Grossvieh im Visier «Der Wolf ist gekommen, um zu bleiben»

lpe

9.8.2022

Die Gruppe Wolf Schweiz schätzt, dass die Schweiz bis zu 800 Rudel beherbergen könnte – dann würde das Wachstum aus natürlicher Regulation stagnieren. 
Die Gruppe Wolf Schweiz schätzt, dass die Schweiz bis zu 800 Rudel beherbergen könnte – dann würde das Wachstum aus natürlicher Regulation stagnieren. 
Keystone/Steffen Schmidt

Schafe, Ziegen und jetzt auch Rinder und Mutterkühe: Die Schweizer Wölfe wenden auf der Jagd grösseren Kalibern zu. Besonders heftig zu spüren bekommt dies der Kanton Graubünden, wo bereits acht Rudel siedeln. 

lpe

9.8.2022

Ein Rind auf der Alp Brändlisberg im St. Gallischen dieses Wochenende.

Zwei Rinder in den Waadtländer Alpen im Juli.

Zwei Mutterkühe innerhalb von fünf Tagen im Kanton Graubünden im Monat davor.

Die Wölfe nehmen immer häufiger nicht nur Schafe und Ziegen, sondern auch Grossvieh ins Visier. Die Tötung einer ausgewachsenen Mutterkuh sei eine «absolut neue Dimension», sagte der Amtsleiter für Jagd und Fischerei, Adrian Arquint, im Juli der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.

Viele Voraussetzungen müssen erfüllt sein für den Abschuss 

Doch wann ist es ein Riss zu viel – wann darf ein Wolf abgeschossen werden?

Dafür gelten klare Vorgaben: Entweder muss ein einzelner Wolf mindestens innerhalb von vier Monaten zehn Schafen oder Ziegen oder zwei Stück Grossvieh gerissen haben – dass ein einzelner Übeltäter hinter den Attacken steht, sei zumeist schwierig zu beweisen, sagt Dominik Thiel, Leiter Amt für Natur, Jagd und Fischerei im Kanton St. Gallen, dem «St. Galler Tagblatt».

Die gerissenen Tiere müssten zudem genügend geschützt gewesen sein, die Verantwortlichen die Herdenschutzmassnahmen erfüllen, die Bund und Kantone je nach Nutztier vorsieht. Zudem darf in Jagdbanngebieten nicht geschossen werden.

In St. Gallen sind darum die Voraussetzungen für einen Abschuss nicht erfüllt, obwohl neben des Rinds bereits 16 Schafe und 15 Ziegen gerissen wurden – weil diese nicht genügend geschützt waren.

Regulation über Jungwölfe – doch reicht das?

Ganz anders in Graubünden: Stand 4. August starben in diesem Jahr 243 Nutztiere durch 61 Wolfsangriffe, wie der Kanton in seinem Quartalsbericht vermeldet. Und die Population wächst: Am Montag meldeten die kantonalen Behörden, dass sich ein weiteres Rudel gebildet habe – das achte bereits in Graubünden.

Und auch die bestehenden Rudel pflanzen sich fort – darunter das Beverin-Rudel: Vier zuvor unbekannte Welpen sind erst kürzlich in eine Fotofalle getappt, der vierte Nachwuchs. Das Rudel ist besonders berüchtigt: Die Wölfe schafften es, die Herdenschutzmassnahmen wie Zäune und Hunde zu umgehen, erklärt Adrian Arquint, Amtsleiter für Jagd und Fischerei, der Agentur Keystone-SDA.

Darum wurden am 1. August zwei männliche Jungwölfe des Rudels erlegt, deren Tötung das Bundesamt für Umwelt bewilligt hatte, weitere Abschüsse könnten folgen. Doch das Reduzieren des Nachwuchses werde allein nicht reichen, schrieb Arquints Amt nach der Tötung. Das Ziel des Kantons bleibe es, «im Rahmen der schweizerischen Rechtsordnung, die Entfernung des gesamten Beverin-Rudels und der Abschuss des besonders auffälligen Vatertiers M92.»

Gruppe Wolf Schweiz: Ohne Herdenschutz geht es nicht

Nichts von schnelleren Abschüssen hält hingegen die Gruppe Wolf Schweiz: «Aufgrund des guten Lebensraumes und der alpenweit sehr hohen Wildbestände werden auch verstärkte Regulierungseingriffe das Wachstum des Bestandes kaum bremsen», schreibt die Gruppe in einer aktuellen Medienmitteilung. «Konsequenter, flächendeckender Herdenschutz wird in jedem Fall eine Notwendigkeit sein.»

Die Gruppe, die sich 2020 auch gegen die Reform des Jagdgesetzes einsetzte, glaubt an eine natürliche Regulation. Sobald der Lebensraum gesättigt sei, würde das Wachstum stagnieren. In der Schweiz hätte es etwa Raum für 800 Wolfsrudel. Die Gruppe schätzt, dass die Kapazität bei einem anhaltenden Wachstum in fünf Jahren erschöpft seien. «Der Wolfbestand reguliert sich dann selber und wächst nicht mehr weiter an.»

Für die Gruppe ist aber eines klar: «Der Wolf ist gekommen, um zu bleiben.»