Asylpolitik Die Vergessenen auf dem Isolations-Berg

tsch/tpfi

9.2.2019

Asylsuchende im Durchgangsheim Balmberg oberhalb Guensberg (SO), aufgenommen am 3. Dezember 1998.
Asylsuchende im Durchgangsheim Balmberg oberhalb Guensberg (SO), aufgenommen am 3. Dezember 1998.
Bild: Keystone

Der Solothurner Balmberg ist bekannt für sein liebliches Skigebiet – und das abgelegene Nothilfezentrum Günsberg. Hier warten Asylsuchende in unwürdigen Verhältnissen auf ihre Rückschaffung, manchmal jahrelang.

Es dauert eine Weile, bis man über die kurvige Landstrasse hinauf das Nothilfezentrum Günsberg oberhalb von Solothurn erreicht. Ein tristes, marodes Gebäude in einer zauberhaften Winterlandschaft. Hier warten junge Männer zwischen achtzehn und siebzig Jahren mit Wegweisungsentscheid oder Nichteintretensentscheid auf ihre Rückschaffung. Manchmal zwei Monate, manchmal zwei Jahre, manchmal fünf. Das berichtet die Schweizer «WOZ Die Wochenzeitung». In den Gemäuern herrscht unangenehme Kälte, viele Bewohner leiden unter schweren Erkältungen. Die Stimmung ist angespannt, einige Bewohner befinden sich in suizidalem Zustand.

Verzweiflung in der Abgeschiedenheit

360-Grad-Kameras überwachen die Bewohner rund um die Uhr, auch der Strom im Haus läuft einwandfrei. Heisses Wasser steht den rund 50 Bewohnern dagegen nicht zur Verfügung. Mühsam muss das Wasser in der Industrieküche erhitzt werden. Drei Nasszellen müssen sich die Geflüchteten teilen. Deutschkurse werden hier oben keine angeboten. Überhaupt sind die Bewohner hier ziemlich auf sich alleine gestellt. Es gibt kaum Beschäftigung und nur wenig Betreuung. Einzige Abwechslung: Pro Woche erhalten Personen mit abgewiesenen Asylanträgen oder Nichteintretensentscheiden im Kanton Solothurn 61  Franken «Asylsozialhilfe». Mehr Hoffnung bereitet das Busticket, das ebenfalls einmal die Woche ausgegeben wird. Schliesslich kostet das reguläre Busticket nach Soluthurn bereits 14 Franken – das kann sich hier kaum jemand leisten. Das dürftige Taggeld reicht kaum für die Grundbedürfnisse.

Manchmal kommt die Polizei frühmorgens, bringt jemanden in Ausschaffungshaft, drei Tage später ist die Person wieder da, so die «WOZ Die Wochenzeitung». Niemand wird informiert, wenn die eigene Akte zur Seite gelegt wurde, zum Beispiel weil eine Rückschaffung aus humanitären Gründen gerade nicht möglich ist.

NGOs fordern Abschaffung des Nothilferegimes

Bei einer Pressekonferenz am 6. Februar haben SOS Racisme und Solidarité sans frontières die Abschaffung des Nothilferegimes als «Instrument der Asylpolitik» gefordert. So seien auch im Durchgangszentrum Oberbuchsiten, ebenfalls im Kanton Solothurn, die Bedingungen unerträglich. Die elementarsten Menschenrechte werden laut den beiden NGOs nicht eingehalten.

Über die Höhe der Notfallhilfe entscheidet jedes Kanton selbst. Das führe auch zu grossen Unterschieden und Ungleichbehandlungen, schreiben die NGOs: «Der Bundesrat ist jedoch in starkem Masse mitverantwortlich dafür, was sich heute in Oberbuchsiten und anderswo abspielt, denn er hat vor mehr als fünfzehn Jahren diese Strategie der Ausgrenzung der abgewiesenen Personen initiiert.»

Die Direktorin des Amts für soziale Sicherheit Solothurn (ASO), Claudia Hänzi, erklärt die desolaten Zustände mit dem Willen des Gesetzgebers: «Es ist uns bewusst, dass das Leben auf dem Balmberg auf Dauer für die einzelne Person belastend werden kann.» Personen, die die Schweiz verlassen müssten, sollten jedoch keine Anreize zum weiteren Verbleib erhalten.

Das Nothilfezentrum Günsberg steht beispielhaft für viele Nothilfezentren in der Schweiz. Die «Asylsozialhilfe» soll «Anreize» schaffen: Abgewiesenen Asylsuchenden soll das Leben bewusst schwer gemacht werden, schreibt die  «WOZ Die Wochenzeitung», damit diese möglichst schnell das Land verlassen. Einer Studie des Staatssekretariats für Migration zufolge verbleibt jedoch rund die Hälfte der Personen, die sich entschliessen, Nothilfe zu beziehen, trotz aller Widrigkeiten in der Schweiz, während die Zahlen der kontrollierten Ausreisen bei weitem nicht den Zahlen der Austritte aus der Nothilfe entsprechen.

Bilder aus der Schweiz
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