Schlussbericht Ju-52-Absturz«Bedauern, dass sich jemand zu diesem Vertrauensmissbrauch hinreissen liess»
Von Jennifer Furer
31.8.2020
Bereits jetzt gelangte der nicht fertige Sust-Schlussbericht zum Ju-52-Absturz an die Öffentlichkeit. Die Ju-Air und das Bundesamt für Zivilfahrt bedauern dies – trotzdem will die Behörde keine Massnahme ergreifen.
Ein Pilotenfehler soll schuld am Absturz der Ju-52 HB HOT am 4. August 2018 in Flims GR gewesen sein. Zu diesem Schluss kommt die Schweizerische Sicherheitsuntersuchungsstelle (SUST) im Entwurf ihres Schlussberichts. Die Piloten hätten sich bei ihrem «hochriskanten Flugmanövern» nicht an die Mindestflughöhe gehalten, heisst es im Bericht, aus dem die «SonntagsZeitung» (kostenpflichtiger Inhalt) zitierte.
Die Piloten hätten sich für «unverwundbar» gehalten, schreibt die SUST weiter. Die Hauptschuld am Absturz gibt sie jenem Piloten, der am Tag des Unglückes auf dem Captainsitz sass.
Er hätte über fehlende Selbstkritik verfügt, sei extrovertiert gewesen, umgänglich, aber mit forschem Ton. Die SUST verweist zwar auf seine grosse Erfahrung – in seiner Karriere sei es aber bereits zu einer lebensgefährlichen Situation gekommen. Damals sei er als Pilot in die Kollision eines Tiger-Kampfjets und einer Mirage in Moutier BE involviert gewesen.
Zudem haben der Mann und sein Kollege laut SUST bereits mehrfach die vorgeschriebene Mindesthöhe nicht eingehalten – sogar bei Checkflügen. Dies wirft Fragen auf. Denn das Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL) als Kontrollinstanz liess die Piloten offenbar gewähren. Das niederländische Luftfahrtamt untersucht nun die Rolle des BAZL.
Fragen stellen sich aber auch in Bezug auf die bereits zum jetzigen Zeitpunkt erfolgte Veröffentlichung des Entwurfes des Schlussberichts. Denn dieser befindet sich momentan in der Vernehmlassung. Heisst: Alle involvierten Parteien können noch Stellung zur Untersuchung der SUST beziehen. Erst Ende Oktober oder Anfang November sollte der Schlussbericht offiziell publiziert werden.
Doch bereits jetzt veröffentliche die «SonntagsZeitung» Erkenntnisse daraus. Wie konnte das passieren?
30 Parteien erhielten Bericht
Bei der SUST heisst es, dass der Bericht gemäss den gesetzlichen Vorgaben allen Personen und Organisationen zugestellt worden sei, die von der Untersuchung betroffen oder an ihr beteiligt seien. «Damit erhalten die Vertreter von Sicherheitsuntersuchungsstellen anderer Staaten, die uns unterstützt haben, die beteiligten Unternehmen, die Aufsichtsbehörden und externe Labors diesen Entwurf», sagt Daniel Knecht, Leiter Aviatik bei der SUST, zu «Bluewin».
Eine weitere Personengruppe, die ihn erhalte, stellten zudem die Angehörigen der verunfallten Personen dar – also die Familien von Besatzung und Passagieren. «Gesamthaft haben über 30 Parteien diesen Entwurf erhalten», so Knecht.
Laut ihm gibt es keine Möglichkeit zu verhindern, dass jemand, der den Berichtsentwurf zur Stellungnahme erhalten hat, diesen mit Medienschaffenden teilt, was – wie nun erfolgt – eine vorzeitige Veröffentlichung zur Folge haben kann.
Knecht sagt, er könne nicht verstehen, wie man zur Annahme gelange, die SUST hätte ein Interesse an einer vorzeitigen Veröffentlichung des Berichts. «Das Gegenteil ist der Fall: Es ist unser zentrales Anliegen, eine Sicherheitsuntersuchung sorgfältig und unter Berücksichtigung aller Aspekte zu Ende zu bringen.»
Dazu gehöre auch eine regelrechte Auswertung der Stellungnahmen der Betroffenen und das Erstellen des definitiven Berichts.
SUST schliesst eine interne Untersuchung aus
Eine vorzeitige Veröffentlichung des Berichtsentwurfs mache die Arbeit der SUST aufwendiger. «Wir bedauern sehr, dass sich in diesem Fall jemand, der den Entwurf zur Stellungnahme erhalten hat, zu einem solchen Vertrauensbruch hinreissen liess», sagt Knecht.
Und weiter: «Alle unsere Mitarbeitenden unterliegen dem Amtsgeheimnis, wir schulen sie im Umgang mit vertraulichen Informationen und achten streng auf die Einhaltung der entsprechenden Vorgaben.»
Die Erfahrung zeige, dass diese Vorkehrungen funktionieren, sagt Knecht. «Wir schliessen pro Jahr mehrere Dutzend Untersuchungen ab, ohne dass es in den vergangenen Jahren je zu einem Leck gekommen wäre.»
Die SUST sehe keinerlei Anlass für eine interne Untersuchung, «da der Vertrauensbruch ausserhalb unserer Organisation geschehen sein muss», sagt Knecht.
Beim BAZL bedauert man ebenfalls, dass der Entwurf des Berichts an die Öffentlichkeit gelangt ist, wie Sprecher Urs Holdenegger sagt. Denn :«Noch immer befindet man sich in einem laufenden Verfahren, das erst mit der Publikation des offiziellen Schlussberichtes abgeschlossen ist.» Erst zu diesem Zeitpunkt könnten sich alle Beteiligten zum Inhalt des Schlussberichts äussern.
Auch Christian Gartmann, Sprecher der Ju-Air, weiss nicht, wieso das Dokument bereits jetzt an die Öffentlichkeit gelangt ist. Er spekuliert: «Der vertrauliche Entwurf wurde an eine grössere Gruppe von Betroffenen gesandt. Es ist immer möglich, dass eine oder mehrere Personen über ein vertrauliches Dokument sprechen.»
«Schmerzhafte» Vorgehensweise für Angehörige
Wie das BAZL bedauert auch die Ju-Air, dass der Entwurf, der ihre Stellungnahme noch nicht inkludiert, veröffentlicht worden ist. «Dass der Entwurf bereits öffentlich kommentiert wird, ist für die unabhängige Untersuchung sicher nicht dienlich. Wir hätten es begrüsst, wenn alle Beteiligten den Schlussbericht abgewartet hätten», so Gartmann.
Die Medienberichte über den Entwurf des SUST-Berichts belasten beide Piloten schwer, so Gartmann. «Für ihre Familien und Freunde hat das einschneidende Folgen. Wir fühlen mit ihnen, denn die tragischen Ereignisse von 2018 werden dadurch in einer Weise aufgewühlt, die für sie enorm schmerzhaft sein muss.»
Dennoch könne die Ju-Air nichts dagegen ausrichten. «Zu den Inhalten des Berichts haben wir uns nicht mit einem Wort geäussert. Wir werden das bis zur Veröffentlichung weiterhin so handhaben und nur Fragen beantworten, die sich nicht auf die Inhalte des Berichts beziehen.» Schliesslich handle es sich beim veröffentlichten Dokument erst um einen Entwurf.