Persönlichkeit ist entscheidend Darum haben nette Menschen bessere Bundesrats-Chancen

Von Gil Bieler und Andrea Moser

24.10.2022

Wie entscheidend ist bei den Bundesratswahlen die Persönlichkeit einer Kandidatin oder eines Kandidaten? Eine Studie der Universität Bern kommt zum Schluss: Verträgliche haben bessere Chancen als Reizfiguren.

Von Gil Bieler und Andrea Moser

24.10.2022

Wer hat die besseren Chancen auf einen Sitz im Bundesrat: Eine nette Person oder doch eher ein Mensch, der auch mal gerne verbal austeilt? Dieser Frage sind der Politikwissenschaftler Adrian Vatter und seine Forschungskollegin Martina Flick Witzig von der Universität Bern nachgegangen.

Das Ergebnis ihrer Studie sei eindeutig, schreiben die Forschenden diese Woche auf dem Portal «DeFacto»: «Am Wahltag erhalten die Lieben und Netten die meisten Stimmen.» Wer als verträglich gelte, habe nicht nur höhere Chancen, von der eigenen Partei überhaupt nominiert zu werden – sondern auch ins Amt gewählt zu werden. Reizfiguren, die anecken, würden dagegen im Auswahlprozess fortlaufend aussortiert.

Vergangenheit zeigt: Nette haben die Nase vorne

Als Beispiel führen die Berner Forscher*innen die Wahl von Guy Parmelin im Dezember 2015 an: Dem «stets freundlichen» Waadtländer sei im dritten Wahlgang ein «Überraschungscoup» gelungen, als er sich gegen «die streitbare Reizfigur» Thomas Aeschi durchgesetzt habe. Dabei habe Aeschi als Favorit gegolten.

Der «stets freundliche» Waadtländer Guy Parmelin (links) schafft im Jahr 2015 die Wahl in den Bundesrat. «Die streitbare Reizfigur» Thomas Aeschi (rechts) hatte trotz Favoritenrolle das Nachsehen.
Der «stets freundliche» Waadtländer Guy Parmelin (links) schafft im Jahr 2015 die Wahl in den Bundesrat. «Die streitbare Reizfigur» Thomas Aeschi (rechts) hatte trotz Favoritenrolle das Nachsehen.
Bild: Keystone

SP-Bundesrat Alain Berset sei bei seiner Wahl 2011 gegenüber dem kämpferischen Pierre-Yves Maillard bevorzugt worden. Und auch 1993 habe sich «die besonnene und konziliante» SP-Politikerin Ruth Dreifuss gegen Christiane Brunner durchgesetzt, «die im bürgerlichen Lager als unkonventionell und eigensinnig galt».

Die «die besonnene und konziliante» Ruth Dreifuss wird im Jahr 1993 in den Bundesrat gewählt. Ihre Konkurrentin Christine Brunner galt dagegen als eigensinnig und unkonventionell.
Die «die besonnene und konziliante» Ruth Dreifuss wird im Jahr 1993 in den Bundesrat gewählt. Ihre Konkurrentin Christine Brunner galt dagegen als eigensinnig und unkonventionell.
Bild: Keystone

Charaktermerkmale basierend auf Selbsteinschätzung

Untersucht wurde das charakterliche Profil aller 101 Kandidierenden, die zwischen 1982 und 2020 ins Rennen um einen Bundesratssitz gestiegen sind: ob sie nun «lediglich» kandidiert haben, von der Partei nominiert oder von der Vereinigten Bundesversammlung auch gewählt wurden. Ausschlaggebend waren verschiedene Charaktermerkmale, die sich die Politiker*innen mittels Selbsteinschätzung zurechneten. Im Falle von bereits verstorbenen Personen übernahmen dies unabhängige Fachleute.

Freundliche und nette Kandidat*innen haben laut Studie die besseren Chancen, in den Bundesrat gewählt zu werden.
Freundliche und nette Kandidat*innen haben laut Studie die besseren Chancen, in den Bundesrat gewählt zu werden.
Getty Images (Symbolbild)

Andere Merkmale, die im Vorfeld von Bundesratswahlen jeweils viel zu reden gäben, hätten dagegen kaum einen Einfluss auf die Erfolgschancen, schreiben die Wissenschaftler*innen. Einzige Ausnahme: die Anzahl National- und Ständeräte, die der jeweilige Kanton der Kandidat*innen stellt.

Je mehr Abgeordnete, desto mehr Stimmen kann er oder sie sich erhoffen. «Andere Merkmale wie das Alter, das Geschlecht oder der Status als langjähriges Parlamentsmitglied oder Parteivorsitzende spielen nur eine untergeordnete Rolle».

Johnson und Trump in der Schweiz vermutlich chancenlos

Schaut man dagegen ins Ausland, zeigt sich, gerade bei der Extravertiertheit, oft das Gegenteil. Studien belegen, dass hochrangige Politiker*innen oft extravertierter sind als die Allgemeinheit. Beste Beispiele dafür sind der ehemalige US-Präsident Donald Trump oder der britische Ex-Premierminister Boris Johnson, die in der Schweiz vermutlich keinen Bundesratssitz ergattern würden.

Ex-US-Präsident Donald Trump und der ehemalige britische Premierminister Boris Johnson sind als extravertierte Narzissten bekannt. Sie hätten es als Bundesratskandidaten wohl schwer. (Archivbild)
Ex-US-Präsident Donald Trump und der ehemalige britische Premierminister Boris Johnson sind als extravertierte Narzissten bekannt. Sie hätten es als Bundesratskandidaten wohl schwer. (Archivbild)
Bild: Keystone

Witzig und Vatter führen das darauf zurück, dass wegen des Kollegialitätsprinzips in der Schweiz andere Eigenschaften gefragt sind. Teamplayer*innen hätten bessere Chancen als Einzelkämpfer*innen. Einen starken Durchsetzungswillen und ein grosses Selbstbewusstsein seien weniger gefragt. Wichtiger seien Teamfähigkeit, Kooperationsbereitschaft und Überzeugungskraft.

Ausnahmen bestätigen die Regel

Witzig und Vatter kommen zum Schluss, dass die Bundesversammlung diese Erkenntnis wohl auch verinnerlicht habe. In den letzten Jahrzehnten hätten besonders verträgliche Bundesrätinnen und Bundesräte in Bern politisiert. Abgesehen von wenigen Ausnahmen wie beispielsweise Christoph Blocher, der jedoch unter aussergewöhnlichen Umständen gewählt wurde. Ausnahmen bestätigen bekanntlich die Regel.

Christoph Blocher wurde im Dezember 2003 in den Bundesrat gewählt. Seine Partei, die SVP drohte damit, sich in die Opposition zurückzuziehen, sollte Blocher nicht gewählt werden.
Christoph Blocher wurde im Dezember 2003 in den Bundesrat gewählt. Seine Partei, die SVP drohte damit, sich in die Opposition zurückzuziehen, sollte Blocher nicht gewählt werden.
Bild: Keystone