Finanzhilfen für arme Länder So will die Schweiz den UNO-Klimabericht beschönigen

Von Alex Rudolf

21.10.2021

Regelmässig gehen Jugendliche auf die Strasse und demonstrieren für eine nachhaltigere Umweltpolitik: Hier Klimastreikende in Lausanne.
Regelmässig gehen Jugendliche auf die Strasse und demonstrieren für eine nachhaltigere Umweltpolitik: Hier Klimastreikende in Lausanne.
KEYSTONE/Christophe Bott

Am UNO-Klimagipfel im November sollen griffige Massnahmen beschlossen werden. Im Vorfeld zeigt sich aber, wie zahlreiche Staaten einen Klimabericht beschönigen wollten – auch die Schweiz.

Von Alex Rudolf

21.10.2021

Die Schweiz möchte weniger Geld für die Unterstützung anderer Staaten im Klimaschutz ausgeben. Dies geht aus Dokumenten hervor, welche die BBC am Donnerstag veröffentlicht hat.

Diese Informationen gelangen nur wenige Tage an die Öffentlichkeit, bevor die Staaten an der UNO-Klimakonferenz im November verpflichtende Klimaschutz-Massnahmen beschliessen sollen.

Die Staaten waren eingeladen, Anmerkungen zu einem UNO-Bericht abzugeben. Darin sammelten Wissenschaftler*innen die nach aktuellem Wissensstand geeignetsten Methoden, wie der Klimawandel bekämpft werden kann. Total gingen 32'000 Einsendungen von UNO-Mitgliederstaaten, Unternehmen und anderen Beteiligten bei den Autoren der Studie ein.



Eines der wichtigsten Themen, die behandelt werden, sind die Finanzspritzen. Mit diesen sollen reichere Länder den ärmeren bei der Bewältigung der Klimakrise behilflich sein. «Eine massgebliche Anzahl der Schweizer Bemerkungen zum Bericht richten sich an den Teil, der die Notwendigkeit der finanziellen Unterstützung behandelt», schreibt die BBC. Bereits 2009 wurde an der in Kopenhagen abgehaltenen Klimakonferenz vereinbart, dass bis 2020 insgesamt 100 Milliarden an Unterstützungsgeldern fliessen sollen. Dieses Ziel sei noch nicht erreicht worden.

So bemerke die Schweiz, dass die Klimaziele der Entwicklungsländer nicht alle an finanzielle Unterstützung gebunden seien. Gegenüber BBC liess das Bundesamt für Umwelt (Bafu) verlauten: «Die Klimafinanzierung ist zwar ein wichtiges Instrument zur Steigerung der Klimaambitionen, aber nicht das einzige relevante Instrument.» Und weiter: «Die Schweiz ist der Ansicht, dass alle Vertragsparteien des Pariser Abkommens, die dazu in der Lage sind, diejenigen unterstützen sollten, die eine solche Unterstützung benötigen.»

Beim Bafu heisst es auf Nachfrage von blue News, dass es zum normalen Verfahren gehöre, dass diese besagten Berichte von den Ländern geprüft würden und diese anschliessend Kommentare einreichen könnten. «Das Verfahren – welches mehrstufig ist – ist transparent und alle Kommentare werden öffentlich gemacht», sagt Sprecher Robin Poëll. Weiter würden die Länderkommentare darauf abzielen, das Wesentliche aus dem Expertenbericht, besser zu erfassen.

Jüngst gab sich die Schweiz noch grosszügig. Klimabotschafter Franz Perrez, der die Schweizer Delegation bei der Weltklimakonferenz in Glasgow anführen wird, gab bekannt, dass die Finanzhilfe auf 425 Millionen Franken angehoben werden solle. «Unsere Glaubwürdigkeit in den Verhandlungen hängt auch von unserer Kreativität und unserem Durchhaltevermögen ab.»

Klimastreik ist nicht überrascht

Jonas Kampus, Klimastreik

Für Jonas Kampus vom Klimastreik Schweiz kommt dieser Bericht wenig überraschend. «Wir sind aber sehr froh, dass der Bericht bereits vor einigen Wochen geleaked worden ist, noch bevor die Kommentare der Regierungen berücksichtigt werden konnten. So sehen wir, wie sehr die Wissenschaft unter Druck gesetzt wird.»

Basierend auf dem Öffentlichkeitsprinzip erhielt Kampus vom Bafu die Kommentare bereits im Vorfeld. Ohne den zugrundeliegenden Bericht sei es schwierig gewesen, diese in Kontext zu setzen. Fest steht für ihn: «Bei internationalen Klimaverhandlungen tritt die Schweiz immer wieder auf die Bremse.»

Marionna Schlatter, Nationalrätin Grüne/ZH
KEYSTONE/WALTER BIERI

Auch Nationalrätin Marionna Schlatter (Grüne/ZH) ist kaum überrascht darüber, dass die Schweiz weniger Geld für die Klimakrise in Entwicklungsländern ausgeben will. «Die reichen westlichen Staaten stehen dabei in der Pflicht: Weil sie hauptsächlich verantwortlich sind für die Klimaerhitzung, weil ein grosser Teil ihres Wohlstands auch auf den fossilen Energien aufgebaut wurde, und weil sie finanziell andere Möglichkeiten zur Bewältigung haben», sagt sie.

Proteste für mehr Klimaschutz wird es am Freitag in Basel, Bellinzona, Bern, Biel, Genf, Bern und Neuenburg geben. Dann ist nämlich wieder internationaler Klimastreik-Tag.

Nicht nur die Schweiz steht in der Kritik

Die geleakten Dokumente werfen auch ein schlechtes Licht auf andere Länder. «Sie zeigen, dass Staaten wie Saudi-Arabien, Japan und Australien die Vereinten Nationen darum bitten, die Notwendigkeit der Abkehr von fossilen Brennstoffen herunterzuspielen», heisst es im Bericht der BBC.

So werde einerseits die Streichung von gewissen Formulierungen wie etwa «dringende Klimaschutzmassnahmen seien notwendig» beantragt, aber auch darauf verwiesen, dass auf die Schliessung von Kohlekraftwerken als Schlussfolgerung des Berichts verzichtet werden solle.

Brasilien und Argentinien, zwei der grössten Produzenten von Fleischprodukten, zweifeln etwa daran, dass durch fleischarme Ernährung weniger Treibhausgase erzeugt würden.

Meist osteuropäische Staaten wünschen sich dagegen, dass die Kernenergie im Bericht besser wegkommt. Indien vermutet gar eine Verzerrung der wissenschaftlichen Ergebnisse gegen die Nuklearenergie, die zu schlecht dargestellt werde.

Auch die schwedische Klimaschutz-Aktivistin Greta Thunberg hat die Enthüllungen der BBC offenbar gelesen. Auf Twitter zitiert sie eine Passage, wonach Saudi-Arabien, Japan und Australien mit am meisten Druck ausgeübt hätten, um die Bedeutung einer Abkehr von fossilen Brennstoffen herunterzuspielen.

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