Rechtsstaatliches Dilemma Das Parlament will Terroristen auch bei drohender Folter ausschaffen

SDA

19.3.2019 - 10:36

Thomas Minder (parteilos/SH) plädierte im Ständerat für die Ausschaffung von Terroristen in Folterstaaten.
Thomas Minder (parteilos/SH) plädierte im Ständerat für die Ausschaffung von Terroristen in Folterstaaten.
Source: KEYSTONE/ALESSANDRO DELLA VALLE

Die Schweiz darf niemanden in ein Land ausschaffen, in dem ihm Folter droht. Das Parlament will diesem Grundsatz nun eine Ausnahme für Terroristen hinzufügen – wie das verfassungsgerecht umgesetzt werden soll, ist aber unklar. 

Laut zwingendem Völkerrecht und Bundesverfassung darf niemand in einen Staat ausgeschafft werden, in dem ihm Folter droht. Nach dem Nationalrat hat nun aber auch der Ständerat für eine Ausnahmeklausel gestimmt. Mit 22 zu 18 Stimmen bei 1 Enthaltung überwies die kleine Kammer am Dienstag den Vorstoss von Nationalrat Fabio Regazzi (CVP/TI) an den Bundesrat – gegen den Willen seiner Kommission.

Die Mehrheit befand, es dürfe nicht sein, dass selbst Terroristinnen und Terroristen nicht ausgeschafft werden könnten, weil ihnen in der Heimat Folter oder die Todesstrafe drohten. Thomas Minder (parteilos/SH) argumentierte, es sei an Absurdität nicht zu übertreffen, wenn ein souveräner Staat einen Landesverweis aus völkerrechtlichen Gründen nicht vollziehen könne.

Auch Martin Schmid (FDP/GR) sprach sich für den Vorstoss aus. Er plädierte allerdings dafür, diesen innerhalb der Schranken der Bundesverfassung umzusetzen. Der Bundesrat sieht hierfür indes keinen Spielraum.

Zum Folterknecht machen

Die Gegnerinnen und Gegner warnten vergeblich vor den Folgen. Kommissionssprecherin Pascale Bruderer (SP/AG) räumte ein, dass es sich um ein Dilemma handle. Verurteilte Terroristen, die nach Verbüssung ihrer Strafe in der Schweiz blieben, stellten eine potenzielle Gefahr für die Öffentlichkeit dar. Würde die Schweiz sie ausschaffen, würde sie aber gegen das Non-Refoulement-Prinzip verstossen – und sich sich selber zum Folterknecht machen.

Andrea Caroni (FDP/AR) versicherte, er habe ein gewisses Verständnis für den Frust darüber, dass Täter nicht ausgeschafft werden könnten. Doch: Mit einer Ausweisung in Folterstaaten würde die Schweiz den Rechtsstaat verraten. «Wir foltern nicht, und wir lassen auch nicht foltern», sagte Carroni. Er rief dazu auf, die höchsten Werte nicht im blinden Eifer gegen die blinden Eiferer zu zerstören – «damit wir nicht eines Tages werden wie sie».

Andere Lösungen finden

Justizministerin Karin Keller-Sutter empfahl dem Rat ebenfalls, die Motion abzulehnen. Die Sicherheit der Bevölkerung habe oberste Priorität, sagte sie. «Wir müssen uns aber auch an die Grenzen des Rechtsstaates halten.»

Bei den fünf Irakern, die in den Medien immer wieder als Beispiel genannt würden, sei klar, dass ihnen die Todesstrafe drohe, je nachdem auch Folter. Daher sei es im Moment nicht möglich, diese Personen zurückzuschieben. «Mich ärgert das auch», sagte Keller-Sutter. Es gelte aber, andere Lösungen zu finden.

Hausarrest geplant

Keller-Sutter wies auf die geplanten präventiv-polizeilichen Massnahmen zur Terrorismusbekämpfung hin. Dazu gehören Massnahmen gegen Personen, die wegen terroristischer Straftaten verurteilt worden sind und nach der Verbüssung ihrer Haftstrafe weiterhin ein Sicherheitsrisiko darstellen, aber nicht ausgeschafft werden können.

Der Bundesrat schlägt vor, dass die Polizei solche Personen ohne Strafverfahren unter Hausarrest stellen oder ihnen den Zugang zu einem bestimmten Gebiet verbieten darf. Keller-Sutter liess durchblicken, dass die Vorlage nach der Vernehmlassung noch verschärft werden könnte.

Ausnahme bei Gefahr

Nun muss sich der Bundesrat aber auch mit der Umsetzung der angenommenen Motion befassen. Gemäss dem Motionstext soll ein Artikel des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge dem Artikel in der Bundesverfassung zum Rückweisungsverbot vorgehen, der auch in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verankert ist.

Im Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge ist festgehalten, dass sich ein Flüchtling nicht auf das Ausweisungsverbot berufen kann, wenn er als Gefahr für die Sicherheit des Aufenthaltsstaats angesehen werden muss.

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