Atom-Endlager Nördlich Lägern «Die Frage nach dem Trinkwasserschutz ist eine grosse Sorge»

dpa/amo

11.9.2022 - 23:55

Das geplante Atommüll-Endlager kommt an den Standort Nördlich Lägern in Stadel. In der betroffenen Region kommt der Standortentscheid der Nagra erwartungsgemäss nicht gut an. 

DPA, dpa/amo

Das Atommüll-Endlager wird im Gebiet Nördlich Lägern in der Zürcher Gemeinde Stadel gebaut. Das bestätigte am Samstag die Sprecherin des Bundesamtes für Energie (BFE) der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.

Die betroffene Bevölkerung wurde am Samstag von den Behörden direkt informiert. In der betroffenen Region kommt der Standortentscheid der Nagra erwartungsgemäss nicht gut an: «Es gibt doch keinen Ort, der ein Tiefenlager auf seinem Gebiet will», sagte Dieter Schaltegger, Gemeindepräsident von Stadel gegenüber Keystone-SDA. Am meisten Sorge bereite der Bau des Tiefenlagers, der etwa für die Zeit von 2045 bis 2060 vorgesehen ist. Das sei ein grosser Eingriff mit einer Grossbaustelle.

Dieter Schaltegger, Gemeindepräsident von Stadel, am geplanten Standort des Zugangs zum Tiefenlager. 
Dieter Schaltegger, Gemeindepräsident von Stadel, am geplanten Standort des Zugangs zum Tiefenlager. 
Bild: Keystone/Michael Buholzer

Betroffen vom Standort im Grenzgebiet sind auch deutsche Gemeinden. Das ausgewählte Gebiet Nördlich Lägern liegt wenige Hundert Meter hinter der Grenze, sagt der Bürgermeister von Hohentengen, Martin Benz, der Deutschen Presse-Agentur. «Der Bahnhof, der für An- und Abtransporte benutzt werden könnte, liegt ein paar Hundert Meter von unseren Wohngebieten entfernt. Wenn der Atommülltransport über die Strasse kommt: die ist auch nur 850 Meter weg.»

Was sind die grössten Sorgen?

«Wir haben überall Trinkwasserbrunnen, wir haben Aare und Rhein in der Nähe. Die Frage nach dem Trinkwasserschutz ist eine grosse Sorge der Bevölkerung», sagt Martin Steinebrunner von der Deutschen Koordinationsstelle Schweizer Tiefenlager (DKST) beim Regionalverband Hochrhein-Bodensee der dpa.

Warum an den Grenzen?

Zum einen muss die Erdbebenwahrscheinlichkeit so gering wie möglich sein, zum anderen muss der Stein im Untergrund bestimmte Eigenschaften haben. In der Schweiz eignet sich nur der Opalinuston zur Einlagerung. «Der Opalinuston ist dicht, kann allfällige Risse selbst wieder abdichten und bindet radioaktive Teilchen an sich», teilte Nagra mit. «So schliesst er radioaktive Stoffe langfristig ein.» Diese Voraussetzungen gibt es nur im Grenzgebiet.

«Es ist auch in unserem Interesse, dass die Schweizer Abfälle sicher gelagert werden. Wenn der sicherste Ort ein paar Kilometer weg von der Grenze ist, nehmen wir das hin. Wir haben auch die Schweizer Kernkraftwerke in Grenznähe. Es ist ein Zugewinn an Sicherheit, wenn alles eingelagert ist», sagt Steinebrunner.

Seit fast 50 Jahren wurde in der Schweiz nach einem geeigneten Standort für die Lagerung radioaktiver Abfälle gesucht. Dafür gab es zuletzt drei potenzielle Standortgebiete: Neben Nördlich Lägern waren dies Standorte in der Region Zürcher Weinland sowie in der Region Jura Ost im Aargau (Bözberg). Nördlich Lägern war vorübergehend aus dem Rennen gefallen, wurde aber dann wieder als möglicher Standort ins Auge gefasst.

Das Haberstal in Windlach in der Gemeinde Stadel, aufgenommen mit einer Drohne am Freitag, 9. September 2022. Hier soll das Atommüll-Endlager gebaut werden.
Das Haberstal in Windlach in der Gemeinde Stadel, aufgenommen mit einer Drohne am Freitag, 9. September 2022. Hier soll das Atommüll-Endlager gebaut werden.
Bild: Keystone/Michael Buholzer

Um wie viel Material geht es?

Die hoch radioaktiven Abfälle aus Atomkraftwerken sowie Medizin, Industrie und Forschung umfassen 9'300 Kubikmeter. Das entspreche dem Volumen nach etwa acht Einfamilienhäusern, so die Nagra. Dazu kommen rund 72'000 Kubikmeter schwach-
und mittelradioaktive Abfälle. Die vier verbliebenen Schweizer Atomkraftwerke dürfen betrieben werden, so lange sie sicher sind. Das kann bis in die 2040er Jahre gehen.

Das Kernkraftwerk Leibstadt mit Kühlturm. 
Das Kernkraftwerk Leibstadt mit Kühlturm. 
Bild: Keystone

Wie gefährlich ist ein Endlager?

Radioaktive Strahlung kann Körperzellen zerstören, unter anderem im Blut, der Haut und der Schilddrüse. Unter anderem gelten Leukämie, Schilddrüsen- und Lungenkrebs als mögliche Spätfolgen. In dem Lager gibt es technische und natürliche Barrieren, die verhindern sollen, dass Radioaktivität von den Abfällen nach draussen gelangt. Das Material wird in Uranoxid oder Glas eingebettet sowie in dickwandige Behälter aus Stahl oder in Zement verfestigt in Fässer gepackt. Die Lagerstollen werden mit Betonit oder Zementmörtel aufgefüllt. Die Stollen liegen Hunderte Meter tief. «Die benötigte Einschlusszeit beträgt bei hochaktiven Abfällen etwa 200.000 Jahre und bei schwach-
und mittelaktiven Abfällen rund 30.000 Jahre», so die Nagra.

Mineure und Geologen auf dem Bohrplatz der Nagra tragen einen eben aus etwa 700 Metern Tiefe extrahierten Bohrkern zur Untersuchung. (Archivbild)
Mineure und Geologen auf dem Bohrplatz der Nagra tragen einen eben aus etwa 700 Metern Tiefe extrahierten Bohrkern zur Untersuchung. (Archivbild)
Bild: Keystone/Gaetan Bally

Was ist mit dem Transport?

Es ist noch nicht bekannt, wie das Material zum Endlager geschafft werden soll. Die Nagra wollte sich am Montag äussern. Unklar ist auch, wo das Material für die Endlagerung verpackt werden soll. Dafür ist eine «Heisse Zelle» nötig, ein Hochsicherheitsbau. Es könnte am Zwischenlager für atomare Abfälle in Würenlingen entstehen.

Wann soll gebaut werden?

Die Nagra will bis 2024 ein Baugesuch einreichen, über das Regierung und Parlament entscheiden. Danach dürfte es eine Volksabstimmung geben. Wird der Bau nicht abgelehnt, sollen die Arbeiten 2031 beginnen. Die mehrjährige Einlagerung begänne etwa 2050. Das Lager würde über Jahrzehnte beobachtet und etwa 2125 endgültig versiegelt.