AHV-ReformDas Parlament einigt sich, doch nun beginnt der Streit vor der Abstimmung
Von Anna Kappeler
15.12.2021 - 15:13
Nach teils gehässiger Diskussion im Parlament steht die AHV-Reform. Das Referendum ist bereits angedroht. Warum die Altersvorsorge auch dich angeht, erfährst du in unseren Fragen und Antworten.
Keystone-SDA, Von Anna Kappeler
15.12.2021, 15:13
15.12.2021, 15:57
Anna Kappeler
Warum braucht es eine neue Reform der AHV?
Die Bevölkerung wird zunehmend älter. Das heisst, wir alle brauchen nach der Pensionierung länger Geld. Laut Berechnungen des Bundes benötigt die Alters- und Hinterbliebenenversicherung (AHV) bis 2030 26 Milliarden Franken.
Um das zu erreichen, muss die AHV saniert werden. Gleichwohl sind in den vergangenen Jahren alle Bemühungen, die AHV zu sichern, gescheitert. Die letzte Reform fand 1997 statt.
Die Linke kritisiert die Anhebung des Frauenrentenalters auf 65 Jahre. Die AHV werde auf dem Buckel der Frauen stabilisiert, hiess es etwa. SP und Grüne haben denn auch gegen die Revision gestimmt. Die Mehrheit sieht das anders: Der Entscheid fiel in der grossen Kammer mit 121 zu 61 Stimmen, in der kleinen Kammer mit 31 zu 10 Stimmen bei 3 Enthaltungen.
SP und Grüne wollen das Gesetz auch am Freitag in der Schlussabstimmung ablehnen. Kommt das Gesetz durch, was anzunehmen ist, wollen sie dagegen das Referendum ergreifen. Nur Minuten nach den Abstimmungen im Parlament haben auch die Gewerkschaften angekündigt, dass sie dieses ergreifen werden.
Der Urnengang findet voraussichtlich im September 2022 statt. Der Abstimmungskampf dürfte heftig und emotional werden. Und sich vor allem um die Frauen drehen.
Was also bedeutet die Reform für die Frauen?
Frauen sollen neu bis 65 arbeiten, so wie die Männer. Heute werden Frauen mit 64 pensioniert. Neun Frauenjahrgängen, die von dieser Erhöhung betroffen sind, wird die Anhebung kompensiert. Falls die Reform im Jahr 2023 in Kraft tritt, sind das Frauen der Jahrgänge 1960 bis 1968.
Das Rentenalter der Frauen wird in Schritten von drei Monaten pro Jahr angehoben. Durch diese Massnahme sollen innerhalb von zehn Jahren 10 Milliarden Franken gespart werden können.
Um wie viel Geld geht es für diese neun Jahrgänge?
Um maximal 160 Franken. Das gilt für Frauen mit einem Einkommen bis 57'360 Franken. 100 Franken gibt es für ein Einkommen zwischen 57'361 Franken und 71'700 Franken und 50 Franken für ein Einkommen ab 71'701 Franken.
Wie viel Geld bekommen alle anderen Frauen?
Hier setzt die Kritik von Links an: Alle Frauen, die nach diesen neuen Übergangsjahrgängen pensioniert würden, bekämen keine Kompensation, sagte Nationalrat und Gewerkschaftspräsident Pierre-Yves Maillard (SP/VD) gegenüber Radio SRF. Und folglich weniger Rente. «Das ist eine reine Sparübung zu Lasten der Frauen.»
Nationalrätin Barbara Gysi (SP/SG) ergänzte gegenüber Radio SRF:
«Dass Frauen die Zeche bezahlen müssen, während sie auf dem Arbeitsmarkt vielfach benachteiligt sind, ist inakzeptabel.»
Barbara Gysi
Nationalrätin (SP/SG)
Der Teufel steckt im Detail. Was sind Streitpunkte?
Zuletzt offen war die Frage, ob diese Zuschläge bei der Berechnung von allfälligen Ergänzungsleistungen hinzugerechnet werden müssen. Auf gut Deutsch: Wird eine Frau mit einer tiefen Rente pensioniert, kann sie Ergänzungsleistungen beantragen. Doch bekommt sie wegen des Zusatzes weniger Ergänzungsleistungen? Oder bleibt der Zusatz ein Zusatz? Dazu fragte Nationalrat Thomas de Courten (SVP/BL) für die Kommission:
«Sollen wir die Zuschläge für die Übergangsgenerationen bei Ergänzungsleistungen anerkennen oder nicht?»
Thomas de Courten
Nationalrat (SVP/BL)
Die Räte entschieden, dass die Zuschläge nicht angerechnet werden sollen, damit die Ergänzungsleistung nicht gekürzt wird.
Dazu nochmals Sprecher de Courten im Nationalrat: «Bei den tiefen Einkommen für Frauen in der Übergangsgeneration sollen die Zuschläge dort ankommen, wo sie hingehören.» Und sein Kommissionkollege aus dem Ständerat Erich Ettlin (Mitte/OW) sagte seinerseits, warum das keinen Sinn machen würde:
«Die Jahrgänge mit unteren Einkommen würden zwar den Rentenzuschlag erhalten, aber auch weniger Ergänzungsleistung.»
Erich Ettlin
Ständerat (Mitte/OW)
Was, wenn eine Frau früher in Rente gehen will?
Das kann sie – frühestens ab 62. Ihr wird dann die Rente gekürzt, allerdings in geringerem Mass als bisher. Beim Vorbezug gilt: Je früher die Frau aus dem Arbeitsmarkt ausscheidet, desto mehr muss sie dafür Rentenkürzungen in Kauf nehmen.
Konkret?
Frauen in der tiefsten Lohnklasse können weiterhin ein Jahr früher in Pension gehen, ohne dass ihre Rente gekürzt wird. Wenn sie zwei Jahre früher pensioniert werden wollen, wird die Rente um 2 Prozent gekürzt und bei drei Jahren um 3 Prozent.
Für Frauen mit mittleren Einkommen wird die Rente um 2,5 Prozent bei 64 Jahren, 4,5 Prozent bei 63 Jahren und 6,5 Prozent bei 62 Jahren gekürzt.
Für Gutverdienerinnen gelten Kürzungssätze von 3 Prozent bei einem Jahr Vorbezug, 6,5 Prozent bei zwei Jahren und 10,5 Prozent bei drei Jahren.
Wie erfolgt die Auszahlung?
In den ersten drei Jahren ist diese progressiv. Im vierten und fünften Jahr gibt es den vollen Zuschlag. In den nächsten vier Jahren sinkt der Zuschlag wieder. Ab dem zehnten Jahr gibt es keinen Zuschlag mehr.
Das Parlament beschloss zudem, dass der Zuschlag ausserhalb des AHV-Rentensystems gewährt wird. Er unterliegt daher nicht der Rentenobergrenze für verheiratete Frauen.
Okay. Und war da nicht noch was mit der Mehrwertsteuer?
Genau. Wegen der Ausgleichsmassnahmen fehlt der AHV gleich wieder Geld, das ja eingespart werden soll. Deshalb wird die Mehrwertsteuer von heute 7,7 Prozent um 0,4 Prozentpunkte angehoben. Diese Massnahme soll etwa 1,4 Milliarden Franken pro Jahr einbringen. Dass das Stimmvolk das letzte Wort haben wird, steht allein deshalb fest, weil für die Erhöhung der Mehrwertsteuer die Verfassung geändert werden muss.
Umstritten war zudem die Frage, ob der Gewinn der Schweizerischen Nationalbank aus den Negativzinsen zur Finanzierung der AHV verwendet werden soll. Das Parlament sprach sich schliesslich wegen der Unabhängigkeit der Bank dagegen aus.
Zusammenfassend: Was heisst das finanziell für die AHV?
Kommt die Reform so durch, wird sie wegen des Kompensationsmodells von 2024 bis 2032 Kosten in Höhe von rund 3,252 Milliarden Franken verursachen. Dies entspricht etwa einem Drittel der Einsparungen, die durch die Erhöhung des Rentenalters erzielt werden. Summieren kann man dazu dann wieder die etwa 1,4 Milliarden Franken pro Jahr der höheren Mehrwertsteuer.
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