Vermintes Atomkraftwerk Saporischschja Im Ernstfall bleiben der Schweiz zwei Tage Vorbereitungszeit

tafi

26.7.2023

IAEA-Experten entdecken Minen beim AKW Saporischschja

IAEA-Experten entdecken Minen beim AKW Saporischschja

STORY: Die UN-Atomaufsicht IAEA hat nach eigenen Angaben in einem Bereich des von Russland besetzten ukrainischen Atomkraftwerks Saporischschja Antipersonen-Minen entdeckt. Die in der Anlage stationierten Inspektoren der Organisation hätten Minen in einer Pufferzone zwischen den inneren und äusseren Umzäunungen der Anlage gefunden, teilt IAEA-Direktor Rafael Grossi mit. Die Minen befänden sich in einem für das Personal unzugänglichen Bereich und dürften einer ersten Einschätzung zufolge selbst im Falle einer Explosion die nuklearen Sicherheits- und Sicherungssysteme des Standorts nicht beeinträchtigen. Solche Sprengstoffe auf dem Gelände zu haben sei jedoch unvereinbar mit den Sicherheitsstandards der IAEA, erklärte Grossi. Zudem werde dadurch zusätzlicher psychologischer Druck auf das Personal der Anlage erzeugt. Unterdessen zeichnet sich noch keine Wiederaufnahme des Getreideabkommens zwischen Russland und der Ukraine ab. Der Kreml erklärte am Dienstag, dass es für Russland vorerst unmöglich sei, zum Abkommen zurückzukehren, da eine Vereinbarung, die russische Interessen betreffe, nicht umgesetzt werde. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow erklärte jedoch gegenüber Reportern, Präsident Wladimir Putin habe deutlich gemacht, dass das Abkommen wiederbelebt werden könne, wenn der auf Russland bezogene Teil des Abkommens eingehalten werde. Das von den Vereinten Nationen und der Türkei im Juli letzten Jahres vermittelte Abkommen sollte dazu beitragen, eine weltweite Nahrungsmittelkrise zu verhindern, indem es die sichere Ausfuhr von Getreide ermöglicht, das durch den Konflikt in der Ukraine blockiert wurde.

26.07.2023

Nachdem Minen am Atomkraftwerk Saporischschja entdeckt wurden, wächst die Sorge um die Sicherheit. Wie gut wäre die Schweiz auf einen nuklearen Ernstfall vorbereitet?

tafi

26.7.2023

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Am ukrainischen Atomkraftwerk Saporischschja sind Minen entdeckt worden. 
  • Die Sorgen um die Sicherheit des von der russischen Armee besetzten Kernkraftwerkes wachsen.
  • Im Fall einer Nuklearkatastrophe könnte auch die Schweiz betroffen sein. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz ist darauf vorbereitet.

«Dass sich derartige Sprengstoffe auf dem Gelände befinden, steht im Widerspruch zu den IAEA-Sicherheitsstandards und den Leitlinien für die nukleare Sicherheit», die Bestandsaufnahme von Rafael Grossi, Direktor der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), klingt ziemlich nüchtern. Offenbar haben die russischen Besatzer Teile des Atomkraftwerks Saporischschja vermint – als sei die Sorge vor einer Atomkatastrophe nicht schon gross genug.

Dass Russland im Krieg gegen die Ukraine auch vor Atomkraftwerken nicht Halt macht, haben die vergangenen 17 Monate zur Genüge gezeigt. Im Fokus steht dabei immer wieder das AKW Saporischschja: Die erfahrene Belegschaft wurde grösstenteils ausgesperrt, die Anlage wurde beschossen, die Sprengung des Kachowka-Staudamms gefährdet die Kühlwasserversorgung. Und nun Minen.

Die Schweiz wäre auf den Erstfall vorbereitet

Putins Kriegsführung birgt unkalkulierbare Risiken für die Ukraine – aber auch für Europa. Denn ein Atomunfall wirkt sich durch Wind und Wetter nicht nur im unmittelbaren Umfeld des Kraftwerkes aus. Auch wenn laut Expertenmeinung derzeit keine direkte Gefahr für die Schweiz besteht, bereitet man sich hierzulande auf den Ernstfall vor, wie Gerald Scharding, Chef der Nationalen Alarmzentrale des Bundesamts für Bevölkerungsschutz, gegenüber SRF bestätigt.

Die Auswirkungen eines Super-GAUs wären «nicht vergleichbar etwa mit den Auswirkungen von einem Ereignis wie Tschernobyl», beruhigt Scharding. Dies auch, weil die Reaktoren in Saporischschja seit längerer Zeit heruntergefahren sind und demzufolge bei einem Unfall weniger radioaktives Material freigesetzt würde.

Dennoch: «Wir sind besorgt», sagt Scharding. Die Schweiz sei aufgrund der Lage in «intensivem Kontakt mit Partnern wie der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA sowie den umliegenden Ländern». Man könne zudem auf radiologische Daten von mehr als 5'000 Messstationen in ganz Europa zugreifen. «Zudem untersuchen wir, wie sich im Ernstfall die Radioaktivität verbreiten würde, mit sogenannten Ausbreitungsrechnungen», erklärt Scharding zu SRF.

Im schlimmsten Fall zwei Tage Vorbereitungszeit

Diese Berechnungen hätten ergeben, dass sich Luftmassen aus der Ukraine meistens nicht in Richtung Schweiz bewegen würden. Dies passiere nur in 20 Prozent der Fälle – und selbst dann blieben der Bevölkerung rund zwei Tage Vorbereitungszeit.

Im Fall eines Unfalls, bei dem Radioaktivität freigesetzt wird, würde die Bevölkerung von den Behörden informiert werden. Scharding beruhigt: «Wir gehen davon aus, dass es keine unmittelbaren Massnahmen zum Schutz der Bevölkerung bräuchte. Also kein Aufenthalt im Haus oder in einem Schutzraum, ganz sicher keine Einnahme von Jodtabletten.»

Das musst du über Jodtabletten wissen

  • Jodtabletten kommen zum Einsatz, wenn zu viel radioaktives Jod in der Luft ist, etwa nach einem Störfall in einem AKW. Bei entsprechenden Messwerten wird die Einnahme auch bei einer Atomexplosion im Ausland angeordnet.
  • Jodtabletten sättigen die Schilddrüse mit nicht radioaktivem Jod. Dadurch verhindern sie, dass sich radioaktives Jod ansammelt und Schilddrüsenkrebs verursacht.
  • An alle Menschen, die sich regelmässig im Umkreis von 50 Kilometern zu einem der Schweizer Kernkraftwerke aufhalten, werden alle zehn Jahre Jodtabletten verteilt. Dies geschah zuletzt 2014. Damals wurden 4,9 Millionen Menschen versorgt. Wer seine Jodtabletten verloren oder verlegt hat, kann sie im Umkreis von 50 Kilometer um ein Schweizer Kernkraftwerk für fünf Franken in Apotheken und Drogerien nachkaufen.
  • Für die Bevölkerung in allen anderen Gebieten halten die Kantone ausreichend Jodtabletten vor, die innert zwölf Stunden ab Anordnung verteilt werden können.
  • Jodtabletten schützen nicht vor direkter radioaktiver Strahlung oder anderen radioaktiven Substanzen wie Cäsium und Strontium. Im Fall eines Nuklearereignisses gibt die Nationale Alarmzentrale (NAZ) Verhaltensanweisungen.

Womit die Bevölkerung aber rechnen müsste, wären Einschränkungen im Bereich Lebensmittel. So könnten Ernte- und Weideverbote ausgesprochen werden. Zudem würden Importgüter intensiver auf radioaktive Kontamination hin untersucht.

Russische Soldaten haben offenbar Teile des AKW Saporischschja vermint.
Russische Soldaten haben offenbar Teile des AKW Saporischschja vermint.
-/AP/dpa