicht, an wen sie sich wenden könnten, um Hilfe zu erhalten.
Die nationale Anlaufstelle «Alter ohne Gewalt» bringt die älteren Personen, ihre Nächsten und alle Betroffenen in der ganzen Schweiz in Kontakt mit Fachorganisationen und Fachpersonen aus den Bereichen Medizin, Recht, Pflege und Versicherung, wie Gabriele Fattorini, Direktor von Pro Senectute Ticino e Moesano ausführte.
Mittels einer Fachtagung, Werbemassnahmen wie Flyern, der Internetseite, Bus-/Tramwerbung und Plakaten werde die Bevölkerung über die Anlaufstelle informiert und für das Thema «Gewalt im Alter» sensibilisiert. Die vorhandenen Weiterbildungsangebote aus den Regionen zum Thema würden für die ganze Schweiz adaptiert und den Zielgruppen angeboten.
Gewalt hat verschiedene Gesichter
Jörg Rickenmann, Koordinator bei alter ego, legte dar, dass Misshandlung gegen ältere Menschen verschiedene Gesichter habe: Sie könne absichtlich verübt werden, was dann Sache der Polizei und der Justiz sei.
Sie könne aber auch unbeabsichtigt geschehen: durch Ignoranz der Gemeinschaft, durch fehlende Zeit im Alltagsstress oder auch durch fehlende Bildung. Die zunehmende Alterung der Bevölkerung und der sozio-wirtschaftliche Kontext enthielten ein wachsendes Risiko für Misshandlungen gegen ältere Menschen.
Im 2018 wurden ungefähr 200 Fälle von Gewaltsituationen gegen ältere Menschen den drei regional tätigen Organisationen gemeldet. Die Lancierung der nationalen Anlaufstelle «Alter ohne Gewalt» soll einer noch grösseren Anzahl Betroffener den unkomplizierten Zugang zu fachgerechter Hilfe und Beratung ermöglichen. «Wir helfen vertraulich und rasch», versicherte UBA-Geschäftsleiterin Ruth Mettler Ernst.
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