Beihilfe zu SuizidMinelli bleibt freigesprochen – weil Staatsanwaltschaft Frist versäumt
Von Jennifer Furer
20.8.2020
Ludwig A. Minelli wurde vom Bezirksgericht Uster vom Vorwurf der mehrfachen Beihilfe zu Suizid freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft zog das Urteil weiter. Verhandelt wird nun aber doch nicht mehr.
Von einem Pilotprozess war die Rede, als Dignitas-Gründer Ludwig A. Minelli sich im Juni 2018 vor dem Bezirksgericht Uster unter anderem wegen mehrfacher Beihilfe zum Suizid verantworten musste. Die zentrale Frage, welche die Staatsanwaltschaft beantwortet sehen wollte: Ist das Geschäftsmodell der Sterbehilfeorganisation Dignitas gesetzeswidrig?
Nein, befand der Einzelrichter in Uster. Er sprach Minelli vom Vorwurf der mehrfachen Beihilfe zum Suizid frei. Sterbehilfe sei in der Schweiz grundsätzlich legal, so der Einzelrichter in seiner Urteilsbegründung damals. Auch Geld dafür zu verlangen, sei erlaubt. «Ein Gewinnstreben im Geschäft mit dem Tod darf es aber nicht geben», so der Richter.
Bei Minelli sei dies nicht der Fall gewesen. Er habe nicht aus «selbstsüchtigen Beweggründen» gehandelt, entschied der Richter.
Staatsanwaltschaft wollte Freispruch anfechten
Das sah die Staatsanwaltschaft anders. Dies, weil Suizidwillige Beträge von über 100’000 Franken an den Verein Dignitas überwiesen hatten – weit mehr, als dem Verein an Kosten für eine Sterbebegleitung entstehen. Die Staatsanwaltschaft stützte ihre Anklage auf drei Fälle aus den Jahren 2003 und 2010, bei denen sich Minelli bereichert haben soll.
Die Anklage beantragte eine Geldstrafe von 360 Tagessätzen zu 180 Franken, was einer Geldstrafe von 64’800 Franken entspricht. Zudem verlangte sie eine Busse von 7’500 Franken und die Übernahme der Verfahrenskosten in Höhe von rund 20’000 Franken. Für die Geldstrafe wurde der bedingte Vollzug bei einer Probezeit von zwei Jahren beantragt.
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Nicht verwunderlich also, zog die Staatsanwaltschaft den Schuldspruch an die nächste Instanz, das Zürcher Obergericht, weiter. Sie meldete noch im Juni 2018 Berufung an.
2020 sollte die Berufungsverhandlung vor dem Zürcher Obergericht stattfinden. Wegen der Coronakrise fragte das Obergericht die Parteien an, ob diese mit einer schriftlichen Durchführung des Berufungsverfahrens einverstanden sind. Es gab keine Einwände.
Schriftliche Begründung zu spät eingetroffen
Die Staatsanwaltschaft wurde darauf aufgefordert, ihren Weiterzug des Urteils ans Zürcher Obergericht schriftlich zu begründen – innert einer Frist von 20 Tagen. Sollte bis dato keine schriftliche Eingabe erfolgen, werde die Berufung als zurückgezogen angesehen, so das Obergericht.
Die Staatsanwaltschaft beantragte darauf gleich zwei Fristerstreckungsgesuche. Das erste wurde bewilligt. Das zweite jedoch erreichte das Gericht zu spät, wie es in einem eben erst veröffentlichten Urteil heisst.
Am 15. Juni 2020 hätte das zweite Fristerstreckungsgesuch beim Gericht eingehen sollen. Es sei aber erst zwei Tage später, am 17. Juni, per internem Kurierdienst eingetroffen. Datiert war es aber dennoch auf den 15. Juni.
Minelli erhält Entschädigung
Laut Gesetz muss ein Fristerstreckungsgesuch am Tag der Frist bei der Strafbehörde oder bei der Post abgegeben werden. Die Staatsanwaltschaft begründete die verspätete Abgabe damit, dass das Sekretariat das Fristerstreckungsgesuch anstatt der Post dem internen Kurierdienst übergeben hat.
Keine Entschuldigung für das Zürcher Obergericht, wie es im Urteil weiter heisst. Verschulden von Hilfspersonen der Partei werden laut Gesetz wie eigenes Verschulden angerechnet.
Da die Staatsanwaltschaft die Frist versäumt hat, wird das Verfahren nun eingestellt, das Urteil des Bezirksgericht Uster ist somit rechtskräftig. Zudem wird Minelli eine Prozessentschädigung von knapp 2’600 Franken zugesprochen, so das Zürcher Obergericht in seinem Urteil. Dieses kann vor Bundesgericht angefochten werden – innert 30 Tagen.