Tag gegen Homophobie «Bildung und Empathie sind zentrale Punkte»

Von Valérie Passello

17.5.2022

Aymeric Dallinge vom Pôle Agression et Violences macht sich für die Rechte der LGBTIQ+-Gemeinde stark.
Aymeric Dallinge vom Pôle Agression et Violences macht sich für die Rechte der LGBTIQ+-Gemeinde stark.
Keystone

Aymeric Dallinge, Vorsitzender des Pôle Agression et Violences (PAV), spricht im blue-News Interview darüber, was der Tag gegen Homophobie für die Sichtbarkeit und Sensibilisierung beim Thema bedeutet.

Von Valérie Passello

17.5.2022

Der 17. Mai ist Welttag gegen Homophobie, Transphobie und Biphobie – und eine Gelegenheit, um mit Aymeric Dallinge, dem Präsidenten von PAV, zu reden. PAV ist ein Waadtländer Verein zur Unterstützung von LGBTIQ+-Personen (Lesben, Schwule, Bi-, Trans*- und Intersexuelle), die Opfer und/oder Täter von Gewalt sind, sowie deren Umfeld.

Der Weltnichtrauchertag hält Raucher nicht vom Rauchen ab: Sind solche Tage überhaupt sinnvoll?

Natürlich löst er nicht alle Probleme, aber genauso wie der Anti-Tabak-Tag die schädlichen Auswirkungen des Rauchens thematisiert, beleuchtet der Tag gegen Homophobie die Realität, die LGBTIQ+-Personen erleben. Er gibt den Betroffenen eine Stimme und ermöglicht ihnen zu sagen: «Macht euch bewusst, was ich erlebe, mit welchen Schwierigkeiten ich zu kämpfen habe». Ich würde es eher mit dem Tag der Frauenrechte am 8. März vergleichen: Er ist ein hervorragendes Mittel, um eine Bestandsaufnahme zu machen, aber auch, um an die Gesetze zu erinnern.

Welche Fortschritte sind in der Schweiz bisher zu verzeichnen?

Es gab drei grosse Fortschritte. Erstens das Verbot der Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung, das am 9. Februar 2020 vom Volk angenommen wurde. Zweitens die Ehe für alle, die am 1. Juli in Kraft treten wird. Das ist ein wichtiger Schritt, denn man sagt sich nun: «Okay, ich habe das Recht, sichtbar zu sein und in der Öffentlichkeit spontan die Hand meines Partners oder meiner Partnerin zu nehmen. Schliesslich wurde auch die Änderung des Geschlechts auf dem Standesamt erleichtert. Es gab eine nicht allzu ferne Zeit, in der man mit dem Attest eines Psychiaters anreisen musste, um diesen Antrag zu stellen. Heute genügt ein Gespräch mit dem Standesbeamten.

Was ist noch zu tun?

Es gibt noch viel zu tun! Ich würde vor allem darauf hinweisen, was auf Bundesebene umgesetzt werden kann. Zum einen sollte man sich die Frage nach einem neutralen Geschlecht stellen. Brauchen wir wirklich das «m» oder «f» auf dem Personalausweis? Man könnte es zum Beispiel einfach abschaffen, wie es in anderen Ländern bereits geschehen ist. Das würde nicht-binären Menschen mehr Wahlmöglichkeiten geben. Ausserdem müssen die so genannten «Konversionstherapien» verboten werden. Das ist ein Übel, das schwerwiegende Folgen haben kann. Genf und Waadt haben diesen Schritt bereits getan, das Wallis wird die Frage prüfen, aber diese «spirituellen Begleitungen» auf Bundesebene zu verbieten, wäre ein starkes Signal, das den Betroffenen eine gesetzliche Grundlage geben würde, um sich zu schützen. Zuletzt wäre es gut, ein Gesetz zu haben, das LGBTIQ+ vor erlittener Gewalt und nicht nur vor Diskriminierung schützt.

Es bleibt ein alltäglicher Kampf?

Ja, die Aggression kann für eine LGBTIQ+-Person von der einfachen Beleidigung bis hin zu einer regelrechten Zerschlagung reichen. Und das ist schlimm. Wiederholte Aggressionen erzeugen Angst im Alltag und die Personen, die sie erleben, antizipieren schließlich die nächsten. Für mich sind die zentralen Punkte Bildung, Empathie und Sensibilisierung. In einigen skandinavischen Ländern gibt es bereits in der Grundschule Unterricht in Empathie und ich denke, dass dies ein guter Weg sein kann, um alle Themen wie Rassismus oder andere Arten von Diskriminierung anzusprechen.

Welchen Rat geben Sie LGBTIQ+ Personen, die Opfer von Gewalt geworden sind?

Schweigt nicht über die erlebte Gewalt. Viele trauen sich nicht auszusagen. Die Polizei in der Westschweiz ist dabei, sich weiterzubilden, um LGBTIQ+-Personen besser empfangen zu können. Es geht nicht darum, jedes Mal eine Anzeige zu erstatten oder automatisch die Medien auf den Plan zu rufen, sondern darüber zu sprechen. Mit seinem Umfeld oder mit einem Ansprechpartner wie der PAV. Man darf mit dieser Gewalt nicht allein bleiben, denn Worte reparieren. Und es gibt Räume, in denen man darüber sprechen kann.