Politologe über SP-Anwärterinnen «Jositschs Kandidatur ist in sich zusammengefallen»

Von Gil Bieler, Bern

10.11.2022

Mit Eva Herzog bringt sich eine zweite SP-Politikerin für die Nachfolge von Bundesrätin Simonetta Sommaruga in Stellung. Was dieser Entscheid für das Kandidatenfeld bedeutet, erklärt Politgeograf Michael Hermann. 

Von Gil Bieler, Bern

10.11.2022

Selbstsicher und ruhig empfängt Eva Herzog an diesem Donnerstagmorgen in einem vollen Saal im Hotel Bern die Medien. Hier macht sie Nägel mit Köpfen: Ja, sie will in den Bundesrat. «Ich bringe alles mit, was es für dieses Amt braucht», sagt die Basler Ständerätin.

Keine drei Minuten braucht sie, um auf den Punkt zu kommen. Und damit nach drei turbulenten Tagen entscheidend ins Bundesratsrennen einzugreifen.

Rückblick: Erst am Dienstag hat sich ein erster Anwärter auf den Bundesratssitz von Simonetta Sommaruga beworben. Daniel Jositsch, ein Mann. Dabei wünscht sich die SP-Parteispitze doch ausdrücklich eine Frau als Nachfolgerin. Diskriminierend sei das, findet der Strafrechtsprofessor. «Das kann ich nicht akzeptieren.»

Zu jenem Zeitpunkt ist Jositsch der einzige Kandidat, eine Debatte um Frauenförderung und Diskriminierung entbrennt. Zwei Tage später ist alles anders, zwei Frauen haben ihren Anspruch auf den Sitz angemeldet. Nach der Berner Regierungsrätin Evi Allemann eben auch Eva Herzog.

Evi Allemann

  • Juristin, 44 Jahre alt.
  • Exekutiv-Erfahrung: Seit 2018 als Justizdirektorin im Berner Regierungsrat.
  • Erfahrung in Bundesbern: 2003 bis 2018 im Nationalrat, wo sie sich vor allem als Verkehrs- und Sicherheitspolitikerin hervortat.

Für den männlichen Mitstreiter ist das ein Dämpfer, bestätigt Michael Hermann: «Die Kandidatur von Daniel Jositsch ist in sich zusammengefallen», sagt der Politgeograf vom Institut Sotomo. «Mit Evi Allemann und Eva Herzog gibt es jetzt zwei valable Kandidatinnen, das Ticket ist gefüllt. Seine einzige Chance wäre gewesen, wenn zu wenige Frauen kandidiert hätten.»

Jositsch hofft, dass die SP-Fraktion doch noch Männerkandidaturen zulässt. Er will einen entsprechenden Antrag einbringen. «Ihn formal kandidieren zu lassen, wäre wohl ein geschickter Zug», sagt Hermann. «Dass er es aber aufs Ticket schafft, halte ich für ausgeschlossen. Das wäre eine Desavouierung der Parteileitung und würde als massiver Riss innerhalb der Partei wahrgenommen.»

«Keine Kopfgeburt der Parteispitze»

Die SP hat mit Alain Berset bereits einen Mann im Bundesrat. Daher der Wunsch der Parteispitze, eine Frau solle die Nachfolge von Sommaruga antreten. Mit zwei Männern im Bundesrat würde sich die Gleichstellungspartei der Kritik aussetzen – gerade im Wahljahr 2023.

«Schon die Diskussion um die AHV-Reform hat gezeigt, dass die Frage der Gleichstellung im linken Lager ein sozialpolitisch brisantes Thema ist», sagt Hermann. Kommt hinzu, dass die SP mehr Wählerinnen als Wähler habe. «Die Idee mit dem Frauen-Ticket ist daher keine Kopfgeburt der Parteispitze, sondern Realität der Partei.»

Überlegungen, dass Jositsch als sogenannt wilder Kandidat gewählt werden könnte – also als nicht-offizieller Kandidat der SP – hält der Politikexperte für unrealistisch. «Er will wohl mit dieser Drohung den Druck hochhalten. Fakt ist jedoch: Eine solche Aktion wäre chancenlos und würde ihm nur schaden», sagt Hermann.

Die Basler Ständerätin Eva Herzog will in den Bundesrat

Die Basler Ständerätin Eva Herzog will in den Bundesrat

Nachdem die Berner Regierungsrätin Evi Allemann gestern ihre Kandidatur bekannt gab, steigt heute auch die Basler Ständerätin Eva Herzog ins Rennen um die Nachfolge von Simonetta Sommaruga.

10.11.2022

Dass Jositsch seine Kandidatur gegen den Willen der Parteileitung anstrebt, müsse ihm dagegen nicht negativ angelastet werden: «Ich teile den Grundtenor der Medien, er wolle seine Kandidatur egoistisch durchboxen, nicht. Weil er das mit einem gewissen Charme macht, bringt ihm das schon Sympathien ein, vor allem aus dem bürgerlichen Lager.» Dass die SP-Spitze ihren Wunsch so undiskutabel kommuniziert habe, sei problematisch.

Noch ist ohnehin nichts entschieden. Die letzten Tage haben gezeigt, dass es schnell gehen kann. Das betont auch Eva Herzog im Interview mit blue News. Auf die Frage, wieso Parlamentarier*innen aus dem bürgerlichen Lager sie bevorzugen sollten, fragt sie zurück: «Bevorzugen gegenüber wem?» Erst gelte es abzuwarten, wer noch alles dazukomme. 

Wer auf dem Ticket der SP landet, zeigt sich am 26. November. Dann entscheidet die Bundeshausfraktion an einer ausserordentlichen Sitzung.

Zwei Kandidatinnen mit ähnlichem Profil

Formcheck: Sowohl Herzog als auch Allemann bringen einen guten Rucksack und ein ähnliches Profil mit, sagt Politgeograf Michael Hermann. Beide vereinen Parlaments-, Verbands- und Regierungserfahrung. «Wahrscheinlich ist die Reihenfolge bei Herzog günstiger, da sie aktuell im Parlament sitzt und daher besser vernetzt ist.»

Für Allemann spreche, dass sie jünger ist: «Sie steht mehr für den Blick in die Zukunft, für eine jüngere Generation.» In ihrem bisherigen politischen Wirken hat aber Eva Herzog den Experten mehr überzeugt. Die 60-Jährige wirkte 15 Jahre lang in der Basler Regierung, ehe ihr 2019 der Sprung in den Ständerat gelang.

Daniel Jositsch

  • Professor für Strafrecht und Strafprozessrecht an der Universität Zürich, 57 Jahre alt. 
  • Exekutiv-Erfahrung: keine.
  • Erfahrung in Bundesbern: Von 2007 bis 2015 im Nationalrat, seit 2015 im Ständerat. Mitglied der Sicherheitspolitischen Kommission, der Aussenpolitischen Kommission, der Kommission für Rechtsfragen und der Staatspolitischen Kommission. 

Als Einziger im Kandidatenfeld verfügt Daniel Jositsch über keine Exekutiverfahrung. Ein Problem? «Die meisten Bundesrätinnen und Bundesräte bringen keine Regierungserfahrung auf Kantonsebene mit. Das ist keine Voraussetzung», sagt Hermann. Der Zürcher verfüge über viele andere Qualitäten und habe als Ständerat bewiesen, dass er eine prägende Figur sei und gut öffentlich kommunizieren könne.

Immer wieder die Frage nach dem Alter

Eva Herzog wird an der Medienkonferenz im Hotel Bern immer wieder auf die Frauenfrage angesprochen. Und auf ihr Alter. Ihre Antwort variiert, im Wesentlichen findet sie es aber störend, müssten nur Frauen ihr eigenes Alter kommentieren. Und sie sagt: «Über das Frauenticket diskutiert man jetzt schon viel zu lange.»

Der Knorz ist freilich hausgemacht. «Herkunft, Geschlecht: Es ist für die SP ein Problem, geeignete Kandidatinnen und Kandidaten zu finden, die alle Voraussetzungen erfüllen», beobachtet Michael Hermann. Und ohne einen Bruch werde die aktuelle Zusammensetzung zementiert: ein Mann aus der Westschweiz, eine Frau aus der Deutschschweiz. 

Eva Herzog

  • Historikerin, 60 Jahre alt.
  • Exekutiv-Erfahrung: 15 Jahre als Finanzdirektorin im Regierungsrat von Basel-Stadt.
  • Erfahrung in Bundesbern: Seit 2019 für Basel-Stadt im Ständerat. Sie arbeitet unter anderem in der Finanzkommission und der Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur und der Wirtschaftskommission mit.
  • Wäre bei einer Wahl das erste Basler Bundesratsmitglied seit 1973.

Eine Möglichkeit, diese Konstellation aufzubrechen, wäre eine Doppelvakanz. Wenn also Alain Berset und der oder die Nachfolger*in von Simonetta Sommaruga gleichzeitig zurücktreten würde. Drängt sich die ältere Kandidatin Eva Herzog – die in fünf Jahren das Pensionsalter erreicht – für dieses Szenario auf? Kaum, glaubt Hermann.

Dass die Rücktritte von Berset und Herzog zeitlich zusammenfallen würden, hält er für unwahrscheinlich: «Um als Bundesrätin prägend wirken zu können, muss man länger als vier Jahre im Amt bleiben.» Seine Prognose: «Eva Herzog dürfte sechs bis acht Jahre im Amt bleiben, bei Alain Berset erwarte ich nicht, dass er es noch länger als vier Jahre macht.»