Zersiedelungsinitative Die Zukunft nicht verbauen

Valerie Zaslawski

30.1.2019

Die Initiative will Zersiedelung mit starren Grenzen bekämpfen.
Die Initiative will Zersiedelung mit starren Grenzen bekämpfen.
Archivbild: Keystone/Laurent Gillieron

Die Gegner der Zersiedelungsinitiative werden immer zahlreicher, ihre Argumente immer lauter: Das Volksbegehren sei zu radikal und komme zum falschen Zeitpunkt.

Die Unterstützung für die Zersiedelungsinitiative der Jungen Grünen bröckelt. Wäre bereits im Januar abgestimmt worden, so hätten laut der zweiten SRG-Umfrage nur noch 47 Prozent der Stimmenden Ja gesagt zu einem schweizweiten Einfrieren der Bauzonen. Das sind 16 Prozent weniger als noch im Dezember.



Ein Nein zur Initiative am 10. Februar wird demnach wahrscheinlicher. Das Volk scheint die Idee nicht zu überzeugen, nur noch dann Bauland einzuzonen, wenn andernorts gleichviel Land aus der Bauzone ausgezont wird. Ausserdem wären Neubauten in der Landwirtschaftszone nur noch sehr bedingt möglich.

Auch auf dem politischen Parkett stehen die Initianten ohnehin mit wenig Rückhalt da: Bundesrat und Parlament empfehlen die Vorlage zur Ablehnung. Nur die grüne Fraktion hat dem Geschäft geschlossen zugestimmt; die SP war gespalten.

Einschränkung der Entwicklung?

Den Gegnern ist die Initiative ganz einfach zu radikal. Sie halten dagegen, dass die Schweiz noch nicht fertig gebaut ist. Vielmehr muss sich das Land darauf einstellen, weiter Platz zu schaffen für eine wachsende Bevölkerung und Wirtschaft. Dabei ist umstritten, ob der geforderte Einzonungsstopp mit dem erwarteten Bevölkerungswachstum realistisch ist. Oder ob er die Entwicklung in der Schweiz stark einschränken, die Ansiedlung von neuen Betrieben erschweren und dem Wirtschaftsstandort Schweiz schaden würde.



Die Initianten spekulieren darauf, dass das Bevölkerungswachstum der Schweiz durch die bestehenden 40’500 Hektaren Bauland-Reserven aufgefangen werden könnte. Wenn diese mit der gleichen Dichte wie heute überbaut würden, sollte es in der Schweiz Platz für weitere 1,5 Millionen Einwohner geben.

Die Gegner argumentieren, dass bei einer Annahme der Initiative die verfügbaren Bauzonen spätestens 2040 ausgeschöpft wären. Dann wird die Schweiz gemäss Prognosen die 10-Millionen-Einwohner-Marke überschreiten.

Der falsche Zeitpunkt

Die Gegner argumentieren zudem, dass die Initiative zum falschen Zeitpunkt kommt. Die Schweiz sei mit der Umsetzung des 2013 vom Stimmvolk angenommenen Raumplanungsgesetzes längst auf dem richtigen Weg, lautet das Argument. Die Zersiedelung sollte gedrosselt werden, ohne künftige Entwicklungen zu verunmöglichen.

So dürfen die Kantone nur noch Bauzonen für den Bedarf der nächsten 15 Jahre ausscheiden, ausserdem müssen sie überdimensionierte Baulandreserven verkleinern. Damit sollte nicht zuletzt die Ungerechtigkeit in der Verteilung von Bauzonen reduziert werden. So hat beispielweise Zürich zu wenig und das Wallis zu viele Reserven.

Selbst die SP ist skeptisch

Die Gegner der Initiative argumentieren, die Rückzonungen seien weitreichender als das Einfrieren von Bauzonen. Deren Befürworter empfinden die bereits ergriffenen Massnahmen hingegen als zu lasch. Während der Parlamentsdebatte sagte beispielsweise der grüne Nationalrat Bastien Girod: «Die Gemeinden können nach wie vor jedes Mal, wenn sie das Gefühl haben, sie wollten ein neues Industriequartier einrichten, einfach Bedarf nachweisen, einzonen – und weiter geht die Zersiedelung.»

Unabhängig davon, wie griffig die geforderten Massnahmen sind: Selbst SP-Vertreter wie der Basler Nationalrat Beat Jans, welche das Anliegen grundsätzlich unterstützen, argumentierten, dass die Initiative der Umsetzung des Raumplanungsgesetzes in die Quere kommen würde. So haben die Kantone noch bis Ende April Zeit, ihre Richtpläne entsprechend anzupassen.

Bauland umverteilen

Während das Raumplanungsgesetz mit seinen Richtplänen also eine kantonsübergreifende Raumplanung verlangt, schlägt die Initiative eine Kompensation von Bauland pro Kanton vor, bei welcher Bauzonen umverteilt werden dürfen.

Ein Instrument für die Kompensation könnte nach Einschätzung der Initianten eine nationale Handelsplattform für Bauzonen sein. Der Walliser CVP-Ständerat Beat Rieder hält davon nichts: «Wir wären dann im Bereich einer Planungswirtschaft, welche mit Zwangsmitteln die Entwicklung einzelner Kantone bremsen müsste, um die Entwicklung anderer Kantone aufzufangen.»

Hier wittert so manch einer eine Ungerechtigkeit der Initiative: Ein interkantonaler Tauschhandel würde die falschen Kantone belohnen, findet denn beispielsweise der Luzerner FDP-Nationalrat Peter Schilliger – nämlich diejenigen, die in der Vergangenheit übermässig Bauzonen ausgeschieden hätten.

Befürchtet wird aber auch, dass sich die Bautätigkeit durch die Initiative in abgelegene Gebiete verlagern könnte, was die Zersiedelung noch verstärken würde. Der Berner BDP-Nationalrat Hans Grunder meint, durch das Verbot neuer Bauzonen würden die ländlichen Gebiete zu einem Heidiland verkommen. In den Städten hingegen, wo der Boden knapp ist, würden Grundstücks- und Wohnungspreise steigen. Girod hält dagegen: Die steigenden Bodenpreise hingen mehr von der Lage als von der Knappheit ab.

Bauen ausserhalb der Bauzone

Besonders Kopfzerbrechen bereitet sowohl Gegnern als auch Befürwortern der Initiative schliesslich das Bauen ausserhalb der Bauzone, also in der Landwirtschaftszone.

Insbesondere den Landwirten passen die restriktiven Forderungen der Initianten nicht. So müssten sie bei einer Annahme der Vorlage auf teurere Industrie- und Gewerbezonen ausweichen, was die Entwicklung der Landwirtschaftsbetriebe einschränken würde. Der Bauernverband lehnt die Initiative folglich ab.

Ohnehin wird sich beim Bauen ausserhalb der Bauzone einiges ändern. Denn: Die zweite Etappe der Raumplanungsgesetzrevision ist bereits unterwegs. Mit ihr soll der Grundsatz der Trennung von Bauzone und Nichtbauzone gestärkt und die Kriterien klarer festgelegt werden. Die Schlupflöcher für Ausnahmeregeln, welche das Parlament in den vergangenen Jahren geschaffen hat, soll so gestopft werden. Einen gewissen Spielraum werden die Kantone aber behalten.

Und so sind sich immerhin die Initianten einig: Die Zeit ist reif für eine Volks­initiative als nötiges Korrektiv.

Bilder aus der Schweiz
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