«Knapp» kein Härtefall Mann wird nach 28 Jahren in der Schweiz des Landes verwiesen

Von Jennifer Furer

25.8.2020

Ein Mann aus dem Libanon kassiert einen Landesverweis – obwohl er in der Schweiz einen Sohn hat.
Ein Mann aus dem Libanon kassiert einen Landesverweis – obwohl er in der Schweiz einen Sohn hat.
Keystone

Ein 49-jähriger Mann aus dem Libanon muss die Schweiz nach 28 Jahren verlassen. Das entschied das Zürcher Obergericht. Grund: Er verstiess gegen das Betäubungsmittelgesetz. 

2,5 Jahre Freiheitsstrafe kassierte ein Mann aus dem Libanon vom Bezirksgericht Zürich im Oktober 2019, weil er Drogen erzeugt, besessen sowie verkauft haben soll. Die Hälfte der Strafe musste der Mann im Gefängnis absitzen, die andere Hälfte wurde bedingt unter Anordnung einer Probezeit von vier Jahren ausgesprochen.

Zudem verhängte das Bezirksgericht eine Busse von 1'000 Franken und sprach einen Landesverweis von fünf Jahren aus. Die Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz ist eine Katalogstraftat, die automatisch einen Landesverweis nach sich zieht – ausser es liegt ein Härtefall vor.

Einen solchen machte der Mann, der seit 28 Jahren in der Schweiz lebt und hier einen 7-jährigen Sohn hat, jetzt vor dem Zürcher Obergericht geltend.

Zweimal Job verloren

Um zu eruieren, ob tatsächlich ein Härtefall vorliegt, sah sich die zweite Instanz die Lebensgeschichte des Mannes nochmals an. Sie zeichnet diese in einem neu veröffentlichten schriftlichen Urteil nach: Mit 19 Jahren kam der heute 49-Jährige zum ersten Mal in die Schweiz. Sein Asylgesuch wurde jedoch abgelehnt.

Drei Jahre später heiratete der Mann im Libanon eine Schweizerin und reiste 1992 erneut ein. 1996 wurde die kinderlose Ehe geschieden. Aus einer zweiten Partnerschaft, die von 1998 bis 2016 dauerte, entsprang sein heute 7-jähriger Sohn.

Das Zürcher Obergericht schreibt weiter, dass der Mann aus dem Libanon angibt, bis 2006 ununterbrochen in der Schweiz in der Gastronomie gearbeitet zu haben. Zweimal habe er seinen Job verloren, beide Male rutsche er in die Illegalität ab, konsumierte und verkaufte Drogen.

Strenge Religiosität

Die Kinderunterhaltsbeiträge von 580 Franken habe er nicht zu bezahlen vermocht. Um sich beim RAV oder der Sozialhilfe zu melden, habe er keine Kraft gehabt. Der Kontakt zu seinem Sohn bestehe kaum mehr, so das Zürcher Obergericht.

Nachdem der 49-Jährige aus der Untersuchungshaft entlassen wurde, trat er eine neue Arbeitsstelle an. Mit der Kindsmutter habe er sich versöhnt, er telefoniere inzwischen wöchentlich mit seinem Sohn und treffe ihn monatlich.

Zu seiner Familie im Libanon unterhält der Mann kaum mehr Kontakt, hält das Zürcher Obergericht fest. Grund sei die strenge Religiosität. Die Mutter unterstütze er aber und zu seinem kleinen Bruder habe er wegen dessen vier Kinder etwa einmal im Monat Kontakt.

Kontakt mit Sohn per Telefon oder Skype möglich

Trotz seines Sohnes, der neuen Arbeitsstelle und des losen Kontakts zu seiner Familie im Libanon wird der 49-Jährige nun fünf Jahre der Schweiz verwiesen. Das Zürcher Obergericht schreibt, dass es nicht von einer ausgeprägten Bindung zur Schweiz und folglich zu einer besonderen Verwurzelung des Mannes zum Land ausgeht – zumindest nicht bis zu seiner Inhaftierung.

«Seine Partnerschaften zerfielen und er kümmerte sich weder um seinen Sohn noch bezahlte er Unterhaltsbeiträge», so das Zürcher Obergericht. Das Kindeswohl sei daher nicht gefährdet, befände sich der Vater im Libanon. Kontakt per Telefon oder Skype sei weiterhin möglich.

Ausserdem kenne der 49-Jährige die Kultur und Gebräuche sowie die Sprache «seines Heimatlandes», da er seine Kindheit und Teil seines Erwachsenenlebens dort verbracht hat.

«Ein langjähriger Aufenthalt oder familiäre oder private Verhältnisse bilden keinen Freipass für Straftaten.»

Mit seinen beruflichen Kenntnissen in der Gastronomie und als Koch könne er sich zudem im Libanon eingliedern, so das Zürcher Obergericht. Familiäre und soziale Bindungen zum Libanon lägen ausserdem vor – trotz des Faktes, dass er keine gute Beziehung zu seiner Familie dort pflegt und seit 1992 nur dreimal in den Libanon gereist ist.

«Eine Landesverweisung bewirkt dem Beschuldigten (…) durchaus eine gewisse Härte», so das Zürcher Obergericht. «Ein schwerer persönlicher Härtefall (…) liegt aber – knapp – nicht vor.»

Es sei Fakt, dass der Gesetzgeber eine gewisse Strenge verlangt. «Zudem bilden ein langjähriger Aufenthalt oder familiäre oder private Verhältnisse keinen Freipass für Straftaten», schreibt das Zürcher Obergericht weiter.

Die Interessen des Beschuldigten an einem Verbleib in der Schweiz seien nicht als hoch zu gewichten. Diesen steht das Sicherheitsbedürfnis der Schweiz gegenüber. Das Zürcher Obergericht stellt fest, dass der 49-Jährige zwischen September 2018 und Januar 2019 insgesamt 124 Gramm reines Kokain verkauft hat. «Damit gefährdete er die Gesundheit vieler Menschen.»

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