Pipeline ausser Betrieb Was passiert, wenn Putin den Gashahn nicht mehr öffnet?

DPA, smi

11.7.2022

Die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1, durch die seit 2011 russisches Erdgas nach Deutschland fliesst, bleibt wegen planmässiger Wartungsarbeiten für etwa zehn Tage abgeschaltet.
Die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1, durch die seit 2011 russisches Erdgas nach Deutschland fliesst, bleibt wegen planmässiger Wartungsarbeiten für etwa zehn Tage abgeschaltet.
Jens Büttner/dpa

Die Pipeline Nord Stream 1 ist infolge Wartungsarbeiten zehn Tage geschlossen. Was bedeutet das für die Gasversorgung Europas und der Schweiz? Und was, wenn Moskau danach nicht wieder liefert?

DPA, smi

Seit heute Montag fliesst kein Erdgas mehr durch die Pipeline Nord Stream 1 von Russland nach Deutschland. Russland hat die Leitung wegen Wartungsarbeiten vorübergehend ausser Betrieb genommen und dies vor Längerem angekündigt. Trotzdem fragen sich viele: Bleibt es bei den vorgesehenen 10 Tagen Unterbruch oder könnte Russland die Lieferungen durch Nord Stream 1 ganz einstellen? Was würde das für Europa und die Schweiz bedeuten? blue News und die Deutsche Presseagentur haben Antworten auf die wichtigsten Fragen. 

Fliesst über Nord Stream 1 Gas in die Schweiz?

Nord Stream 1 führt vom russischen Wyborg nach Lubmin im deutschen Bundesland Mecklenburg-Vorpommern. Die Schweiz bezieht kein Erdgas direkt aus Russland, sondern russisches Gas über ihre europäischen Partner. So ist die Schweiz direkt vom Lieferstopp nach Deutschland betroffen.

Wie lange wird kein Gas fliessen?

Von 11. bis 21. Juli soll kein Gas fliessen. Entsprechende Arbeiten dauerten laut Betreiber in den vergangenen Jahren zwischen 10 und 14 Tagen. Sie wichen dabei aber auch teilweise von der angesetzten Frist ab. In Modellrechnungen geht die deutsche Bundesnetzagentur von bis zu 14 Tagen aus, hat dabei allerdings schon einen zeitlichen Puffer eingerechnet. Die Arbeiten sollten unter normalen Umständen im geplanten Zeitraum fertiggestellt werden können, hiess es von der Behörde. Daher schaue man auch eher darauf, wie es am 21. oder 22. Juli weitergeht.

Wie viel Gas floss zuletzt durch die Pipeline?

Das russische Staatsunternehmen Gazprom hatte im Juni bereits die Liefermenge durch die mehr als 1200 Kilometer lange Pipeline deutlich gedrosselt und auf Verzögerungen bei Reparaturarbeiten verwiesen. Zuletzt war die Leitung laut der deutschen Bundesnetzagentur nur zu etwa 40 Prozent ausgelastet.

Nach Darstellungen Russlands hingen diese Verzögerungen mit den Sanktionen des Westens gegen Russland zusammen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte die Begründung als vorgeschoben kritisiert. Unter anderem ging es dabei um eine Turbine, die nach der Wartung in Kanada nicht zurück nach Russland geliefert werden konnte. Kanada hat inzwischen aber angekündigt, die Lieferung der gewarteten Turbine aus Montréal trotz der Sanktionen gegen Russland zu ermöglichen.

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Warum sollte dieses Mal länger kein Gas fliessen?

Mitte Juni hatte Russlands EU-Botschafter gesagt, wegen der Probleme bei den Reparaturarbeiten sei auch eine völlige Stilllegung möglich. Eine solche befürchtet unter anderem Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Er sagte kürzlich, man sehe ein Muster, das zu diesem Szenario führen könne. Habeck sprach auch von einer «wirtschaftskriegerischen Auseinandersetzung» mit Russland.

Auch russische Gaslieferungen über andere Leitungen nach Deutschland waren zuletzt deutlich zurückgegangen. Gleichzeitig erhalten mehrere europäische Staaten, die die Regierung in Kiew unterstützen, bereits kein Gas mehr aus Russland, so zum Beispiel Polen und Bulgarien.

Wie wichtig ist die Pipeline für die Gasversorgung?

Die 2011 in Betrieb genommene Pipeline war mindestens in den vergangenen Monaten die Leitung, über die eine deutliche Mehrheit des russischen Gases nach Deutschland geliefert wurde. Andere Pipelines für russisches Erdgas sind die Jamal-Leitung, die im brandenburgischen Mallnow ankommt, und ein über die Ukraine verlaufendes Leitungssystem mit Anknüpfungspunkt im bayerischen Waidhaus.

In Mallnow kommt laut Bundesnetzagentur seit einiger Zeit gar kein Gas mehr an, in Waidhaus ist die Menge zuletzt ebenfalls deutlich gesunken und entsprach schon davor nur einem Bruchteil der in Lubmin ankommenden Menge. Im vergangenen Jahr lag der Anteil russischer Gaslieferungen in Deutschland laut Wirtschaftsministerium bei 55 Prozent, war aber bis Ende April dieses Jahres auf 35 Prozent zurückgegangen.

Wie wichtig ist Nord Stream 1 für die Schweiz?

2021 stammten 43 Prozent des in der Schweiz verbrauchten Gases aus Russland. «Im Moment ist die Gasversorgung stabil», sagt Thomas Hegglin von Gazenergie vom Verband der Schweizerischen Gasindustrie. Das Problem zurzeit ist, dass mit der reduzierten Liefermenge die Gasspeicher für den Winter nicht wie geplant gefüllt werden können. Das kann auch für die Schweiz zum Problem werden. Thomas Grünwald vom Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung bestätigt: «Jede weitere Einschränkung von Gaslieferungen aus dem Osten hätte Folgen für die Versorgung in Europa.»

Die Schweiz hat keine eigenen Gasspeicher, sondern mietet Lagerstätten im nahen Ausland. Wenn die Partnerländer, über die die Schweiz Gas bezieht, zu wenig Gas erhalten und ihre Wintervorräte nicht im nötigen Mass aufbauen können, fehlt auch der Schweiz das Gas, wenn es kalt wird.

Was passiert, wenn Nord Stream 1 dauerhaft geschlossen bleibt?

Ob es ohne Gas von Nord Stream 1 in Deutschland zur Mangellage im Winter kommt, ist unter Experten umstritten. Hegglin ist in Bezug auf die Schweiz sicher, dass dies der Fall wäre. 

Davon unabhängig würde ein andauernder Lieferstopp die Preise wohl weiter steigen lassen. Die von den gedrosselten Lieferungen betroffenen Unternehmen müssen diese schon jetzt zu deutlich höheren Preisen anderweitig am Markt beschaffen. Auch private Verbraucher müssen sich laut Bundesnetzagentur auf deutlich steigende Gaspreise einstellen. Man unterstütze ausdrücklich die Aufforderung, so viel Gas wie möglich einzusparen.

Fliesst bald wieder russisches Gas durch Nord Stream 1?

Fliesst bald wieder russisches Gas durch Nord Stream 1?

Der Präsident der deutschen Bundesnetzagentur, Klaus Müller, wagt keine Prognose, ob nach Ende der Wartungsarbeiten wieder Gas durch die Pipeline Nord Stream 1 fliessen wird.

11.07.2022

Wie erfolgreich ist die Schweiz auf der Suche nach alternativen Gas-Lieferanten?

Gas gelangt nur über Pipelines zu den Verbraucher*innen. Die Umwandlung in Flüssiggas (Liquid Natural Gas, LNG) macht es aber möglich, den Rohstoff aus Gebieten zu beziehen, aus denen keine Leitungen zu uns führen. Verflüssigtes Erdgas lässt sich per Schiff zu LNG-Terminals transportieren und dort ins Pipeline-Netz einspeisen. Die Suche nach alternativen Gas-Quellen beruhe deshalb vor allem auf Flüssiggas, sagt Hegglin.

Im laufenden Jahr sei sehr viel LNG nach Europa gelangt. Dieses sei erstens deutlich teurer als Pipeline-Gas. Zudem würden nun die LNG-Terminals zum Flaschenhals. Das russische Gas durch Flüssiggas zu ersetzen, würde also zumindest kurzfristig an der Kapazität der LNG-Terminals scheitern. Doch auch da passiere zurzeit sehr viel in Europa, nach und nach würden die Terminal-Kapazitäten erweitert, betont Hegglin.

Thomas Grünwald vom Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung fügt an: «Alle Arbeiten in der Schweiz und anderen europäischen Ländern werden mit dem Ziel unternommen, sich von den Gaslieferungen aus Russland unabhängig zu machen. Jüngste Beispiele sind die Bundesratsentscheide für eine Stärkung der Gasversorgung, die Einsetzung einer entsprechenden Taskforce und die Einsetzung einer Kriseninterventionsorganisation für den Gas-Bereich.»