ReformstauWer die AHV sanieren will, kommt um die Frauen nicht herum
Von Lia Pescatore
7.6.2021
Salami-Taktik oder ein kleiner Schritt in die richtige Richtung? Diese Woche wird die AHV-Reform im Nationalrat behandelt. Für die eine Seite ist es die ausgewogenste Vorlage seit Langem, für die andere eine grosse Enttäuschung.
Von Lia Pescatore
07.06.2021, 06:45
07.06.2021, 10:58
Lia Pescatore
Eines ist klar: Es braucht eine AHV-Reform. Zwar hat sich die finanzielle Situation der AHV momentan wegen der 2017 angenommenen STAF-Vorlage ein wenig entspannt, jedoch nur auf kurze Zeit. Der Bundesrat warnte Anfang dieses Jahres: Fahren wir so weiter, dann schreibt das Rentensystem bereits im Jahr 2030 Verluste von 19 Milliarden Franken.
Über eine AHV-Reform wird schon lange diskutiert. Die letzte Erneuerung liegt bereits über 20 Jahre zurück. Bisher biss sich das Parlament besonders an einem Knackpunkt die Zähne aus: die Erhöhung des Rentenalters für Frauen von 64 auf 65 Jahre. Dies würde jedes Jahr rund 1,4 Milliarden Franken mehr in die AHV spülen.
Für FDP und SVP ist die Angleichung des Rentenalters längst überfällig. Da die Menschen allgemein älter werden, müsse man auch aus der Ausgaben-Seite etwas ändern, sagt Nationalrätin Regine Sauter (FDP/ZH). «Und die Lebenserwartung der Frauen ist sogar rund vier Jahre höher als jene der Männer. Das heisst, sie beziehen entsprechend länger eine Rente als die Männer.»
Ist die AHV der richtige Ort für Thema Lohnungleichheit?
Den Linken und Grünen wie auch den Gewerkschaften ist die Erhöhung des Rentenalters jedoch ein Dorn im Auge. SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer sagt auch, dass es jetzt zwar neue Finanzierungsmittel für die AHV brauche. «Aber ich verstehe nicht, warum dafür nur die Frauen herhalten müssen.»
Auch für die Grünen-Nationalrätin Katharina Prelicz-Huber ist die Vorlage eine grosse Enttäuschung. Dabei sei die AHV eigentlich das fairste System, das die Schweizer Altersvorsorge kenne. Den Druck, mit der die Bürgerlichen die Vorlage abhandeln wollen, kann sie nicht nachvollziehen. «Hätten wir keine Lohnungleichheit, hätten wir 825 Millionen mehr in der AHV, und damit auch kein Problem», sagt sie.
Die Diskussion um die Ungleichstellung in der Altersvorsorge ist für Regine Sauter bei der AHV hingegen nicht Thema. «Frauen bekommen von der AHV durchschnittlich fast gleich viel bezahlt wie Männer», sagt sie. Das Problem bestehe bei der beruflichen Vorsorge.
Zu diesem Schluss kommt auch eine Studie der Berner Fachhochschule im Auftrag des Bundesamts für Sozialversicherungen aus dem Jahr 2016. Sie schlüsselt die Benachteiligung der Frauen bei der Altersvorsorge auf. Insgesamt würden Frauen rund ein Drittel weniger Rente beziehen.
Das will die Nationalratskommission
Die Kommission empfiehlt die Annahme der AHV-Reform. Sie hat sich für eine Erhöhung des Rentenalters der Frauen um ein Jahr ausgesprochen und einen Rentenbezug ab 63 statt 62. In die Kompensationszahlungen für die Übergangsgenerationen will die Kommission mit vier Milliarden doppelt so viel investieren wie der Ständerat. Jedoch sollen davon nur sechs statt neun Jahrgänge profitieren, die Höhe des ausbezahlten Betrags wird abhängig vom früheren Einkommen gemacht. Die Mehrwertsteuer will die Kommission um 0,4 Prozent erhöhen, der Bundesrat hat ursprünglich 0,7 Prozent vorgesehen.
Die Unterschiede entstehen jedoch nicht durch die AHV, sondern durch die zweite und dritte Säule, die direkt vom Einkommen abhängig sind. «Wer viele Unterbrüche in seiner beruflichen Laufbahn hat, lange Teilzeit beschäftigt war oder in schlecht bezahlten Berufen gearbeitet hat», könne nur mit geringen Renten aus zweiter und dritter Säule rechnen, schreiben die Forschenden.
BVG und AHV: Separat, aber nicht trennbar
Die Koppelung der beiden Reformen von erster und zweiter Säule ist im Jahr 2017 vor dem Volk gescheitert, jetzt wird die BVG versetzt zur AHV-Reform behandelt. Für Alliance f sind die beiden Reformen schwer zu trennen. Sie haben darum in der Ratsdebatte Ende April noch eine parallele Behandlung gefordert, die jedoch nicht berücksichtigt wurde.
Diese Verkreuzung von zwei verschiedenen komplexen Systemen dürfe sich nicht wiederholen, warnt Sauter. «Schliesslich müssen beide Säulen in sich stabil sein.» Das heisse aber nicht, dass die Debatten völlig getrennt voneinander stattfinden sollen.
«Wir werden die AHV-Reform bestenfalls im Jahr 2022 zur Abstimmung bringen können», sagt Sauter. Bis dann sei auch die Debatte über die zweite Säule im Parlament schon weit fortgeschritten und man könne darauf verweisen, argumentiert sie.
Priorität habe jetzt aber die Lösung der AHV-Reform. Sie macht Druck, es müsse endlich eine Lösung her. «Es geht hier prioritär um die finanzielle Sicherung der AHV bis 2030, alles andere kann in einer nächsten Revision, die schnell kommen muss, diskutiert werden», sagt Suter.
Entlastungszahlungen als Kompromiss
Genau dies kritisiert Mattea Meyer: Sie spricht von der Salami-Taktik der Bürgerlichen, die darauf ziele, nach und nach das Rentenalter zu erhöhen. «Es braucht kreativere Lösungen zur Finanzierung der AHV», sagt sie. Zum Beispiel könne man eine Börsensteuer einführen oder den Gewinn durch Negativzinsen des Bundes abschöpfen.
Thomas de Courten (SVP/BL) findet hingegen die AHV-Reform «einen ersten Schritt in die richtige Richtung». Man könne jetzt nicht auf den grossen Wurf hoffen. «Wir müssen jetzt eine Vorlage zur Abstimmung bringen, die sicher mehrheitsfähig ist.» Und er sei zuversichtlich, dass man mit diesem Vorschlag die Mehrheit der Bevölkerung überzeugen könne.
Um die Linken ins Boot zu holen, gehen die Bürgerlichen mit den Entlastungsmassnahmen für die Übergangsgenerationen einen Kompromiss ein. Wie hoch die ausfallen sollen, wird heiss diskutiert. Die zuständige Kommission des Nationalrats hat die Ausgleichszahlungen auf 4 Milliarden für sechs Jahrgänge aufgestockt. Das Problem: Je höher diese Ausgleichsbeiträge ausfallen, desto weniger wird wirklich durch die Erhöhung des Rentenalters der Frauen eingespart.
Lange wird die Erhöhung des Rentenalters und der Mehrwertsteuer die Finanzierung der AHV auch nicht sichern. Die Sozialkommission des Nationalrats hat bereits eine neue Motion eingereicht. Der Bundesrat soll bis 2026 einen Entwurf für die nötige Reform für die Zeitspanne 2030–2040 einbringen. Das sieht Prelicz-Huber kritisch. «Das hat mit Nachhaltigkeit nichts zu tun», sagt sie