Brienzer vor Evakuierung«Die Situation ist sehr beunruhigend»
SDA/uri
14.4.2023 - 01:30
Ein Dorf rutscht ab: «Da rollt grad ein grösserer Block heran» – «Mir macht das Angst»
Als wäre der instabile Untergrund nicht genug, droht jetzt auch noch ein Bergsturz. Brienz kämpft mit den Naturgewalten. Was hat sich im Bündner Dorf zuletzt getan? Und wie sieht die Zukunft aus? Ein Besuch vor Ort.
06.04.2023
Fachleute erwarten in den nächsten Monaten einen Felssturz: Die Bevölkerung des Bündner Dorfes Brienz ist am Donnerstagabend über den Ablauf einer drohenden Evakuierung informiert worden.
Keystone-SDA, SDA/uri
14.04.2023, 01:30
14.04.2023, 10:12
SDA/uri
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Über dem Bergdorf Brienz droht ein Felssturz.
Die Behörden haben die Bevölkerung am Donnerstagabend über die aktuelle Lage informiert.
Sie rechnen damit, dass eine Evakuierung des Dorfes bereits im Frühsommer bis Ende Jahr nötig wird.
Dank eines Frühwarnsystems könne die Bevölkerung jedoch rechtzeitig gewarnt werden.
Die Situation im Bereich der sogenannten «Insel» – einem Bereich am Berg oberhalb des rutschenden Bergdorfes im Bündner Albulatal sei zurzeit «sehr beunruhigend», sagte ein Geologe am Donnerstagabend vor der betroffenen Bevölkerung in einer Mehrzweckhalle in Tiefencastel GR. Aktuell rutsche ein Teil dieses Bereichs rund 25 Zentimeter pro Tag talwärts.
Unklar ist die Dimension eines möglichen Ereignisses. Die grösste Wahrscheinlichkeit besteht für einen Felssturz mit eher geringem Schadenspotenzial für das Dorf. Dabei würden die insgesamt 1,9 Millionen Kubikmeter Gestein «häppchenweise» abstürzen.
Zu 30 Prozent kommt zu einem sogenannten «Schuttstrom» der für eine grosse Zerstörung sorgen könnte. Zu rund zehn Prozent besteht die Wahrscheinlichkeit für einen Bergsturz, der das ganze Dorf verschütten würde.
Frühzeitige Evakuierung
Bereits in der Nacht auf Ostern sei es zu einem kleinen Abbruch des rutschenden Gesteins gekommen. Die Behörden gehen deshalb davon aus, dass eine Evakuierung bereits im Frühsommer bis Ende Jahr aktuell wird. Eine solche kann einige Wochen bis mehrere Monate dauern. Dank eines Frühwarnsystems könne die Bevölkerung jedoch rechtzeitig gewarnt werden, sodass eine Evakuierung über mehrere Tage erfolgen würde.
Dabei sollen die Betroffenen in erster Linie ein Notgepäck mitnehmen: persönliche Dokumente, Geld, Mobiltelefon und Ladegerät, Medikamente, Kleider, Spielsachen für Kinder, kleine Wertsachen und Toilettenartikel.
Das Dorf würde anschliessend von der Kantonspolizei komplett gesperrt. An den mit Betonelementen versperrten Strassen würden Check-Points eingerichtet, die zudem für Sicherheit sorgen und vor möglichen Plünderungen schützen sollen. Anwohnerinnen und Anwohner sollen je nach Situation die Möglichkeit erhalten, einmal pro Tag während eines Zeitfensters ihre Wohnungen und Häuser zu betreten.
Hilfe für Betroffene
«Wir – die Gemeinde und der Kanton sind für euch da, wir lassen euch nicht alleine», sagte der Gemeindepräsident Daniel Albertin den Brienzerinnen und Brienzer mehrmals. Aktuell prüfen verschiedene Projektgruppen eine allfällige finanzielle Beteiligung und Hilfe bei Umsiedlungen. Gemäss einer Umfrage von vor zweieinhalb Jahren hätten 17 Personen keine vorübergehende Lösung. Eine erneute Lagebeurteilung soll demnächst erfolgen.
Langfristig gibt es Pläne, das ganze Dorf umzusiedeln. Mehrere Gespräche mit Landeigentümern seien bereits erfolgt, sagte ein Rechtsanwalt den Betroffenen. Mehr Informationen dazu wollen die Behörden an der nächsten Informationsveranstaltung am 12. Mai geben. Ab Freitag wird zudem eine Hotline eingerichtet, an die sich Betroffene vertraulich und kostenlos wenden können.
Im Gegensatz zum Berg über dem Dorf hat sich die Bewegung des Gesteins, auf dem Brienz steht, verlangsamt auf noch einen Meter im Jahr. Die Gemeinde führt das auf den schneearmen Winter zurück und auf einen Sondierstollen, der seit 2021 unter dem Dorf gegraben wird. «Die Tiefenentwässerung durch einen Stollen unter der Rutschung kann funktionieren», schrieb die Gemeinde Anfang Monat.