In der Schweiz kommt es jedes Jahr zu mehreren hundert Zwangsheiraten, die Dunkelziffer ist hoch. Dagegen hat der Bundesrat 2012 das Programm zur Bekämpfung von Zwangsheiraten lanciert. Mit einigem Erfolg, wie ein am Dienstag veröffentlichter Bericht feststellt.
Für das Programm stellte der Bund im Zeitraum 2013-2017 insgesamt 2 Millionen Franken aus dem Integrationskredit zur Verfügung. Damit wurden in zwei Phasen jeweils 18 Projekte unterstützt. Doch bereits die Tatsache, dass der Bund das Thema auf die Agenda setzte, löste konkrete Wirkungen aus, wie es in dem Bericht heisst. Vorher engagierten sich lediglich einzelne NGO gegen Zwangsheiraten.
Gemäss einer externen Evaluation trug das Programm dazu bei, dass sich in vielen Regionen Netzwerke zu Zwangsheiraten bildeten oder bestehende Netzwerke weiter entwickelt wurden. Zudem konnten Fachpersonen sensibilisiert und neue Kompetenzen zum Thema aufgebaut werden.
In der zweiten Phase lag ein Schwerpunkt bei der Sensibilisierung potenziell Betroffener. In welchem Mass diese Massnahmen erfolgreich waren, lässt sich wegen mangelnder Daten nicht zuverlässig beurteilen.
Bei der Beratung und beim Schutz direkt Betroffener stiessen die regionalen Fachstellen an ihre Grenzen, weil Fälle von Zwangsheirat sehr komplex werden können. Unter anderem aus diesem Grund wurde wurde 2015 mit der Fachstelle Zwangsheirat ein überregionales Kompetenzzentrum geschaffen.
Weisse Flecken auf der Landkarte
Der Bericht deckt jedoch auch Schwächen des Programms auf. So ist die Nachhaltigkeit der neu entstandenen Netzwerke fraglich, weil das Thema im Berufsalltag vieler Fachleute nach wie vor einen tiefen Stellenwert hat. Wichtige Zielgruppen wie Lehrpersonen oder Arbeitgeber konnten nur ungenügend angegangen werden.
Zudem gab es in neun Kantonen insbesondere in der Zentral- und Ostschweiz gar keine Aktivitäten im Rahmen des Programms. Auch in engagierten Kantonen wie Bern oder Zürich fanden die Aktivitäten vor allem in den Städten statt. Darauf hat der Bund aber kaum Einfluss. Er habe nicht die Kompetenzen, Regionen zur Umsetzung von Massnahmen zu verpflichten, heisst es in dem Bericht.
Gestützt auf diesen Befund formulieren die mit der Evaluation betrauten Experten zahlreiche Empfehlungen. So sollen die regionalen Akteure zwar weiterhin eine Rolle spielen, komplexe Fälle von Zwangsheiraten sollen aber von überregionalen Fachstellen begleitet werden. Dabei gilt es Schnittstellen zwischen den beiden Ebenen zu klären. Zudem soll der Bund spezifische Massnahmen zur langfristigen Unterstützung von direkt Betroffenen prüfen.
Kampf auf Sparflamme
Das Programm zur Bekämpfung von Zwangsheiraten führt der Bundesrat nicht weiter, wie er in dem Bericht schreibt. Jedoch will er ein gesamtschweizerisches Kompetenzzentrum unterstützen, um komplexe Fälle zu betreuen, Fachwissen aufzubereiten und die Sensibilisierung von Fachleuten und Betroffenen zu fördern. Dafür stellt der Bundesrat 2018-2021 insgesamt 800'000 Franken zur Verfügung.
Auf Bundesebene ist das Thema weiterhin beim Staatssekretariat für Migration angesiedelt. Das Thema Zwangsheirat von Minderjährigen untersucht der Bundesrat derzeit im Rahmen eines Postulats. Dabei will er unter anderem klären, ob die 2012 beschlossenen Massnahmen gegen Zwangsheirat ausreichen oder ob es weiteren gesetzgeberischen Handlungsbedarf gibt.
Keine zusätzlichen Anstrengungen will der Bundesrat bei der Datenerhebung unternehmen. Grund dafür ist, dass es gemäss einer Machbarkeitsstudie keine Methode gibt, die verlässliche Daten zum Phänomen der Zwangsheiraten ergeben würden.
Hohe Dunkelziffer
Die letzte wissenschaftliche Erhebung hat der Bund 2012 durchgeführt. Diese Studie kam auf 700 Fälle pro Jahr. Erfasst wurden erzwungene Heiraten, der erzwungene Verzicht auf eine Liebesbeziehungen oder der Zwang, in einer Ehe zu verbleiben.
Auch im Rahmen des Bundesprogramms wurde die Zahl der Fälle erfasst. Die Projektorganisationen haben von Anfang 2015 bis Ende August 2017 insgesamt 905 Fälle gemeldet. Davon gingen 736 Fälle direkt bei der Fachstelle Zwangsheirat ein. Bei 83 Prozent der betroffenen handelte es sich um Frauen. Über ein Viertel der Betroffenen war unter 18 Jahren alt. Gemäss dem Bericht sind die häufigsten Herkunftsländer Kosovo, Sri Lanka, Türkei, Albanien, Mazedonien, Afghanistan und Syrien.
Diese Zahlen dürften nicht mit dem aktuellen Ausmass des Phänomens Zwangsheiraten in der Schweiz gleichgesetzt werden, schreibt der Bundesrat. Die Dunkelziffer sei hoch. Zudem deckte das Bundesprogramm nicht alle Regionen ab.
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