Kostenvergleich Erneuerbare Energien lassen Atomstrom hinter sich

7.2.2022

Eine eher teure Angelegenheit: Das Kernkraftwerk Gösgen.
Eine eher teure Angelegenheit: Das Kernkraftwerk Gösgen.
KEYSTONE

Atomstrom werde von den Marktkräften zerfressen, prophezeit ein amerikanischer Physik-Professor. In der Schweiz steht die Atomenergie noch einigermassen gut da. Das dürfte sich allerdings ändern.

Umstritten ist die Atomkraft, seit es sie gibt. Der Reaktorunfall in Fukushima 2011 versetzte ihr in der Schweiz den Todesstoss. Doch die Angst vor einem Energiemangel und neue Reaktormodelle macht die Kernkraft wieder attraktiv – zumindest für einen Teil des politischen Spektrums. SVP, FDP und Economiesuisse befürworten den Bau neuer AKW in der Schweiz. Rückenwind erhielt diese Energieform zudem durch die EU, die Atomstrom als nachhaltig und klimafreundlich eingestuft hat.

Deshalb von einer Renaissance der Atomkraft zu sprechen, wäre zu hoch gegriffen. Die Mehrzahl der Länder weltweit halten unvermindert an der Kernenergie fest. Ihre Gegner werden nicht müde auf die Sicherheitsrisiken und das ungelöste Problem der Atommüll-Endlagerung hinzuweisen.

Die Atomkraft hat aber noch eine weitere Schwachstelle: Sie wird immer teurer. «Watson» weist auf eine Studie des amerikanischen Physikers Amory Lovins hin. Dieser lehrt an der Stanford University und bezeichnet sich selber als Anhänger der freien Marktwirtschaft. Und genau da, auf dem freien Markt, versage die Atomkraft, so die zentrale Aussage des Wissenschaftlers.

Atomstrom ist unwirtschaftlich

In einem Gastbeitrag auf «Bloomberg Law» rechnet er vor, wie viel teurer Strom aus einem noch zu bauenden AKW sei im Vergleich zu Energie aus noch nicht erstellten, unsubventionierten Solar- oder Windkraftwerken: Pro Kilowattstunde sei es 5- bis 13-mal mehr.

Dies sei auch der Grund, wieso kaum noch privates Geld in neue Kernkraftwerke fliesse, sondern in erster Linie öffentliche Mittel. Atomstrom sei kein gutes Geschäft mehr, urteilt Lovins.

Daran ändere auch die neue Generation kleiner, modularer Atomreaktoren nichts, denn diese seien erst in zehn Jahren einsatzbereit und ihr Strom sei noch teurer als derjenige neuer grosser AKW.

Für Lovins besteht effiziente CO2-Reduktion darin, für jeden in das Energiesystem investierten Dollar möglichst viel CO2 einzusparen. Erneuerbare Energien würden pro Dollar 3- bis 13-mal so viel CO2 einsparen wie Atomkraftwerke.

Andere Ausgangslage in der Schweiz

Wenn Lovins von CO2-Einsparung spricht, meint er, dass entweder erneuerbare Energien oder Kernkraft Strom aus Kohle oder Gas ersetzen – eine Form der Energieerzeugung, die in der Schweiz aktuell keine Rolle spielt. Hierzulande stammt ein grosser Teil der elektrischen Energie aus Wasser- und Kernkraft.

Der Bau neuer AKW ist in der Schweiz seit 2017 verboten. So lange die bestehenden sicher sind, dürfen sie weiterlaufen. Dass auch sie ein Problem mit der Wirtschaftlichkeit haben, zeigt das Beispiel des AKW Mühleberg: Weil teure Nachrüstungen angestanden wären, habe die Eigentümerin BKW dessen Betrieb eingestellt, sagte Marianne Zünd, Sprecherin des Bundesamts für Energie kürzlich zu blue News.



Das Energieunternehmen Axpo erklärte «Watson», das AKW Gösgen produziere zurzeit Strom zu einem konkurrenzfähigen Preis. Ein neues Kernkraftwerk wäre aber auch nach Ansicht der Axpo nicht wirtschaftlich zu betreiben.

Wie der Rest der Welt braucht auch die Schweiz neue Kraftwerke, um den Energiebedarf decken zu können. Die Energiestrategie sieht vor, bis 2050 alle AKW durch erneuerbare Energieerzeugung zu ersetzen. Theoretisch lässt sich der gesamte Strombedarf der Schweiz allein mit Solaranlagen auf geeigneten Flächen decken.

Die Schwachstelle des Solarstroms ist, dass er für die Zeiten, in denen die Sonne nicht scheint, gespeichert werden muss. Die Speichermöglichkeiten sind aber noch nicht genug ausgereift und vor allem noch zu teuer. Zudem schreitet der Zubau an Solaranlagen zu langsam voran. Aktuell decken Wind und Sonne erst gut 5 Prozent des schweizerischen Strombedarfs. Deshalb hat die Elektrizitätswerke-Kommission einen Vorschlag erarbeitet, der im Notfall zuschaltbare Gaskraftwerke vorsieht. Der Bundesrat werde diesen Vorschlag demnächst beraten, erklärt Marianne Zünd.

Amory Lovins prophezeit, die Atomkraft werde von den Marktkräften zerrieben werden. Wann in der Schweiz das nächste AKW aus Kostengründen stillgelegt werden muss, ist nicht vorauszusehen. Ein Comeback der Atomkraft bräuchte auf jeden Fall eine Gesetzesänderung. Die Energiefirmen scheinen nicht darauf zu hoffen. So erklärt Axpo, dass neue AKW nicht Teil ihrer Strategie seien.