Abgekürzte Ausbildung Berner machen ausländische Lehrer*innen für Schweiz fit

twei

6.5.2024

Der Lehrkräftemangel in der Schweiz wird sich in den kommenden Jahren verschärfen. Ein Berner Projekt soll Abhilfe schaffen.
Der Lehrkräftemangel in der Schweiz wird sich in den kommenden Jahren verschärfen. Ein Berner Projekt soll Abhilfe schaffen.
Bild: Keystone/Gaetan Bally

Das Schweizer Bildungssystem leidet unter chronischem Lehrkräftemangel, doch eine neue Weiterbildung in Bern macht Hoffnung: Sie macht Profis aus dem Ausland fit für das Schweizer System. Ein Modell mit Zukunft?

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Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Ein neuer Kurs an der Pädagogischen Hochschule Bern bereitet Lehrkräfte mit ausländischem Diplom auf ihren Einsatz an Schweizer Schulen vor.
  • Sie kommen aus der Türkei, Sri Lanka und Polen und könnten helfen, den Lehrkräftemangel in der Schweiz zu bekämpfen.
  • Das Interesse am Kurs ist gross: Schon im Herbst starten neue Lehrgänge.
  • Auch an anderen Standorten ist man auf den Kurs aufmerksam geworden.

10'000 Lehrkräfte zu wenig: Diesen besorgniserregenden Engpass in Schweizer Schulen prognostizierte das Bundesamt für Statistik (BFS) unlängst bis zum Jahr 2031. Das Bevölkerungswachstum und der nahende Renteneintritt der Babyboomer-Jahrgänge ergeben hier eine ungute Kombination. Noch dazu fehlt es an Nachwuchs: An der Pädagogischen Hochschule (PH) in Zürich gehen die Studierendenzahlen zurück.

Ein Hoffnungsschimmer ist die Pädagogische Hochschule Bern. Sie könnte schon bald Schule machen – und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Wie der «Tages-Anzeiger» berichtet, macht ein neues CAS (Certificate of Advanced Studies) dort Lehrpersonal für das Schweizer Bildungssystem fit, das bereits jahrelange Erfahrungen an Schulen gesammelt hat.

Um dem drohenden Mangel an Lehrpersonal entgegenzuwirken, schult der Kanton Bern hier Personen mit ausländischem Lehrdiplom für den Einsatz an Schweizer Schulen. «Lehrpersonen, die im Ausland ihre Ausbildung gemacht haben und deren Lehrdiplom nicht, noch nicht oder teil-anerkannt ist, werden am Zentrum für Professionalitäts- und Laufbahnentwicklung auf ihre Aufgaben als Lehrperson an einer Schweizer Schule vorbereitet», erklärt Studienleiterin Nathalie Glauser.

Lehrerin schrieb 200 Bewerbungen – und bekam nur Absagen

Zu den 16 Teilnehmer*innen an dem Kurs zählt unter anderem Can Demir. Die gebürtige Kurdin stand in ihrer türkischen Heimat bereits vor Primar- und Gymnasialschüler*innen, arbeitete sogar als Dozentin an einer Universität. Bisher verliefen Jobanschreiben für die 50-Jährige, die 2016 aus politischen Gründen in die Schweiz floh, ernüchternd, wie sie dem «Tages-Anzeiger» schilderte: «Ich habe mehr als 200 Bewerbungen als Lehrerin verschickt und nur Absagen erhalten.»

Nach eigener Aussage bereits «die Hoffnung aufgegeben» hatte Elizaveta Ratnikova. Die gebürtige Ukrainerin zog es 2004 zunächst ihrer Ausbildung wegen nach Bern, dann blieb sie der Liebe wegen. Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine wurde die 46-Jährige zwar als Lehrperson für Integrationsklassen angestellt, allerdings nur als Notmassnahme.

Dank dem neuen CAS und einer möglichen, baldigen Einbürgerung lebt nun Ratnikovas Hoffnung, in der Schweiz dem Beruf nachzugehen, für den sie laut eigener Aussage «geboren» ist.

Teilnehmende haben mehr als zehn Jahre Erfahrung

Can Demir und Elizaveta Ratnikova sind nur zwei der Teilnehmerinnen einer international aufgestellten Truppe. Was die 16 Beteiligten aus Ländern wie Spanien, Sri Lanka und Polen eint: Sie weisen eine mehr als zehnjährige Berufserfahrung auf, ebenso wie die Kenntnis der deutschen Sprache auf B2-Niveau. Deutliche Unterschiede dagegen gibt es im Aufenthaltsstatus: Zwischen Schutzstatus S und Eingebürgerten ist alles vertreten.

Im kommenden halben Jahr werden die qualifizierten Lehrpersonen mit ausländischem Lehrdiplom nun für den Einsatz im hiesigen Bildungssystem vorbereitet. Das unterscheidet sie von den sogenannten Poldis – also Personen ohne Lehrdiplom –, die im Kampf gegen den Lehrermangel als Quereinsteiger für den Schuleinsatz weitergebildet werden. «Im Gegensatz zu den Poldis haben unsere Teilnehmenden aber tertiäre Lehrausbildungen absolviert», stellt Nathalie Glauser die Besonderheit ihrer Studiengruppe heraus.

In Schweizer Klassenzimmern könnten schon bald Lehrkräfte mit ausländischem Diplom dabei helfen, den Fachkräftemangel zu bekämpfen. (Symbolbild)
In Schweizer Klassenzimmern könnten schon bald Lehrkräfte mit ausländischem Diplom dabei helfen, den Fachkräftemangel zu bekämpfen. (Symbolbild)
Bild: Keystone/Gaetan Bally

20 Prozent weniger Gehalt für «unausgebildete» Lehrkräfte

Das ist auch der Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektorinnen und -direktoren (EDK) nicht verborgen geblieben. Die EDK gesteht dem neuen Programm zu, «Unterschiede in den Ausbildungen teilweise zu kompensieren und Personen mit ausländischen Ausbildungsabschlüssen zu Berufserfahrung zu verhelfen». Gleichwohl verweist die EDK auch darauf, dass die Einstellung von Lehrkräften den Kantonen überlassen ist.

Schon jetzt entscheidet im Normalfall die lokale Schulbehörde, ob eine Lehrkraft einen Job bekommt oder nicht – selbst, wenn die EDK das ausländische Lehrdiplom nicht anerkennt. Allerdings erwarten «Unausgebildete» – und dazu zählen auch Lehrkräfte mit ausländischem Diplom – Gehaltseinbussen von 20 Prozent.

Ungeachtet einiger Herausforderungen erweist sich der Lehrgang «Unterrichten mit ausländischem Lehrdiplom» in Bern als potenzielles Erfolgsrezept. Die Nachfrage ist jedenfalls gross. Studienleiterin Glauser berichtet von mehr als 200 Interessierten zwischen Juni und August 2023.

«Wir wissen nicht, welche talentierten Schätze wir haben»

Dank der hohen Nachfrage könne man auch sicherstellen, dass die Qualität des Lehrpersonals hoch bleibe: «Wir können die Besten auswählen und den Standard hochhalten.» Generell plädiert Glauser für ein wacheres Auge bei Geflüchteten in der Schweiz: «Wir wissen gar nicht, welche talentierten Schätze wir in diesem Land haben, deren Potenzial wir nutzen könnten.»

Auch anderswo ist man auf das Modell aufmerksam geworden. Auf Anfrage des «Tagesanzeigers» hiess es von der PH in Zürich, man prüfe «zurzeit die Entwicklung weiterer Angebote für Personen mit einem ausländischen Lehrdiplom».

Beim CAS in Bern jedenfalls spricht der Trend eine deutliche Sprache: Im Herbst beginnen weitere Lehrgänge, gefördert mit 6800 Franken pro Kopf. Es könnte eine wertvolle Investition in die Zukunft sein.