Zwangsräumungen«Es ist leider so, dass die Lobby der Vermieter sehr stark ist»
Von Philipp Dahm
5.2.2021
Während es ein Moratorium für die Kündigung säumiger Mieter im ersten Lockdown gab, sind jene heute nach monatelanger Krise ihren Vermietern schutzlos ausgeliefert. Das muss sich ändern, fordern Konsumentenschützer.
Der Mieterinnen- und Mieterverband Schweiz (MV) hat den Bundesrat heute in einem Brief aufgefordert, einen Aufschub für Zwangsräumungen von Mietern zu erlassen.
Dieser soll bis Ende 2021 gelten und die Zahlungsfrist für Ausstände von 30 auf 90 Tage verlängern, bevor dem Schuldner gekündigt werden kann. «Viele Arbeitnehmende sind bereits seit mehreren Monaten in Kurzarbeit. Wer nur noch 80 Prozent seines Lohnes erhält, für den bedeutet dies, dass nach fünf Monaten Kurzarbeit ein ganzer Monatslohn im Haushaltsbudget fehlt», heisst es in dem Brief an Bundespräsident Guy Parmelin.
«Wir sehen einfach, dass mit zunehmender Dauer der Krise die Mieter immer mehr Mühe haben, die Miete zu zahlen, weil die Einkommen reduziert sind oder ganz wegbrechen«, erklärt Natalie Imboden, Generalsekretärin des MV. Deshalb ist es richtig und wichtig, jetzt zu reagieren: Wir wollen das Schlimmste verhindern.»
Gibt es bei dem Verband nun einen Run auf die Beratungstermine? «Noch gibt es nicht viele Fälle, aber wir merken, dass die Situation angespannter wird», sagt Imboden. «Wir haben aber auch eine Online-Umfrage gemacht: Die Leute sind sehr verunsichert.»
Mach's noch einmal, Bern!
Ins selbe Horn stösst Walter Angst vom Zürcher Mieterinnen- und Mieterverband: «Es ist nicht so, dass jetzt überall Räumungsbeamte vorbeikommen und Leute massenhaft auf der Strasse haben wie damals bei der Finanzkrise in Spanien. Es sind Einzelfälle, aber diese Einzelfälle sind sehr tragisch.»
In der Romandie hätte die Politik bereits gehandelt, erläutert Imboden: «Wir fordern eine Verlängerung der Fristen, wobei so eine Kündigung in mehreren Phasen verläuft. Der Kanton Genf hat das finale Prozedere, bei dem die Polizei kommt und räumt, jetzt gerade ausgesetzt.»
«Es gibt jetzt keinen Grund, nicht auch das zu machen, was man im ersten Lockdown im Frühling gemacht hat», ergänzt Angst. «Damals wurden die Zahlungen gestundet. Was den Kündigungsschutz angeht, hat man nichts unternommen. Das ist ein grosser Mangel und uns ist es jetzt wichtig, dass die Leute auch ein Zuhause haben, wenn sie schon zu Hause bleiben müssen.»
Gewerbliche Mietverträge oft befristet
Angst macht zudem auf ein Problem aufmerksam, vor dem vor allem jene stehen, die Geschäftsräume bezogen haben: «Die meisten Wohnungsmieter sind in unbefristeten Mietverhältnissen – nur in prekären Mietverhältnissen sind die Verträge häufig befristet. Bei den Geschäftsmieten ist das anders: In Zürich ist es oft so, dass die Verträge auf fünf Jahre befristet sind.»
Die Verlängerung komme nun für manche zur Unzeit, weiss Angst: «Das heisst, hier muss man immer wieder neu verhandeln, und das ist in der jetzigen Phase natürlich ganz, ganz schwierig. Wenn man in Zahlungsschwierigkeiten ist und dann noch das Damoklesschwert über einem schwebt, den Mietvertrag neu aushandeln zu müssen, kommt man in eine totale Abhängigkeit.»
Wie schätzen die Verbraucherschützer die Erfolgsaussichten ihrer Bitte ein? Walter Angst befürchtet Widerstand. «Es ist leider so in der Schweiz, dass die Lobby der Vermieter, Wohnungseigentümer und Immobilienfirmen, zu denen ja auch Banken, Versicherungen, Pensions- und Anlagefonds gehören, sehr stark ist», gibt der AL-Politiker zu Bedenken.
«Eine harte Guillotine»
Wirtschaftskommission des Nationalrats stützt Forderung
Der MV bekommt Schützenhilfe von der Wirtschaftskommission des Nationalrates, die am Dienstag beschlossen hat, die Forderungen zu unterstützen. Sie ersucht den Bundesrat, die Zahlungsfrist «entsprechend der Regelung im Frühjahr 2020 [mit] mindestens 90 anstatt nur 30 Tage» anzusetzen. Dafür stimmten 14 Räte, dagegen neun – bei einer Enthaltung. Mit zwölf zu zehn Stimmen bei zwei Enthaltungen spricht sich die Kommission ausserdem dafür aus, Kündigungen von Geschäftsmieten für ungültig zu erklären, die im Lockdown oder sechs Monate danach ausgesprochen wurden und Mieter*innen betrifft, denen die Schliessung ihrer Geschäfte vorgeschrieben wurden.
«Uns geht es darum, klar und deutlich zu sagen, dass Handlungsbedarf besteht: Wir haben in der Coronakrise eine wachsende Kluft zwischen Arm und Reich.» Mit Blick auf das bestehende Recht hält Angst 30 Tage für eine «sehr kurze» Frist. «Das ist eine harte Guillotine. Da würde die Verlängerung auf 90 Tage schon sehr viel bringen.»
Die Nachteile für Vermieter hielten sich in Grenzen, glaubt er. «Das Risiko wird etwas grösser, dass es mal einen Zahlungsausfall gibt. Aber es gibt ja auch immer noch das Mietzinsdepot, das in der Regel drei Monatsmieten umfasst und diese ausgefallenen Zahlungen decken kann.»
Natalie Imboden ist vorsichtig optimistisch, was die Erfolgsaussichten betrifft. «Dass Handlungsbedarf besteht, der auch Unterstützung findet, zeigt sich an verschiedenen Orten. Es gibt Bestrebungen in den parlamentarischen Kommissionen: In der Wirtschaftskommission wurden ähnliche Forderungen diese Woche schon überwiesen. Es gibt also Druck, aber nun muss der Bundesrat die Entscheidungen treffen.»
Die Reaktion des Hauseigentümerverbands (HEV)
Das grenzenlose «Corona-Wunschkonzert» des Mieterverbandes ist eine absolut deplatzierte und völlig überzogene Zwängerei. Die unter anderem verlangten Punkte einseitiges Kündigungsverbot für den Vermieter für vom Bund zwangsgeschlossene Geschäftsräume, einseitige Miet- und Nebenkostenstundung für Geschäftsraum- und Wohnungsmieter für mehr als ein Vierteljahr und Aufschub von Zwangsräumungen bis Ende 2021 schiessen sowohl völlig am Ziel vorbei als auch weit darüber hinaus. Die mittlerweile dreistelligen Milliardenbeträge an Unterstützungsmassnahmen von Bund und Kantonen unterstützen sowohl Not leidende Unternehmen als auch betroffene Privatpersonen, um ihre Kosten – und hierbei eben insbesondere auch die Mietkosten – decken zu können. Die aus den massiven Hilfspaketen über À-fonds-perdu-Beiträge und Sonderkredite gewährten Unterstützungen an Unternehmen, die stark erweiterten Kurzarbeitsentschädigungen sowie auch Arbeitslosengelder sichern die Zahlungsfähigkeit von betroffenen Betrieben und Privatpersonen. Eine – wie vom Mieterverband behauptete – Zunahme von zwangsgeräumten Wohnungen seit Beginn der Corona-Pandemie konnte im Markt nicht effektiv beobachtet werden.Die masslosen Begehren des Mieterverbandes würden vielmehr die Vermieter in Bedrängnis bringen, die ihrerseits unverändert die vollen Kosten (Hypothekarzinsen, Amortisationen, Liegenschaftsunterhalt, Wasser-/Abwasser-/Antennengebühren, Allgemeinstrom, Abwart- und Verwaltungskosten, Versicherungsprämien, Steuerabgaben u.v.a.m.) fristgerecht begleichen müssen. Das Gleiche gilt auch für die selbstnutzenden Wohneigentümer und Unternehmen in eigenen Liegenschaften, die gemäss Ermittlungen des Bundes notabene vergleichbar hohe Kosten zu tragen haben. Solche Betriebe und Privatpersonen scheinen jedoch für den Mieterverband schlichtweg nicht zu existieren.Einmal mehr wartet der Mieterverband für seine Klientel mit einer «Batzen-plus-Weggli-plus-Bäckerstochter-Mentalität» auf: Den Nutzern können nicht genug Staatsgelder zufliessen, den Leistungserbringern aber sollen beanspruchte Leistungen nicht mehr entschädigt werden – und als «Bonus» obendrauf wird der Eigentümer gleichzeitig der Nutzung seines Eigentums beraubt, weil dies vom nichtzahlenden Mieter besetzt bleibt.Markus Meier, Direktor HEV Schweiz