Tessiner Kantonsarzt «Es landen auch Menschen mit Omikron im Spital»

SwissTXT / red

21.1.2022

Der Tessiner Kantonsarzt Giorgio Merlani. (Archiv)
Der Tessiner Kantonsarzt Giorgio Merlani. (Archiv)
Bild: Keystone

Die Omikron-Welle im Tessin stagniert, doch die Zahl der täglichen Infektionen liegt seit Wochen bei über 1000. Das Schweizer Fernsehen sprach mit Kantonsarzt Giorgio Merlani über die Lage im Südkanton.

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21.1.2022

«Wir befinden uns in einer stabilen Situation, aber stabil bleiben auch die hohen Zahlen. Wir hatten in den Tagen um Weihnachten einen sehr schnellen Anstieg und dort sind wir verharrt», beschreibt Giorgio Merlani die allgemeine Lage im Tessin. Das Schweizer Fernsehen der italienischen Schweiz (RSI) hat weiter nachgefragt: 

In einigen Ländern, England etwa, ist man der Meinung, dass das Gröbste überstanden ist und lockert bereits. Wie schätzen Sie die Situation ein?

Merlani: Der Höhepunkt ist dann erreicht, wenn das durch eine Reihe von Daten bestätigt wird. Also, wenn die Fallzahlen etwa aufhören zu steigen oder sogar sinken. Wenn man sich die Daten von Ländern betrachtet, bei denen die Omikron-Welle früher als bei uns begonnen hat, scheint es, als hätten sie den Höhepunkt erreicht oder vielleicht bereits überschritten. Und deshalb haben sie entschieden, Massnahmen zu lockern. Meiner Meinung nach müssen wir die Situation noch genau beobachten. Wenn dann die Zeit für Lockerungen gekommen ist, können wir uns freuen. Derzeit scheint mir das aber noch etwas verfrüht zu sein.

Was kann man über die Varianten sagen, die im Tessin zirkulieren?

Bei der Variante, die jetzt im Umlauf ist, handelt es sich praktisch ausschliesslich um Omikron. Und hier ist es noch schwer, Aussagen hinsichtlich der Schwere der Erkrankungen zu machen. Wir sehen jedenfalls, dass mit Omikron infizierte Menschen im Spital landen. Es stimmt aber auch, dass einige Indikatoren dafür sprechen, dass Delta schwerere Verläufe nach sich zog.

Impfstoffe wirken weniger gut gegen Omikron. Was wissen wir dazu?

Wir alle kennen jemanden, der mit zwei Dosen geimpft wurde, vielleicht sogar eine Auffrischimpfung erhalten hat und trotzdem erkrankt ist. Diese Personen leiden dann aber wahrscheinlich eher an Symptomen wie bei einer saisonalen Erkältung. Und wir sehen auch, dass die Menschen, die mit Omikron im Spital liegen, nicht geimpft sind.

Und wie lässt sich die relativ hohe Zahl an Todesfällen erklären?

Dafür gibt es zwei Erklärungen: zum einen, dass sich die grosse Zahl an Infektionen hier natürlich auswirkt und zum anderen der Aspekt, dass die Delta-Welle bereits begonnen hatte oder noch im Gange war, als Omikron kam. Die meisten Todesfälle, die wir jetzt sehen, sind also noch das Ende der Delta-Spitze.

Wer ist die «typische Person», die im Spital landet?

Hier gab es kleine Veränderungen. In der Zwischenphase bei den Impfungen gab es einen doppelten Trend. Es waren einerseits ältere, anfälligere Menschen, die trotz Impfung im Spital landeten. Andererseits gab es auch Spitzenwerte bei jüngeren ungeimpften Menschen, die ebenfalls mit schweren Folgen zu tun hatten. Jetzt verlagert sich der Schwerpunkt wieder ein wenig auf ältere Menschen, geimpfte wie ungeimpfte.

Ist denn klar, wie die Ansteckungswege genau laufen?

Die Infektiosität, die Virenlast, die Leichtigkeit, mit der sich das Virus jetzt auf den Schleimhäuten festsetzt, und die Inkubations- und Übertragungszeiten sind so schnell, dass es schwer zu verstehen ist, wie und wo man sich infiziert. Die uns bekannten Massnahmen können sicher helfen, jedoch können nicht einmal FFP2-Masken zuverlässig eine Infektion verhindern.

Glauben Sie also, dass wir alle früher oder später infiziert werden?

Ich verstehe mehr und mehr die Aussage des ehemaligen deutschen Gesundheitsministers, der sagte, dass bis zum Frühjahr wahrscheinlich alle geimpft, genesen oder gestorben sind.