Klimarüge des EGMR So erklärt der Schweizer Richter in Strassburg das Urteil

smi, SDA

12.4.2024 - 12:29

Andreas Zünd, als er noch Bundesrichter war. Heute ist er am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg tätig.
Andreas Zünd, als er noch Bundesrichter war. Heute ist er am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg tätig.
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Der Schweizer Andreas Zünd ist Richter am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Er begründet das jüngste Klimaurteil und erklärt, dass es nicht nur die Schweiz betreffe. 

Keystone-SDA, smi, SDA

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  • Der Schweizer Andreas Zünd ist Richter am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Er hat an dessen jüngstem Klimaurteil zur Klage der Klimaseniorinnen mitgearbeitet.
  • Der Klimaschutz der Schweiz verletzte das Recht auf Leben und das Recht auf Privatsphäre, indem er die Bevölkerung zu wenig vor den Folgen des Klimawandels schütze.
  • Die Schweiz habe sich mit dem Beitritt zum Pariser Klimaabkommen verpflichtet, dessen Ziele zu erreichen. Dieser bindenden Verpflichtung komme sie nicht nach.

In Strassburg haben nicht nur «fremde Richter» über die Schweiz geurteilt. Der Aargauer Andreas Zünd ist seit 2021 am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte tätig. Davor war er Bundesrichter. Er hat am Urteil gegen die Schweiz mitgearbeitet. Im Gespräch mit Radio SRF hat er den Richtspruch begründet.

Bei zwei Artikeln der Europäischen Menschenrechtskonvention hätten die Richter einen Bezug zum Klimaschutz hergestellt, erklärt Zünd: das Recht auf Leben und das Recht auf Privatsphäre. 

Es sei erwiesen, dass der Klimawandel das Leben beeinträchtigen könne. Zur Privatsphäre gehöre das körperliche Wohlbefinden. Der EGMR habe bereits geurteilt, dass das körperliche Wohlbefinden von Menschen beeinträchtigt sei, die in der Nähe von Fabriken leben. Der Klimawandel stelle aber eine neue Herausforderung dar, da die Schäden nicht unmittelbar einträten.

Pariser Abkommen ist verbindlich

Entscheidend sei, dass die Schweiz dem Pariser Klimaabkommen beigetreten sei. Dessen Vorgaben seien deshalb verbindlich und nach Einschätzung von Zünd und seinen Richter-Kolleg*innen kommt die Schweiz diesen nicht nach.

Beim Entscheid handle es sich zudem um ein «Leiturteil für alle Mitgliedsstaaten des Europarats», sagt Zünd. Der Anstoss für das Leiturteil sei mit der Klage der Klimaseniorinnen einfach aus der Schweiz gekommen.

Die Schweiz stehe nun in der Pflicht, erklärt Zünd: «Nach dem Urteil ist es Aufgabe des Mitgliedstaates, das begangene Unrecht wiedergutzumachen und zu verhindern, dass sich das gleiche Unrecht in Zukunft wiederholt.»

Kein Eingriff in die Klimapolitik

Wie genau die Schweiz die Ziele des Pariser Klimaabkommens einhalten soll, schreibe das Gericht nicht vor. «Die Mittel unterliegen der demokratischen Auseinandersetzung», führt Zünd aus. In den politischen Prozess greife der Gerichtshof nicht ein. Es liege nun in der Verantwortung der Schweiz, wie die Politik das Urteil umsetzen wolle.

Zünd reagiert damit auch auf die Kritik der SVP, Mitte und FDP, die fordern, dass Richter keine Klimapolitik betreiben. Das Gericht verstehe die Schweizer Demokratie nicht, hiess es etwa vonseiten der FDP. GLP, Grüne und SP sahen sich in ihren Forderungen bestätigt. Die SP deutete das Urteil als Ohrfeige für den Bundesrat.