EU macht Druck, Schweiz will Zeit schinden Keine Entspannung zwischen Schweiz und EU in Sicht

bs, sda

21.11.2021 - 13:31

Zwar konnte die Funkstille überwunden werden, doch die Schweiz und die EU sind sich über das weitere Vorgehen nicht einig. (Symbolbild)
Zwar konnte die Funkstille überwunden werden, doch die Schweiz und die EU sind sich über das weitere Vorgehen nicht einig. (Symbolbild)
Keystone/Gaetan Bally

Vor sechs Monaten hat die Schweiz die Verhandlungen zum Rahmenvertrag mit der EU abgebrochen – Funkstille war die Folge. Mittlerweile spricht man wieder miteinander, doch nach Entspannung sieht es nicht aus.

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Der Besuch von Aussenminister Ignazio Cassis bei EU-Kommissar Maros Sefcovic am letzten Montag war das erste offizielle Treffen seit dem Verhandlungsabbruch am 26. Mai zum institutionellen Rahmenabkommen. Es ist ein gutes Zeichen, dass man wieder miteinander spricht – mehr aber auch nicht. Denn nach Deeskalation sieht es aktuell nicht aus.

Zwar wollen sich die beiden am Wold Economic Forum (WEF) Mitte Januar 2022 in Davos wieder treffen und eine Zwischenbilanz ziehen. Doch über was genau, ist nicht ganz klar geworden.

EU will die Schweizer Wahlen nicht abwarten

So möchte die Schweiz nun erst einmal eine gemeinsame Agenda definieren. Für die Schweizer Regierung eilt es nicht, denn im Herbst 2023 sind eidgenössische Wahlen. Bis dahin dürften die meisten Parteien wenig Lust haben, sich am «heissen» EU-Dossier die Finger zu verbrennen.

Sefcovic hingegen drückt aufs Tempo: Er liess durchblicken, dass die EU nicht bis zu den Schweizer Wahlen warten will. Vielmehr fordert er für Davos einen Fahrplan zur Lösung der für die EU wichtigen Fragen wie Rechtsübernahme, Streitbeilegung, Staatsbeihilfe und einen regelmässigen Kohäsionsbeitrag.



Schweiz in der Defensive

Damit ist die Schweiz in die Defensive geraten. Denn während Brüssel klare Forderungen stellt, weiss die Schweiz noch immer nicht, was sie genau will.

Der Bundesrat muss deshalb endlich seine Führungsrolle wahrnehmen und eine klare inhaltliche Klärungen vornehmen. Zudem muss er die Mehrheit der Kantone und der Parteien sowie die wichtigsten Verbände hinter sich vereinen. Nur so wird es Bern gelingen, gegenüber Brüssel selbstbewusst aufzutreten und zu kommunizieren, was die Schweiz will – und was nicht.

Diese Konsolidierung muss jedoch in absehbarer Zeit geschehen. Gelingt es nicht, wird dies in Brüssel als absichtliche Verzögerung verstanden und weitere Gegenreaktionen auslösen.

Denn seitens der EU hat sich die Ausgangslage nicht verändert – trotz Verhandlungsabbruch: Die institutionellen Fragen bleiben auf dem Tisch. Zu wichtig ist für die EU die Integrität ihres Binnenmarktes. Er ist der Kitt, der dieses fragile Gebilde – geschwächt durch den Brexit und interne Kämpfe – zusammenhält.

Gescheiterter Druckversuch aus Brüssel

Doch auch Brüssel muss seinen Beitrag leisten. Es muss aufhören mit der politischen Verknüpfung verschiedener Dossiers, die inhaltlich nichts miteinander zu tun haben: etwa die Aktualisierung des Medizintechnikbereichs mit Fortschritten beim Rahmenabkommen oder eine Assoziierung der Schweiz am Forschungsabkommen «Horizon Europe» mit Marktzugangsfragen.

Diese von Martin Selmayr, damals Kabinettschef von EU-Kommissar Jean-Claude Juncker, entwickelte Verknüpfungs-Strategie ist gescheitert und hat ihren Teil zur Eskalation beigetragen.

Mittlerweile schwindet gar in pro-europäischen Kreisen in der Schweiz das Verständnis für die von Brüssel immer neuen politischen Verknüpfung – so zuletzt jene von «Horizon Europe», zumal andere Drittstaaten wie die Türkei und Moldau bereits voll assoziiert sind.

Die EU-Kommission muss zudem begreifen, dass am Schluss die Stimmberechtigten über ein künftiges Abkommen Schweiz-EU befinden werden. Ein Abkommen, reduziert auf die institutionellen Fragen, wird aber kaum Chancen haben. Vielmehr wird der Bundesrat aufzeigen müssen, warum dieses auch der Schweiz Vorteile bringen wird. Dazu braucht er gute Argumente, etwa in Form eines Stromabkommen.

Deeskalation nur gemeinsam möglich

Mit der bedingungslosen Freigabe der Kohäsionsmilliarde durch das Parlament in der Herbstsession hat die Schweiz nun einen ersten Schritt in Richtung Deeskalation gemacht. Denn ursprünglich hatte das Parlament Bedingungen an die Freigabe geknüpft gehabt.

Auch wenn die EU sich auf den Standpunkt stellt, dieses Geld stehe ihr sowieso zu, muss sie den Willen zur Deeskalation anerkennen. Es ist nun an ihr, ebenfalls einen Schritt auf die Schweiz zuzugehen. Beispielsweise könnte sie mit den Verhandlungen zu «Horizon Europe» beginnen. Nur so, Schritt um Schritt, lässt sich die Negativspirale durchbrechen.

Doch danach sieht es aktuell nicht aus. Vielmehr beharrt die EU-Kommission dogmatisch auf ihrem Standpunkt. Und in der Schweiz gibt es keine Anzeichen, vorwärts machen zu wollen. Die Beziehung Schweiz-EU dürfte damit wohl noch eine Weile angespannt bleiben – zum Schaden beider.