Kernkraftwerk vor dem Kollaps So will Cassis den Super-GAU in Saporischschja verhindern

Von Andreas Fischer

30.5.2023

IAEA warnt vor Gefahren rund um das Kernkraftwerk Saporischschja

IAEA warnt vor Gefahren rund um das Kernkraftwerk Saporischschja

STORY: Der Chef der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA, Rafael Grossi, hat vor einer zunehmend unberechenbaren Lage rund um das von Russland betriebene ukrainische Atomkraftwerk Saporischschja gewarnt. Grossi hatte die grösste Nuklearanlage Europas zuletzt im März besucht, um mit beiden Seiten über ein Sicherheitsabkommen für den Betrieb des Kraftwerks zu sprechen. Die allgemeine Situation rund um das Atomkraftwerk werde nun zunehmend unberechenbar und potenziell gefährlich, sagte Grossi auf der Website der Agentur. Er sei sehr besorgt über die sehr realen Risiken für die nukleare Sicherheit und die Sicherung des Kraftwerks. Grossi sprach diese Warnung angesichts jüngster Evakuierungen in der nahe gelegenen Stadt Enerhodar aus, die der von Russland eingesetzte Gouverneur angeordnet hatte. Als Begründung war zunehmender Beschuss durch ukrainische Truppen angegeben worden.

07.05.2023

Das ukrainische AKW Saporischschja wird seit seiner Besetzung durch Russland immer wieder beschossen. Aussenminister Ignazio Cassis will beim UN-Sicherheitsrat die reale Gefahr eines Atomunfalls eindämmen.

Von Andreas Fischer

30.5.2023

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Die Lage am ukrainischen Kernkraftwerk Saporischschja bleibt nach der russischen Besatzung brandgefährlich. Immer wieder kommt es nach Kampfhandlungen zu Stromausfällen, die das Kühlsystem gefährden.
  • Europas grösstes Atomkraftwerk steht laut Betreiber an der Schwelle eines nuklearen und Strahlungsunfalls.
  • Aussenminister Ignazio Cassis will im UN-Sicherheitsrat dafür sorgen, dass die Sicherheitsprinzipien eingehalten werden und ein Super-GAU vermieden wird.

Im Krieg Russlands gegen die Ukraine ist die Gefahr einer nuklearen Katastrophe ziemlich real – selbst wenn Wladimir Putin keine Atomwaffen einsetzt. Wegen der Kämpfe rund um das ukrainische Atomkraftwerk Saporischschja und mehrfachen Beschusses ist international die Sorge vor einem Atomunglück gross.

Aussenminister Ignazio Cassis hat deswegen am Dienstag eine Sondersitzung des UN-Sicherheitsrates in New York City geleitet. Sein Ziel ist es, die Gefahr einen Super-GAU in Europas grösstem Kernkraftwerk zu vermeiden.

Bundesrat Cassis steht wegen der Sicherheitslage am grössten Kernkraftwerk Europas seit Monaten mit dem Generaldirektor der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO), Rafael Marino Grossi, in engem Kontakt. Die Sicherheit von zivilen Kernkraftwerken in Konfliktregionen ist für die Schweiz ein zentrales Thema, wie das Schweizer Aussendepartements (EDA) mitteilte.

Cassis will alle involvierten Parteien zur Einhaltung der nuklearen Sicherheitsprinzipien der IAEO ermutigen. Die wurden seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine wiederholt missachtet: Das AKW Saporischschja stehe an der Schwelle eines nuklearen und Strahlungsunfalls, warnt der ukrainische Betreiber Ukrenerho.

Kämpfe in der Nähe des Atomkraftwerks haben wiederholt für Unterbrechungen in der Stromversorgung gesorgt und Ängste vor einer potenziellen Katastrophe geschürt. Hier sind die wichtigsten Fragen und Antworten zur Sicherheitslage am AKW Saporischschja.

Was macht das AKW Saporischschja so gefährlich?

Das Atomkraftwerk Saporischschja ist das grösste in Europa und wurde zu Beginn des Angriffskrieges auf die Ukraine von russischen Truppen besetzt. Die Anlage befindet sich in unmittelbarer Nähe der Frontlinie bei der russisch besetzten Stadt Enerhodar im Südosten der Ukraine. Kampfhandlungen sind eine direkte Gefahr für das Kernkraftwerk, ein nuklearer Unfall hätte weitreichende humanitäre und ökologische Konsequenzen nicht nur für die Ukraine, sondern auch für den europäischen Kontinent. «So kann es nicht weitergehen. Wir spielen mit dem Feuer», hatte IAEO-Chef Grossi kürzlich gemahnt.

Wie gut sind Atomkraftwerke vor militärischen Angriffen geschützt?

Die Reaktoren selbst sind «recht gut geschützt», sagte Expertin Astrid Sahm der «Wirtschaftswoche», als das AKW Saporischschja von der russischen Armee besetzt wurde. Ein Beschuss würde «nicht so leicht» zu einem Super-GAU führen. Die Reaktoren werden durch dicke Betonkuppeln geschützt und haben auch Beschuss durch Panzer und Artillerie standgehalten.

Wie ist die derzeitige Lage am AKW Saporischschja?

Die sechs Reaktoren sind zwar seit Monaten abgeschaltet, doch brauchen sie Strom und Fachpersonal, um wichtige Kühlsysteme und andere Sicherheitsfunktionen zu betreiben. Weil sie selbst keinen Strom produzieren, müssen die Kühlkreisläufe mit Strom von auswärts betrieben werden. Für Notfälle gibt es Dieselgeneratoren, die aber nur einen begrenzten Zeitraum überbrücken können.

Was sind die grössten Gefahren für das AKW Saporischschja?

Der grösste Unsicherheitsfaktor sind menschliche Fehler durch überlastete Mitarbeiter, die seit mehr als einem Jahr unter extremem Bedingungen arbeiten. Psychologischer Druck und moralische Erschöpfung sind für die Arbeitssicherheit abträglich.

Ein weiteres grosses Risiko ist es, wenn Brennstäbe nicht mehr gekühlt werden können, weil die externe Stromversorgung unterbrochen ist. Dies ist zuletzt wieder häufiger vorgekommen. Der ukrainische Kraftwerksbetreiber Ukrenerho machte für den jüngsten Vorfall am 22. Mai den Beschuss durch russische Truppen für die Unterbrechung verantwortlich. Unabhängig überprüfen lässt sich das nicht.

Mit Agenturmaterial.

«Ich bin extrem besorgt über die sehr realen Sicherheitsrisiken», sagte IAEA-Chef Grossi nach einer Inspektion über die Lage am AKW Saporischschja.
«Ich bin extrem besorgt über die sehr realen Sicherheitsrisiken», sagte IAEA-Chef Grossi nach einer Inspektion über die Lage am AKW Saporischschja.
Bild: Uncredited/AP/dpa