KircheVertrauensverlust und hohe Kosten – Locher-Skandal weitet sich aus
tafu
22.6.2020
Der Kirchenskandal um den zurückgetretenen ESK-Präsidenten Gottfried Locher zieht nicht nur massive Vertrauensverluste nach sich, auch verursacht er hohe Kosten – darunter eine Abfindung für Locher.
Der Skandal um Gottfried Locher hat enorme Ausmasse angenommen und scheint sich zur grössten Krise der Evangelisch-reformierten Kirche der Schweiz (EKS) zu entwickeln. Der Rat der EKS hatte gegen den inzwischen zurückgetretenen Präsidenten eine externe Untersuchung wegen Grenzverletzungen, sowohl sexueller als auch psychischer Art, eingeleitet. Auch Machtmissbrauch wurde Locher vorgeworfen.
Erstmals wurden die Vorwürfe gegen Locher durch eine Frau laut, die sich im November 2019 an Esther Gaillard, Vize-Präsidentin des EKS, wandte, und die Vorfälle von vor zehn Jahren geschildert hatte.
An der Synode in der vergangene Woche kam ein weiteres pikantes Detail ans Licht: Die zur Behandlung der Angelegenheit eingesetzte Sabine Brändlin, Mitglied im EKS-Rat, hatte obendrein im vergangenen Oktober eine Affäre mit Locher. Brändlin verliess den Rat Ende April, Locher trat Ende Mai zurück.
Fehlendes Problembewusstsein
Laut einem Brief, den der Aargauer Kirchenpräsident Christoph Weber-Berg nach Berichten vom «Blick» an die Mitglieder der Synode verschickte, sei allerdings die private Verbindung Brändlins zu Locher nicht der alleinige Grund für den Rücktritt der Rätin gewesen. Auch wollte sie die umgehende Suspendierung Lochers aufgrund der Vorwürfe erreichen. Doch ihre Ratskollegen wollten nicht so weit gehen.
Und so wirft Weber-Berg nun der Kirchenspitze vor, die Affäre zwischen Locher und Brändlin in den Fokus zu rücken und dabei das eigentliche Problem aus den Augen zu verlieren. «Mein Eindruck ist: Dem Rat fehlt es an Problembewusstsein», erklärt er gegenüber «Blick».
Aus einem Bericht der Geschäftsprüfungskommission (GPK), der sich auf mehrere Anhörungen der Beteiligten stützt, gingen ausserdem weitere interessante Details zum Fall Locher hervor. Er sehe sich als Teil einer «inszenierten Intrige» und habe versucht, die Veröffentlichung der Vorwürfe zu unterbinden. Trotzdem habe Locher eine Abfindung erstritten – auf welche Summe sich diese beläuft, ist unklar. Laut Bericht liege sie aber deutlich unter dem Betrag, der «bis zum Ende der Amtszeit geflossen wäre». Gottfried Locher verdiente noch vor zwei Jahren rund 220’000 Franken pro Jahr.
Skandal treibt Kosten in die Höhe
Weiter wird durch den GPK-Bericht deutlich: Die Kirche sieht sich mit einem handfesten Skandal konfrontiert. Neben einem massiven Vertrauensverlust innerhalb des Rates seien die Kosten des Streits immens. Allein bis Ende Mai seien mindestens 200’000 Franken Auslagen angefallen.
Welche Summe die Kirche der Skandal am Ende kosten wird, ist ungewiss. Klar ist aber: Für die externe Untersuchung ist eine Zürcher Anwaltskanzlei beauftragt worden – ein ziemlich grosser Posten auf der Rechnung. Bezahlen müssen diese am Ende die zwei Millionen Reformierten der Schweiz durch ihre Kirchensteuern.
Die Kirchenführung möchte inzwischen bereits wieder zur Tagesordnung gehen. «Nach einer Beschwerde und zwei Rücktritten in den letzten Monaten stehen nun die ordentlichen Geschäfte und Traktanden wieder im Mittelpunkt der Ratsarbeit unter dem Vizepräsidium von Esther Gaillard und Daniel Reuter» heisst es in einer Medienmitteilung der EKS. Doch von Klärung kann zum jetzigen Zeitpunkt wohl kaum die Rede sein.