Experte zu Zürcher Strassenblockade«Mit Lavendelduft und netten Worten funktioniert das nicht»
Von Andreas Fischer
20.6.2023
Renovate Switzerland kleben sich auf Zürcher Autobahnausfahrten
Klimaaktivistinnen und -aktivisten haben am Montagmorgen gleich zwei Autobahnausfahrten in der Stadt Zürich blockiert, die Ausfahrt Zürich-West sowie jene in Zürich-Wiedikon. Die Stadtpolizei ist vor Ort. Der Rückstau an beiden Orten ist beträchtlich.
19.06.2023
Das Klimaschutzgesetz wurde gerade angenommen, trotzdem blockieren Aktivisten zwei Strassen in Zürich und verärgern viele Menschen. Was läuft da schief? «Nichts», ordnet Polit-Analyst Mark Balsiger die Aktion ein.
Von Andreas Fischer
20.06.2023, 06:00
20.06.2023, 12:48
Von Andreas Fischer
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Renovate Switzerland hat am Montag zwei Autobahnausfahrten in Zürich blockiert: Just am Tag nach dem Ja zum Klimaschutzgesetz.
Die Strassenblockaden der Klimaaktivisten könnten sich rächen, weil die Anzahl der Unterstützer schwindet, sagt Polit-Analyst Mark Balsiger zu blue News.
Allerdings seien die Aktionen weiterhin wichtig, um in der Bevölkerung das Bewusstsein zu schärfen, dass uns der Klimawandel Jahrzehnte beschäftigen und belasten wird.
Renovate Switzerland kündigt weitere Protestaktionen an.
Für je rund eine Stunde blockierten Klimaaktivisten am Montagmorgen zwei Autobahnausfahrten in Zürich. Es war die erste Aktion von Renovate Switzerland, bei der zwei Verkehrsachsen gleichzeitig blockiert wurden. Dass die Aktion nur einen Tag nach der Annahme des Klimaschutzgesetzes durch das Stimmvolk stattfand, kam für viele überraschend. Für die Aktivistinnen und Aktivisten sei das Ja zum Klimagesetz hingegen «erst ein halber Schritt».
Dass die Klimaschutz-Aktivist*innen ihren Kurs weiter radikalisieren, könnte kontraproduktiv für ihr Anliegen sein, erklärt Polit-Analyst und Buchautor Mark Balsiger blue News. «Schon im Vorfeld der Abstimmung zum Klimaschutzgesetz waren einzelne Akteure in der Ja-Allianz unglücklich über die Blockaden. Dies, weil sie eine Abstrafung an der Urne befürchteten.»
Aktivist*innen haben ein grundsätzliches Problem
Diese Befürchtungen haben sich nicht bewahrheitet, aber: «Je radikaler der Auftritt, desto kleiner wird die Anzahl Supporter», sagt Balsiger. «Wer bei Renovate Switzerland mitwirkt, tut es aus tiefer innerer Überzeugung. Diese Leute könnten sonst nicht mehr in den Spiegel schauen.»
Die Strassenblockade am Morgen nach dem Abstimmungssonntag ergebe Sinn. Mit den Aktionen wolle Renovate Switzerland möglichst viel mediale Aufmerksamkeit generieren, so Balsiger. «Dies mit dem Ziel, ihr Anliegen in der Bevölkerung bekannter zu machen, mehr Druck aufzubauen und neue Mitglieder zu gewinnen.»
Bei der Debatte über Sinn und Unsinn der Aktionen, verlieren viele Medien aus den Augen, worum es den Klimaaktivist*innen eigentlich gehe. «Die Aktivisten haben grundsätzlich ein Problem, weil medial vor allem über die Blockaden berichtet wird, aber kaum mehr über den Inhalt.»
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Konkrete Vorschläge helfen mehr als Blockaden
«Tatsache ist», erklärt Balsiger, «dass viele Leute die Stossrichtung immer noch nicht kennen: Die vielen schlecht isolierten Gebäude in der Schweiz verursachen einen enormen CO2-Ausstoss. Mit der Sanierung könnte man ihn massiv reduzieren. Bislang beträgt die Sanierungsquote pro Jahr aber nur etwa 1 Prozent – das dauert viel zu lange. Die Forderung nach Umschulung von Bauleuten ist ein konkreter Vorschlag».
Die Aktivist*innen könnten laut Balsiger für Goodwill sorgen, wenn sie ihre Anliegen zusammen mit Fachleuten in Sekundar- und Gewerbeschulen tragen würden. «Sie sollten dort informieren, worauf es bei den neuen Berufsgattungen ankommt. Wenn die Gebäude innerhalb weniger Jahre saniert werden sollen, braucht es Zehntausende von Arbeitskräften, die das möglich machen.»
Vielen Menschen sei «offensichtlich noch immer nicht bewusst, wie es um das Klima steht», merkt Balsiger an. Allein der Gedanke, das eigene Verhalten zu hinterfragen oder gar zu verändern, liege ausserhalb des Vorstellbaren. Renovate Switzerland wolle diese Leute wachrütteln. «Mit Lavendelduft und diplomatisch formulierten Sätzen funktioniert das aus ihrer Sicht nicht», macht Balsiger deutlich.
«Ziviler Ungehorsam ermöglicht Veränderungen»
Renovate Switzerland kündigt derweil weitere Proteste an. In einer Mitteilung heisst es: «Nach der Abstimmung zum Klimaschutzgesetz sind gewaltfreie Aktionen notwendiger denn je.» Auf eine Nachfrage von blue News hat die Protestgruppe bis zur Publikation dieses Textes nicht reagiert.
«Mit dem Ja zum Klimaschutzgesetz ist das Thema nicht vom Tisch», ordnet Mark Balsiger die Ansage von Renovate Switzerland ein. «Es wird uns über Jahrzehnte beschäftigen und belasten. Entsprechend will Renovate Switzerland am Ball bleiben.»
Zwar würden die Aktionen von Renovate Switzerland bei den einen für Ärger sorgen, bei anderen aber auf Verständnis stossen. «Zivilen Ungehorsam gibt es schon seit Langem, und dank ihm wurden immer wieder Veränderungen möglich», macht Balsiger deutlich. In den Siebzigerjahren sei etwa der Bau des Atomkraftwerks Kaiseraugst mit monatelangen Blockaden verhindert worden: «Die Haltung gegen AKW ist längst Mainstream geworden.»