Vierte Welle Darum landen in der Schweiz weniger Patienten im Spital als in Deutschland

uri

22.11.2021

Rettungskräfte verladen am 19. November 2021 in Bayern einen Covid-19-Intensivpatienten aus einem Hubschrauber der Luftrettung in ein Fahrzeug des Rettungsdienstes.
Rettungskräfte verladen am 19. November 2021 in Bayern einen Covid-19-Intensivpatienten aus einem Hubschrauber der Luftrettung in ein Fahrzeug des Rettungsdienstes.
Bild: Keystone

In Deutschland infizieren sich ähnlich viele Menschen wie in der Schweiz. Trotzdem werden bedeutend mehr Patienten hospitalisiert. Für das Phänomen gibt es einige Ursachen – aber keinen Grund, sich auszuruhen. 

uri

22.11.2021

In Deutschland sind die Intensivstationen in einzelnen Regionen wegen drastisch steigender Corona-Fälle bereits wieder überlastet. Für die Schweiz gab Lukas Engelberger, Präsident der kantonalen Gesundheitsdirektoren-Konferenz, dazu noch in der vergangenen Woche Entwarnung. Auch hierzulande sei es zwar das Ziel, die Spitäler vor einer Überlastung zu bewahren, die Situation sei aber noch tragbar, sagte er auf einer gemeinsamen Medienkonferenz mit Alain Berset am Donnerstag.

Tatsächlich fällt auf, dass in der Schweiz derzeit heruntergerechnet nur rund halb so viele Personen hospitalisiert werden müssen wie in Deutschland. Hier kommen 25 Spitaleinweisungen auf eine Million Einwohner, während es in Deutschland knapp 50 sind, wie die Zeitungen von CH-Medien berichten. Dabei steigt die Kurve bei den Neuinfektionen in beiden Ländern ähnlich stark und Deutschland weist sogar eine etwas höhere Impfquote auf: Waren in der Schweiz am 19. November gut 65 Prozent der Bevölkerung doppelt geimpft, waren es in Deutschland fast 68 Prozent.

Mehr Moderna und Durschseuchung

Vor diesem Hintergrund verblüfft, dass die Schweiz in Sachen Hospitalisierungen derzeit trotzdem deutlich besser dasteht. Wie Jan Fehr, Infektiologe an der Universität Zürich den Zeitungen von CH-Media sagte, sei ein möglicher Grund, dass die Schweiz vor allem den mRNA-Impfstoff von Moderna eingesetzt habe, während man in Deutschland neben Biontech/Pfizer vor allem auch das Vakzin von AstraZeneca verimpft habe.

Der Moderna-Impfstoff wird wegen eines erhöhten Risikos für eine Herzmuskelentzündung derzeit in einigen Ländern zwar nicht für jüngere Männer empfohlen, dafür legen Studien aber auch nahe, dass das Vakzin zu einer grösseren Menge von Antikörpern im Blut führt und womöglich auch geringfügig besser vor Impfdurchbrüchen schützt.

Eine weitere mögliche Ursache könnte laut Fehr sein, dass die Durchseuchung in der Schweiz womöglich weiter fortgeschritten ist als in Deutschland, also mehr Menschen aufgrund einer durchgestandenen Covid-19-Erkrankung bereits einen Immunschutz hätten. Schliesslich wurden in Deutschland in den vergangenen Wellen meist härtere Massnahmen als in der Schweiz gewählt, wodurch dort auch die Infektionsraten geringer waren.

Abwärtsspirale im Gesundheitssystem

Zuletzt könnte ein bereits strapaziertes Gesundheitssystem eine Abwärtsspirale begünstigen, erklärt Fehr. Im Falle eines überlasteten Contact Tracings oder verspäteter Diagnosen werde auch die Therapie verzögert. Das wiederum begünstige schwere Verläufe. «Damit wäre zu erklären, dass dann die Intensivstationen sich in diesen Ländern rascher füllen», so der Infektiologe zu CH Media.

Für Fehr ist ein Vergleich der Schweiz mit Deutschland aufgrund der Grössenunterschiede indes schwer zu vollziehen, wie er zu bedenken gibt. Wenn im viel grösseren Nachbarland die Corona-Zahlen etwa in den östlichen Bundesländern rasant steigen würden, während es in den westlichen noch relativ ruhig bleibe, dann sage der «Durchschnitt nicht viel aus.»

Fehr wie auch sein Tessiner Kollege, der Infektiologe Andreas Cerny, warnen ohnehin davor, man dürfe sich in der Schweiz derzeit nicht ausruhen. Cerny befürchtet im Gespräch mit CH Media nämlich, dass die Schweiz der Entwicklung bei den Nachbarn lediglich wenige Tage hinterherhinkt, weil sich die derzeitige Corona-Welle von Nordosten her über Europa ausbreite. Fehr empfiehlt bereits jetzt, einen «Eskalationsplan» zu entwerfen. Sonst werde man – wie bereits vor einem Jahr – wieder kalt erwischt.