Erste Folgen des gescheiterten Rahmenabkommens «Jedes achte Medizintechnik-Produkt könnte wegfallen»

lpe, sda

28.5.2021

Eine Angestellte der Firma Ypsomed füllt Pen-Nadeln in eine Verpackungsmaschine in Burgdorf in Bern ab. Ypsomed hat wegen des auslaufenden Abkommens bereits einen neuen Standort in der EU aufgebaut. 
Eine Angestellte der Firma Ypsomed füllt Pen-Nadeln in eine Verpackungsmaschine in Burgdorf in Bern ab. Ypsomed hat wegen des auslaufenden Abkommens bereits einen neuen Standort in der EU aufgebaut. 
Keystone/Christian Beutler

Mit dem Scheitern des Rahmenvertrags endet auch ein wichtiges Abkommen für die Schweizer Medizintechnik-Branche. Dies hat finanzielle und bürokratische Folgen, aber auch solche auf die medizinische Versorgungsqualität der Schweiz, warnt der Verband.

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28.5.2021

Am Mittwoch verkündete der Bundesrat, dass die Verhandlungen über das Rahmenabkommen gescheitert sind. Für die Schweizer Medizinalbranche bedeutete dies, dass gleichzeitig auch ihr wichtiges bilaterales Abkommen mit der EU endgültig auslief.

Seit dem 26. Mai sei die Schweiz wieder zum «Drittstaat» zurückgestuft, teilte der Branchenvertreter Swiss Medtech in einer Medienmitteilung am Mittwoch mit. Er vertritt Hersteller unterschiedlichster Medizinalprodukte, so zum Beispiel Hörhilfen, Spritzen oder Diagnosegeräte für Spitäler und Praxen. Die Schweizer Medizinalbranche verliert laut Mitteilung ihren privilegierten Zugang zum EU-Markt und müsse darum wieder erhöhte Anforderungen erfüllen. 

Neu müssen Schweizer Unternehmen einen Firmenbevollmächtigten in einem EU-Land ernennen und die Produkte nach den EU-Vorschriften kennzeichnen. Das kostet: Rund 114 Millionen Franken plus jährlich wiederkehrend 75 Millionen wird die Branche für die Umstellung aufbringen müssen, schätzt der Verband. 

Umfragen würden zudem zeigen, dass künftig als Konsequenz jedes achte Medizinprodukt in der Schweiz nicht mehr verfügbar sein werde, warnt Swiss Medtech.

Seit zwei Jahren auf den Ernstfall vorbereitet

Unvorbereitet sei die Branche aber nicht. Schon 2018 habe die EU klargemacht, dass es auf Ebene der bilateralen Abkommen keine Anpassungen gebe, solange man sich nicht über das Rahmenabkommen einig sei, schreibt Swiss Medtech. «Unsere Empfehlung an die Schweizer Medtech-Branche lautete deshalb schon vor zwei Jahren: Wer den Warenexport in die EU lückenlos und unabhängig von der politischen Situation EU-Schweiz sicherstellen will, muss sich auf die Eventualität ‹Drittstaat› vorbereiten», wird Peter Biedermann, Geschäftsleiter von Swiss Medtech, zitiert.

Doch schwerer als der finanzielle Aufwand gewichtet Swiss Medtech den Attraktivitätsverlust. Präsident Beat Vonlanthen befürchtet einen Exodus von Medtech-Firmen ins Ausland. Auch Start-ups würden sich in Zukunft wohl eher in der EU niederlassen. Der administrative Mehraufwand sei zu verkraften, der internationale Konkurrenzkampf hingegen nicht zu unterschätzen.

Ypsomed würde nicht nochmals in der Schweiz starten

Die ersten Firmen haben ihren Fokus bereits Richtung Ausland gerichtet, darunter die Firma Ypsomed. Der Burgdorfer Medizinaltechniker hat in Deutschland eine eigene Produktionsstätte eröffnet. Seit 2019 produziert Ypsomed im norddeutschen Schwerin Injektionspens und Infusionssets, unter anderem für Diabetes-Kranke. Ypsomed habe in den letzten drei Jahren vorsorglich sämtliche ihrer rund 100 Produkte in der EU rezertifizieren lassen, sagt sein CEO Simon Michel dem Blick. In Zukunft wollen sie zwar in der EU stärker ausbauen, aber trotzdem an den beiden Schweizer Standorten festhalten. «Unsere rund 1300 Schweizer Mitarbeitenden sind zu gut, als dass wir auf sie verzichten möchten», sagt Michel der Zeitung. Würden sie aber nochmals von null starten, würden sie dies wohl nicht nochmals in der Schweiz tun.

Swiss Medtech forderte schon seit Wochen eine Übergangslösung bis 2024, um weitere solche Abgänge zu verhindern. Laut Präsident Vonlanthen fielen so immerhin etwa 90 Prozent der Produkte noch unter die bisherige Regulierung. Eine solche Gnadenfrist habe die EU auch für andere Länder eingeführt, zum Beispiel Mexiko. Die EU-Kommission hat zwar Ende März signalisiert, dass sie einer solchen Lösung nicht abgeneigt sei. Die gestrige Ankündigung des Bundesrats ist jedoch einer Einigung zuvorgekommen. 

Die Medizinaltechnik ist die erste, aber wohl nicht die letzte Branche, die das Scheitern der Verhandlungen zum Rahmenabkommen zu spüren bekommt. Die EU nutzt die Erosion weiterer bilateralen Abkommen nach wie vor als Drohkulisse. Als weitere Bereiche, die bald von Einschränkungen betroffen sein könnten, werden der Strom, der Datenschutz, aber auch die Luftfahrt und der Import von Agrarprodukten gehandelt.