Mehr Macht im Kampf gegen Extremisten «Der Nachrichtendienst darf keinen Blanko-Scheck erhalten»

Von Alex Rudolf (Text), Christian Thumshirn (Video)

22.5.2022

«Der Nachrichtendienst darf keinen Blanko-Scheck erhalten»

«Der Nachrichtendienst darf keinen Blanko-Scheck erhalten»

Der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) soll mehr Freiheiten erhalten, wenn es um die Ermittlung gegen gewalttätige Extremisten geht. Mit zahlreichen Fehltritten über die vergangenen Monate, stellt sich aber die Frage: Ist nun der richtige Zeitpunkt?

20.05.2022

Geht es um Ermittlungen gegen gewaltbereite Extremisten, soll der Geheimdienst mehr Freiheiten bekommen. Nach zahlreichen Fehltritten in den letzten Monaten stellt sich die Frage: Ist nun der richtige Zeitpunkt?

Von Alex Rudolf (Text), Christian Thumshirn (Video)

Der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) soll mehr Möglichkeiten erhalten, um gewalttätigen Extremismus zu verhindern. Am Donnerstag schickte Verteidigungsministerin Viola Amherd (Die Mitte) einen Gesetzesentwurf in die Vernehmlassung. Demnach soll der Geheimdienst die Computer und die Telefongespräche von gewalttätigen oder gewaltbereiten Extremist*innen überwachen dürfen. Eine Massnahme, für die es heute eine Bewilligung braucht.

Dass der Schutz der Privatsphäre in der Schweiz ein hohes Gut ist, zeigt die Hitzigkeit der öffentlichen Debatte, wenn es um dieses Thema geht. Zuletzt im vergangenen Jahr, als das Gesetz über die polizeilichen Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus (PMT) vom Stimmvolk klar mit fast 60 Prozent Ja-Anteil angenommen wurde. Damals standen die teils schwammigen Formulierungen der Vorlage, aber auch die vorsorgliche Anwendung des Gesetzes in der Kritik.

Ob der Zeitpunkt für die Vernehmlassung für ein solches Gesetz der richtige ist, ist fraglich. So sorgte der NDB dieses Jahr bereits mehrmals für Negativschlagzeilen. Der Bundesrat lancierte im Januar eine Untersuchung, weil die Cyberspezialist*innen des NDB zwischen 2015 und 2020 mutmasslich Informationen über potenzielle Angreifer sammelten, ohne dafür eine Genehmigung zu haben. 

Gesichtserkennung und Anti-Sexismus-Workshop

Auch der Einsatz von Software zur Gesichtserkennung ist bei Rechtsexpert*innen umstritten. Neben vier Kantonspolizeien nutzt aber auch der NDB solche, um etwa zu kontrollieren, ob ihm bekannte Personen in die Schweiz einreisen.

Dieser Methode fehle die rechtliche Grundlage, sagte Strafrechtsprofessorin Monika Simmler in der «Rundschau» des SRF. Bereits drei Nichtregierungsorganisationen lancierten eine Petition gegen die Nutzung solcher Software.

Und im April wurde bekannt, dass nicht nur in Sachen Fachlichkeit offene Fragen bestehen, sondern auch die Betriebskultur zu wünschen übrig lässt. So vermeldete das «SRF», dass die Angestellten einen Anti-Sexismus-Workshop absolvieren müssen. Denn eine interne Arbeitsgruppe kam zum Schluss: «Der Sexismus beeinträchtigt das reibungslose Funktionieren des NDB.»

Sollte diese Organisation tatsächlich mit mehr Kompetenzen ausgestattet werden? «Die Fälle von unrechtmässiger Überwachung kamen zwar erst dieses Jahr ans Licht, doch liegen sie schon länger zurück», sagt Ida Glanzmann (Die Mitte/Luzern). Sie ist Mitglied der Sicherheitspolitischen Kommission und setzt sich für einen starken Nachrichtendienst ein.

«Würde man allen Datenschutz-Forderungen nachkommen, müssten wir gar keinen Nachrichtendienst mehr haben.»

Ida Glanzmann-Hunkeler, Nationalraetin CVP-LU, portraitiert am 4. Dezember 2019 in Bern. (KEYSTONE/Gaetan Bally)

Ida Glanzmann

Nationalrätin (Die Mitte/LU)

In der Kommission habe sie immer wieder Mängel bei den Ermittlungsmöglichkeiten des NBD gesehen. So habe es regelmässig Sachverhalte gegeben, denen er nicht auf den Grund gehen konnte. «Das Volk hat dieses Bedürfnis mit seiner Zustimmung zum PMT im vergangenen Jahr anerkennt», sagt Glanzmann weiter.

Es kommt auf präzise Formulierungen an

Anders sieht dies Tobias Vögeli. Er sass im vergangenen Jahr im Gegenkomitee zum PMT-Gesetz und in der Taskforce der GLP zur Sicherheitspolitik. Zwar sei es noch zu früh für eine detaillierte Einschätzung, doch teilt er blue News seine ersten Eindrücke mit. «Angesichts der vom NDB begangenen Gesetzesverstösse tut sich tatsächlich eine Spannungsfeld auf», sagt er. 

«Hier nimmt der NDB Leute ins Visier, die noch gar nichts verbrochen haben.»

Tobias Vögeli

Gegenkomitee zum PMT-Gesetz

Dass es sich bei den neuen Kompetenzen im Kern um Massnahmen zur Prävention handelt, mache sie besonders heikel. «Denn hier nimmt der NDB Leute ins Visier, die noch gar nichts verbrochen haben.» Dies sei zwar richtig, aber man müsse genau hinschauen und es brauche funktionierende Kontrollen.

Bei der Weiterbearbeitung des Gesetzes komme es darauf an, dass präzise Formulierungen benutzt werden. «Der Nachrichtendienst darf keinen Blanko-Scheck erhalten.»

Zu Zeiten des Fichenskandals versagten die Kontrollen komplett

Dass gewisse Massnahmen aktuell zur Beschaffung von Informationen über Gewalt-Extremist*innen bewilligungspflichtig sind, hängt mit dem Fichenskandal zusammen. So legte der Geheimdienst bis zum Ende des Kalten Krieges knapp 900'000 Dossiers über Personen an, die vornehmlich aus dem politisch linken Lager stammten. In den späten 1980er-Jahren wurde dies öffentlich. In der Folge war der Gesetzgeber vorsichtig. Um über Menschen aufgrund ihrer politischen Gesinnung Informationen zu erlangen, brauchte der NBD fortan die Erlaubnis.

Für Vögeli steht fest, dass es gut funktionierende Kontrollen braucht. «Es braucht solche, die besser funktionieren als die aktuellen und vor allem solche, die massiv besser funktionieren als jene von früher. Denn damals versagten sie komplett»

«Die Gegner*innen des Geheimdienstes werden in jeder Vorlage Angriffsfläche finden», ist Glanzmann überzeugt. Doch könne es nicht das Ziel sein, die Vorlage derart aufzuweichen, dass die Arbeit des NDB behindert oder nutzlos wird. «Würde man allen Datenschutz-Forderungen nachkommen, müssten wir gar keinen Nachrichtendienst mehr haben.»

Würden sich Gegner*innen mit ähnlichen Forderungen gegen das Nachrichtendienstgesetz wenden, wie sie sich gegen das PMT gestellt hätten, werde der Schutz der Täter höher gewichtet als der Schutz der Schweizer Bevölkerung, ist Glanzmann überzeugt: «Und das will ich nicht, ich will dem Nachrichtendienst mehr Kompetenzen geben.» Dies wurde auch in mehreren parlamentarischen Vorstössen gefordert.

Für Vögeli ist eine Volksabstimmung nicht zwingend. «Wenn Bundesrat und Parlament über das notwendige Fingerspitzengefühl verfügen, kann eine gute Vorlage entstehen, die Sicherheit, Prävention und Freiheit vereint.»