Ethik Drängler, Bonzen, Bosse – alle jagen den Covid-Impfstoff

phi

27.1.2021

Der südafrikanische Milliardär Johann Rupert  Ende September 2019 beim Golfspiel in St Andrews, Grossbritannien.
Der südafrikanische Milliardär Johann Rupert Ende September 2019 beim Golfspiel in St Andrews, Grossbritannien.
Getty Images

Vom südafrikanischen Milliardär im Thurgau über die Präsidenten von National- und Ständerat bis zum Casino-Boss in Beaver Creek: Wer Macht oder Geld hat, versucht mitunter, schneller an den Impfstoff zu kommen.

«Reichtum ist viel. Zufriedenheit ist mehr. Gesundheit ist alles», besagt eine asiatische Volksweisheit. Wenn in einer Pandemie jedoch die Reichen bei der Gesundheit vordrängeln, dann kommt schnell Unzufriedenheit auf. Das gilt im Kleinen wie im Grossen.

Auf nationaler Ebene hagelt es im Thurgau, in Basel und im Appenzellerland Kritik, nachdem hohe Tiere bei der Covid-19-Impfung vorgeprescht sind. Erst erregte der Fall von Johann Rupert Aufsehen: Der Milliardär bekam frühzeitig eine Dosis, obwohl er mit 70 Jahren fünf Jahre zu jung ist für die erste Gruppe der zu Impfenden. Angeblich blitzte der Südafrikaner erst bei einem Spital in Luzern ab, bevor er im Thurgau die Spritze bekam.

Die Verantwortlichen haben später eingeräumt, Rupert hätte es besser an seinem Wohnsitz in Genf versucht. «Wir hatten unterschätzt, welche Symbolkraft mit der Impfung eines vermögenden Patienten verbunden ist», schrieb Hirslanden-Chef Daniel Liedtke in einem offenen Brief an die Bevölkerung.

Spital-Chefs an vorderster Front

In Heiden AR sind ebenfalls Menschen in den privilegierten Genuss einer frühen Impfdosis gekommen: «Da haben sich etwa eine fürs Personal verantwortliche Person und eine Chefärztin vorzeitig impfen lassen, während Mitarbeitende, die täglich Patientenkontakte haben, weiterhin auf der Warteliste stehen», meldeten Leser des «Beobachters».

Vom Bezirkskrankenhaus in Heiden AR gibt es bloss dieses undatierte Schwarz-Weiss-Bild.
Vom Bezirkskrankenhaus in Heiden AR gibt es bloss dieses undatierte Schwarz-Weiss-Bild.
KEYSTONE

Bei den «Impfdränglern» (Zitat «Beobachter») handelt es sich um Mitglieder der erweiterten Geschäftsleitung des Spitalverbundes Appenzell-Ausserrhoden SVAR. Weil Mitarbeitende ihren Impftermin nicht wahrnehmen konnten und keine andere Pflegende aufgeboten wurden, die an der Front arbeiten, kam die Geschäftsleitung zum Zuge. So sei der Impfstoff nicht verfallen, rechtfertigte sich die SVAR, räumte aber gleichzeitig ein, es gebe «bezüglich Verbindlichkeit der Anmeldung und Terminwahrnehmung noch Verbesserungspotenzial».

Ein ähnlicher Fall in Basel: Der CEO des Basler Kinderspitals hat vorzeitig einen Piks bekommen. Die Klinik hatte 100 Impfdosen erhalten, durch sorgfältiges Aufziehen jedoch zehn zusätzliche Dosen gewonnen, bei denen sich Marco Fischer dann bediente. Erst befand er, er sei «systemrelevant», entschuldigte sich nach massiver Kritik jedoch. «Ich hätte die überschüssige Dosis für jemanden mit Patientenkontakt freigeben sollen», zitiert ihn die BZ.

Politiker fordern Sonderbehandlung

Und während sich Gesundheitsbürokraten noch rechtfertigen, rufen nun auch Nationalrats- und Ständeratspräsident nach einer frühen Impfung: Ältere Ratsmitglieder mit Vorerkrankungen sollten noch vor der Frühlingssession im März eine Dosis bekommen, fordern Alex Kuprecht und Andreas Aebi (beide SVP) in einem Brief an die Kantone.

Besonders schützenswert? Das Berner Bundeshaus am 25. Januar 2021.
Besonders schützenswert? Das Berner Bundeshaus am 25. Januar 2021.
KEYSTONE

«Dabei gehen wir Parlamentarier Risiken ein, die nicht alle Bürgerinnen und Bürger eingehen müssen. Wir fahren Zug, Tram, treffen viele Menschen im Bundeshaus», argumentiert Kuprecht laut «Tages-Anzeiger». Aebi geht es bei dem Vorstoss um die staatliche Funktionalität: «Wir müssen als Parlament beschlussfähig bleiben.»

Dass eine derartige Bevorzugung für Diskussionen sorgt, liegt auf der Hand: Sie «untergräbt das Vertrauen in die Impfstrategie und verletzt das Gerechtigkeitsempfinden», kritisiert die Präsidentin des Dachverbandes Schweizerischer Patientenstellen, SP-Nationalrätin Flavia Wasserfallen.

Einheimischen den Impfstoff stehlen

Drängler «nehmen anderen den Impfstoff weg», warnte zudem Ralf Jox, der Mitglied der Nationalen Ethikkommission ist. Die Folge: «Es ist nicht auszuschliessen, dass jemand deshalb schwer erkrankt oder sogar stirbt.» Die Konferenz der Kantonalen Gesundheitsdirektoren erteilt dem Ansinnen der Ratspräsidenten ebenfalls eine Absage.

Der Wunsch nach einer Sonderbehandlung beschränkt sich natürlich nicht bloss auf die Schweiz. In Hollywood, wo die Schönen und Reichen leben, sei Ärzten bis zu 10'000 Dollar geboten worden, um eine Impfung zu bekommen. Das berichtet «Variety».

Die wohl frechste Vorteilsnahme hat sich jedoch ein gut situiertes Paar aus Kanada geleistet. Rodney und Ekaterina Baker aus Vancouver haben extra ein Flugzeug gechartert, um nach Beaver Creek weit im Westen des Landes zu fliegen, wo Einheimische in einem mobilen Spital erstmals ihre Dosis abholen konnten.

Oxfams «Ungleichheitsvirus»

Der 55-jährige Präsident einer Hotel- und Casino-Gesellschaft und seine 32-jährige Gattin gaben sich laut CNN als Angestellte eines Motels aus und haben sich so die Impfung erschlichen. Aufgeflogen ist das Duo, als es nach dem Rückweg zum Flughafen fragte.

Eine Aktion, die für das Paar Folgen hat: Vorgestern hat die Great Canadian Gaming Corporation Rodney Baker gefeuert. Ausserdem müssen beide Bussen bezahlen, weil sie zum einen die Quarantäne-Vorschriften nach ihrer Landung gebrochen und weil sie zum anderen lokale Vorschriften verletzt haben.

Es ist klar, dass skrupellose Bosse, nervöse Hollywood-Grössen oder auch ein südafrikanischer Milliardär versuchen, mit Geld an den Impfstoff zu kommen. Das Zynische daran ist, dass die Pandemie ihren Reichtum auch noch vergrössert.

Zwischen März und Dezember 2020 hat sich das Vermögen der zehn Reichsten um 480 Milliarden Franken gesteigert, berichtet «The Economic Times» unter Verweis auf eine Oxfam-Studie: Das «Ungleichheitsvirus» habe die Schere zwischen Arm und Reich aufgehen lassen wie nie zuvor, schreibt das Wirtschaftsportal.

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