Pandemie Berset sieht sich in einem Jahr «auf einer Terrasse mit einem Bier in der Hand»

gg, sda

24.2.2021 - 06:41

Ein Bild aus den Pandemie-Anfängen: Bundesrat Alain Berset, rechts, und Daniel Koch, der damalige Delegierte des BAG für COVID-19, am 12. Mai 2020 beim Kaffee im Restaurant Cafe du Gothard in Fribourg.
Ein Bild aus den Pandemie-Anfängen: Bundesrat Alain Berset, rechts, und Daniel Koch, der damalige Delegierte des BAG für COVID-19, am 12. Mai 2020 beim Kaffee im Restaurant Cafe du Gothard in Fribourg.
Bild: Keystone//Peter Klaunzer

Ein Jahr nach Ausbruch der Corona-Krise hat Gesundheitsminister Alain Berset im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA Bilanz gezogen – über die Kritik am Bundesrat, den härtesten Entscheid im Corona-Jahr und die digitalen Mängel im Gesundheitswesen.

Das sagt Berset...

...zu seinem persönlichen Corona-Jahr:

«Ich habe vor allem gearbeitet, viel gearbeitet – zusammen mit meinem Team, dem Bundesrat, den Kantonen. Es war eine Probe für den Bundesrat und das ganze Land. Ich war manchmal am physischen Limit. Es gab Phasen im vergangenen Jahr, die sehr schwierig waren, die ich noch nie so erlebt habe. Ich habe viel über mich und meine Grenzen gelernt. Mit Sport versuchte ich einen Ausgleich zu finden. Ich werde aber wie alle sehr froh sein, wenn diese Krise überwunden sein wird.»

...zur Kritik an seiner Person und am Bundesrat:

«Das gehört zum politischen Geschäft. Sowohl die positiven als auch die negativen Rückmeldungen waren oft übertrieben, aber wir können im Bundesrat damit gut umgehen. Kritik geht dann nicht mehr, wenn unsere Institutionen nicht mehr respektiert werden. Wir müssen aufpassen, dass unsere politische Kultur nicht untergraben wird. Zu personalisierte Kritik ist nicht sehr schweizerisch. Unser föderalistisches System muss man nicht nur in normalen Zeiten loben, sondern auch in der Krise stützen, auch in Zukunft. Bis jetzt haben wir die Krise gut bewältigt: Das Spitalsystem war nie überlastet, zahlreiche Unternehmen erhielten Unterstützung, wir haben Zugang zu hoch wirksamen Impfstoffen. Der Bundesrat hat sehr gut und sehr kollegial funktioniert in der Krise. Das ist unsere politische DNA, unsere politische Kultur.»

...zu den Anfangsmomenten der Krise:

«Ende Januar habe ich festgestellt, dass das Virus immer öfter in Berichten und Diskussionen auftauchte – und nicht wieder verschwand. Am 23. Februar war ich Ski fahren im Wallis, am Nachmittag ständig am Telefon mit meinem Team. Wir merkten damals, dass die Situation in Norditalien ausser Kontrolle war. Das war der Moment, in dem ich wusste: 'Jetzt werden wir die Ausbreitung bei uns nicht mehr verhindern können.'»



...zu mulmigen Gefühlen zu Beginn der Pandemie:

«Ich hatte sehr oft ein ungutes Gefühl. Wir waren mit einer neuen Krankheit konfrontiert, über die wir wenig wussten. Es ist eine schwierige Ungewissheit und Unsicherheit, mit der wir arbeiten und leben müssen. Der schwierigste Moment für mich war, als wir entscheiden mussten, die Schulen zu schliessen. Ich hoffe für niemanden, dass er jemals einen solchen Entscheid treffen muss. Politik zu machen, heisst Verantwortung zu übernehmen. Ziel des Bundesrats war und ist es immer, das Leid für unser Land zu vermindern. Es gibt Momente, in denen das harte Massnahmen und Entscheide bedeutet.»

...zur Pandemievorbereitung der Behörden:

«Der Bundesrat hat alle Schlussfolgerungen der vorangegangenen Pandemien gezogen. Wir haben ein Epidemiengesetz geschaffen, das vom Volk gutgeheissen wurde. Das war eine wichtige Grundlage für eine solche Situation. Ohne das Epidemiengesetz wäre der Umgang mit dieser Pandemie viel komplizierter gewesen. In dieser Grössenordnung hat das niemand wirklich erwartet. Es fehlte an Schutzmaterial, es fehlte an Medikamenten, alle Länder waren zu Beginn überfordert. Insgesamt waren wir aber nicht so schlecht vorbereitet und werden für künftige Krisen daraus lernen und noch besser gerüstet sein.»



...zu den Digitalisierungsmängeln im Gesundheitswesen:

«Wir haben einen Nachholbedarf – nicht nur im Gesundheitswesen. Das können wir nicht vom Tisch wischen. Ich hoffe, dass das nun alle Akteure realisieren. Das elektronische Patientendossier ist ein Anfang. Die Vorlage dazu war eine Zangengeburt im Parlament und nun auch bei der Umsetzung. Wir haben in dieser Krise viel gelernt – wir sind am Beheben der Mängel.»

...zu den zögerlichen Entscheiden in der zweiten Welle:

«Der Bundesrat wollte mit der normalen Kompetenzverteilung mit den Kantonen arbeiten. Es gab eine gemeinsam erarbeitete Strategie. Es hat gut funktioniert in der Westschweiz, dort haben die Kantone rasch Verantwortung übernommen. Wir mussten erst im Dezember stärker mit nationalen Massnahmen intervenieren, als wir gemerkt haben, dass es so nicht mehr funktioniert. Der Bundesrat hat mit Respekt für die Kantone gehandelt.»

...zum Öffnungsplan der kommenden Wochen:

«Der Bundesrat wird die Rückmeldungen der vergangenen Woche analysieren und eine Synthese machen. Wir müssen schauen, was wir uns an Öffnungen erlauben können, ohne ein zu grosses Risiko einzugehen, dass wir die Kontrolle über die Situation verlieren. Es ist immer wieder eine Abwägung. Wir wollen alle das Gleiche: möglichst viele Lockerungen, ein möglichst normales Leben zurück. Wenn es die epidemiologische Lage zulässt, können wir vielleicht rascher öffnen, als vergangene Woche kommuniziert. Wir müssen flexibel und bescheiden bleiben. Die Perspektive ist nicht so schlecht: Die wärmere Zeit kommt, die Impfung wirkt und kommt voran. Es geht in die richtige Richtung.»

...zur Lage heute in einem Jahr:

«Ich wünsche mir, dass wir in einem Jahr sagen können: 'Es war eine äusserst schwierige Zeit und Probe für unser Land. Wir haben aber alle zusammen die Situation gemeistert, es ist hinter uns. Es hat alles in allem nicht so schlecht funktioniert. Wir haben Zugang zu guten Impfungen.' Das Virus wird zwar noch da sein, aber wir werden es dann hoffentlich gut kontrollieren können. Ich bin zuversichtlich und sehe mich in einem Jahr auf einer Terrasse mit einem Bier in der Hand.»

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