Interview Experte warnt: «Ich rate davon ab, viele liquide Mittel zu haben»

Von Anna Kappeler

15.1.2020

Der unabhängige Finanzexperte Martin Spieler warnt im Interview vor der Bildung einer neuen Blase.
Der unabhängige Finanzexperte Martin Spieler warnt im Interview vor der Bildung einer neuen Blase.
Bild: zVg

Fünf Jahre nach der Aufhebung des Euro-Mindestkurses ist Martin Spieler alarmiert: Die steigenden Schuldenberge seien ein Risiko für uns alle. Und der Finanzfachmann sagt, warum man Geld trotz Negativzinsen nicht unter der Matratze horten soll.

Herr Spieler, heute ist es genau fünf Jahre her, seit die Nationalbank (SNB) den Euro-Mindestkurs aufgehoben hat (mehr dazu hier). Warum hat die SNB damals so entschieden?

Das war ein grosser Schock für die Schweizer Wirtschaft. Die SNB wollte mit dem Schritt sicherstellen, dass der Franken nicht noch stärker wird. Damals herrschte für kurze Zeit eine Franken-Euro-Parität, der Euro fiel minutenlang sogar unter einen Franken. Es ging also darum sicherzustellen, die Nachteile für den Schweizer Export und den Tourismus in Grenzen zu halten. Und zu schauen, dass der Franken nicht noch stärker durch die Decke ging.



Dieser Entscheid war nicht vorauszusehen?

Nein, das war eine Überraschung. Viele Firmen wurden auf dem falschen Fuss erwischt. Als Folge davon haben wir nun seit fünf Jahren Negativzinsen – das ist ein massiver Markteingriff.

Martin Spieler
Bild: zVg

Martin Spieler ist unabhängiger Finanzexperte. Er war während über zehn Jahren Chefredaktor der «Sonntagszeitung» und der «Handelszeitung». Heute ist Spieler Wirtschaftskonsulent, Verwaltungsrat und schreibt unter anderem Fachtexte für Publikationen in der Schweiz.

War der Entscheid aus heutiger Sicht denn richtig?

Ja, die Nationalbank musste so handeln. Hätte sie nichts getan, hätten wir heute einen wesentlich tieferen Franken. Die Problematik aber ist: In Zeiten, in denen sich der Franken abschwächte – auch das kam in den letzten fünf Jahren vor –, hätte man aus den Negativzinsen herauszukommen versuchen sollen. Heute ist das wieder schwieriger, da der Kurs tief ist.

Eine Folge, die viele Sparer bald spüren könnten, ist die Weitergabe von Negativzinsen auf Sparkonti. Die ZKB erhebt bereits ab 100'000 Franken Strafzinsen. Da kann das Vermögen ja gleich unter die Matratze gelegt werden.

Ja, das kommt aber nur scheinbar billiger. Man muss auch das Sicherheitsrisiko anschauen: Natürlich kann man zu Hause Geld horten, doch wenn es gestohlen wird, ist es weg. Keine Versicherung ersetzt das. Deshalb rate ich davon ab. Strafzinsen bezahlt man nur in Ausnahmefällen, wenn jemand sehr hohe Summen auf dem Konto liegenlässt und auch sonst keine anderen Geschäfte mit der Bank tätigt.

Was also tun?

Investieren. Wer sein Geld nur auf der Bank deponiert, ja, der bezahlt bei sehr hohen Summen unter Umständen Negativzinsen. Um das zu verhindern, sollte der Sparer entweder mehrere Konti bei verschiedenen Banken haben. Oder noch besser: sein Geld investieren. Ich rate davon ab, viele liquide Mittel zu haben. Dadurch verliert man unabhängig von den Negativzinsen wegen der Teuerung von 0,4 Prozent stetig Geld.

Investieren klingt kompliziert. Was, wenn sich der Sparer nicht darum kümmern mag, wie das Geld vermehrt werden könnte?

Dafür habe ich Verständnis. Und genau dafür gibt es Anlagefonds und andere Produkte, über die man investieren kann. So kann man sein Geld über mehrere Jahre investieren und für Rendite sorgen. Und: Sehr intensiv beschäftigen mit dem Geld muss man sich auch dann nicht. Geld einfach liegen zu lassen, ist die wesentlich schlechtere Lösung – so verliert man Geld.

Wagen wir den Blick nach vorn: Wie geht es weiter?

An den Negativzinsen wird sich vorderhand nichts ändern. Pumpt die Europäische Zentralbank (EZB) noch mehr Geld in den Markt, könnte die SNB die Negativzinsen von 0,75 Prozent auf 1 Prozent ausweiten.

Wann könnte dieses Szenario eintreffen?

Dann, wenn sich die Konjunktur in Europa weiter abschwächte. Ich hoffe nicht, dass dies geschieht, damit rechnen aber müssen wir. Die Zinsen werden wohl dieses und auch nächstes Jahr tief bleiben. Die SNB ist im Schlepptau der EZB und extrem abhängig von deren Geldpolitik. Solange die EZB eine so spottbillige Geldpolitik fährt, kann auch die SNB die Zinsen nicht verändern. Das Problem dabei: Beispielsweise für die Pensionskassen – und also unser aller Vorsorge in der zweiten Säule – ist es damit sehr viel schwieriger, eine gute Rendite zu erzielen. Darunter leiden wir alle.

Klingt nicht zuversichtlich.

Leider nein. Dazu kommt ein weiteres Problem: Die Notenbanken haben in den letzten Jahren so viel Geld in die Märkte gepumpt, dass das Spekulations- und Blasenrisiko steigt. Das Geld ist zu billig und setzt falsche Anreize. An den Aktien- und auch an den Immobilienmärkten bildet sich so langsam eine Blase.

Das heisst?

Es ist attraktiv, Schulden zu machen. Weltweit wachsen also die Schuldenberge. Und davor warne ich: Diese grossen Schuldenberge sind ein Risiko. Irgendwann zahlen wir die Zeche, weil die Schulden nicht mehr gedeckt werden können, sollten die Zinsen später trotzdem wieder steigen. Hier sehe ich das Risiko einer neuen Finanzkrise. Die wird nicht kurzfristig passieren, aber – wenn wir so weitermachen – langfristig.

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