Reaktionen auf Prämien-Hammer«Das Gesundheitssystem ist zu einem Kartell geworden»
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26.9.2024
Die Krankenkassenprämien steigen im kommenden Jahr im Durchschnitt um sechs Prozent. Vor allem Familien leiden darunter. Reaktionen aus der Politik und von Verbänden.
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26.09.2024, 15:02
26.09.2024, 15:33
Lea Oetiker
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Die Krankenkassenprämien steigen 2025 im Schnitt um sechs Prozent.
Die Krankenkassenprämien steigen 2025 im Schnitt um sechs Prozent. Die mittlere Monatsprämie wird 378.70 Franken betragen. Das schockt viele. Die ersten Reaktionen aus der Politik und von Verbänden:
Die Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte:
Die Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte (FMH) bedauert den Anstieg der Krankenkassenprämien. Dieser sei nicht nötig. Bereitliegende Reformen könnten schon länger den Prämienanstieg dämpfen.
Eine einheitliche Finanzierung der Gesundheitsleistungen könne die ambulante Medizin sowie die Pflege stärken. Ausserdem würden die Koordination im Gesundheitswesen gefördert und die Prämienzahlenden entlastet, teilte der FMH am Donnerstag mit. Dafür nötig sei die Annahme der entsprechenden Änderung des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (KVG) durch das Schweizer Stimmvolk im November.
Andererseits könne mit der ambulanten Tarifrevision eine sachgerechte und aktualisierte Tarifierung ermöglicht werden, hiess es weiter.
Der Krankenkassen-Verband Santésuisse:
Der Krankenkassen-Verband Santésuisse fordert kostendämpfende Massnahmen. Diese seien dringen nötig, um weitere starke Prämienanstiege zu vermeiden, teilte der Branchenverband am Donnerstag mit.
«Die Prämienerhöhung um sechs Prozent ist sehr schmerzhaft für die Versicherten, deshalb ist es sehr wichtig, sofort kostendämpfende Massnahmen einzuleiten, wie zum Beispiel die Reduktion der Preise für Medikamente und Laboranalysen und eine überregionale Spitalplanung», sagte Verena Nold, Direktorin von Santésuisse, auf Anfrage der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.
Weiter soll die Rolle der Kantone im Gesundheitswesen entflechtet, die Bürokratie abgebaut und der Ausbau des Leistungskatalogs in der Grundversicherung gestoppt werden, hiess es.
Der Konsumentenschutz:
Die Stiftung für Konsumentenschutz sieht in den steigenden Krankenkassenprämien eine enorme Belastung für Haushalte mit tieferen und mittlerem Einkommen. Die neuen Preise würden ein Gesundheitsrisiko nach sich ziehen, da immer mehr Menschen aus finanziellen Gründen auf notwendige medizinische Behandlungen verzichteten.
Im Jahr 2023 sei dies bei einem Fünftel der Schweizer Bevölkerung der Fall gewesen, teilte der Konsumentenschutz am Donnerstag auf Anfrage der Nachrichtenagentur Keystone-SDA mit. Das sei ein Armutszeugnis für ein wohlhabendes Land wie die Schweiz.
Der Konsumentenschutz fordert Bundesrat und Parlament dringend zum Handeln auf. Massnahmen wie ein Referenzpreissystem für Generika, höhere Prämienverbilligungen und unabhängige Kontrollen gegen fehlerhafte Spital- und Arztrechnungen könnten die Kosten dämpfen.
Den Konsumentinnen und Konsumenten bleibe nur die Möglichkeit, einen Wechsel des Versicherungsmodells oder Krankenkasse, um Geld zu sparen, so der Konsumentenschutz.
Comparis will mehr Spielraum für alternative Versicherungsmodelle:
Der Online-Vergleichsdienst Comparis fordert vom Parlament mehr Spielraum für alternative Versicherungsmodelle. Es sei wichtig, dass Krankenkassen und medizinische Leistungserbringer mehr Möglichkeiten haben im Krankenversicherungsgesetz.
«Dieser dritte Prämienschock in Folge bringt viele Versicherte in finanzielle Schwierigkeiten. Das gilt besonders für Familien, die bisher keine individuelle Prämienverbilligung erhalten haben», liess sich Comparis-Krankenkassenexperte Felix Schneuwly in einem Communiqué vom Donnerstag zitieren. Auch Hypothekarzinsen, Mieten, Energie- und Lebensmittelpreise seien in den letzten Jahren gestiegen.
GDK-Präsident Engelberger setzt auf überregionale Spitalplanung:
Lukas Engelberger (Mitte) sieht als Präsident der Gesundheitsdirektorenkonferenz alle Akteure im Gesundheitswesen für Kostendämpfungsmassnahmen in der Pflicht. Die am 24. November zur Abstimmung stehende Regelung zur einheitlichen Finanzierung von ambulanten und stationären Leistungen bezeichnet er als grossen Schritt vorwärts.
Engelberger steht dem Prämienwachstum um schweizweit 6 Prozent pragmatisch gegenüber. Im Grundsatz folge die Prämienentwicklung der Kostenentwicklung, gab der Basler Gesundheitsdirektor nach Bekanntgabe der Zahlen vom Donnerstag gegenüber der Nachrichtenagentur Keystone-SDA zu Protokoll. «Um die Prämienbelastung zu reduzieren, muss deshalb auch das Kostenwachstum eingedämmt werden.»
Dazu komme, dass ein grosser Teil des Anstiegs Faktoren geschuldet sei, die von der Gesundheitspolitik nicht beeinflusst werden könne. so Engelberger weiter. Dazu gehörten die demografische Entwicklung, die allgemeine Teuerung, die erhöhten Aufwände der Leistungsbringer angesichts des Fachkräftemangels oder das Wechselverhalten der Versicherten.
Als Chance zur Eindämmung des Gesundheitskosten bezeichnete Engelberger die anstehende Abstimmung zur Regelung einer einheitliche Finanzierung von ambulanten und stationären Leistungen, hinter der die Kantone stünden. «Mit der einheitlichen Finanzierung würden unter anderem Hindernisse für die kostendämpfende Verlagerung vom stationären in den ambulanten Bereich aus dem Weg geräumt.»
Die zum Teil kostentreibende Spitalplanung sieht Engelberger nach wie vor bei den Kantonen in den richtigen Händen. Dem Bund fehle die Nähe zum Versorgungsgeschehen. Allerdings lasse sich die Zusammenarbeit über die Kantonsgrenzen hinweg noch ausbauen.
Die Mitte fordert wirksame Reformen:
Die Mitte ist besorgt über den Anstieg der Krankenkassenprämien. Der Mittelstand und die Familien litten schon jetzt unter den steigenden Prämien und Lebenshaltungskosten. Man müsse nun handeln.
Die Partei habe ihr Forderungen und Massnahmen in einem Gesundheitsmanifest zusammengefasst, teilte die Partei auf X mit. «Das Gesundheitssystem ist zu einem Kartell geworden, in dem sich die Akteure gegenseitig decken und Kosteneinsparungen verhindern», wurde Parteipräsident Gerhard Pfister in der Mitteilung zitiert. Es sei höchste Zeit für wirksame Reformen.
Die Mitte ist zutiefst besorgt über den #Prämienanstieg für 2025. Mittelstand und die Familien leiden schon jetzt unter den steigenden Prämien. Wir müssen jetzt handeln, um die Gesundheitskosten und damit die Prämien nachhaltig zu senken! Communiqué👇https://t.co/vYN0rSmbqq
Die Kosten würden explodieren, weil das Gesundheitssystem unfähig sei, sich zu reformieren.
SP und Grüne wollen gerechtere Finanzierung der Krankenversicherung:
Die SP zeigt sich über die neuerliche Erhöhung der Krankenkassenprämien schockiert. Für die Sozialdemokraten ist klar, dass die Prämien gedeckelt und solidarischer finanziert werden müssen, um die Kaufkraft der Menschen in der Schweiz zu schützen. Die Grünen wollen eine sofortige Einführung von einkommens- und vermögensabhängigen Krankenkassenprämien.
Immer mehr Menschen würden in finanzielle Schwierigkeiten geraten, teilte die SP am Donnerstag mit. In den letzten 20 Jahren hätten sich die Prämien mehr als verdoppelt, während Löhne und Renten kaum gestiegen seien. Das Parlament dürfe nicht länger wegschauen.
Auch die Prämienexplosion 2025 geht voll zulasten der Bevölkerung. Gerade vor dem Hintergrund des Abbauprogramms von Karin Keller-Sutter ist klar: Die Prämien müssen gedeckelt und solidarischer finanziert werden, um die Kaufkraft der Menschen zu schützen. https://t.co/N6e8LJv4iT
Die Bevölkerung bezahle auf Kosten der Versicherungs- und Pharmaindustrie, hiess es weiter. Letztere wehre sich gegen die Kostendämpfungen im Gesundheitswesen. Die Mitte-rechts-Mehrheit im Ständerat fungiere als Handlangerin der Versicherungs- und Pharmalobby, so die SP weiter.
Mit der Motion Weichelt fordern die Grünen die Einführung von einkommens- und vermögensabhängigen Krankenkassenprämien, wie die Partei mitteilte. Damit könne das ungerechte System der Kopfprämien aus dem Weg geschafft werden. Ein Beispiel dafür sei die Unfallversicherung, die schon jetzt an den Lohn gekoppelt ist.
Spitäler der Schweiz fordern umgehende Reformen:
Die Spitäler der Schweiz (H+) nehmen die Prämienerhöhung für das Jahr 2025 mit Besorgnis zur Kenntnis. Die finanzielle Situation der Spitäler und Kliniken verschlechtere sich stetig, weshalb griffige und umgehende Reformen nötig seien. Dies teilte der Verband am Donnerstag mit.
Ohne eine faire Finanzierung mit kostendeckenden Tarifen könnten die Spitäler ihr gewohntes Versorgungsangebot nicht aufrechterhalten, schrieb der Verband. Ein wichtiger Faktor, um das Kostenwachstum zu bremsen, sei die Förderung der Ambulantisierung. Aufgrund von finanziellen Fehlanreizen sei die Zahl der ambulanten Eingriffe in der Schweiz nach wie vor zu tief. Das vorhandene Sparpotenzial werde laut H+ nicht genutzt.
FDP will alternative Versicherungsmodelle stärken
Mit der einheitlichen Finanzierung von ambulanten und stationären Leistungen will die FDP unnötige Spitalaufenthalte durch zeitgemässe ambulante Eingriffe ersetzen. Dies führe zu einer Reduktion der Gesundheitskosten von 440 Millionen Franken pro Jahr.
Die FDP habe einen Katalog mit zahlreichen Massnahmen für eine qualitativ hochstehende, digitalisierte und langfristig bezahlbare Gesundheitsversorgung verabschiedet, teilte die Partei am Donnerstag mit. Die Eigenverantwortung der Bürgerinnen und Bürger dürfe nicht immer durch neue Regulierungen und Verstaatlichungen untergraben werden.
Das Gesundheitssystem solle Qualität belohnen und überflüssige Eingriffe vermeiden, hiess es weiter. Das Umverteilen von Geld, wie es die SP, SVP und die Gewerkschaften wollen, sei schädlich für alle Steuerzahlerinnen und Steuerzahler.