Nach Brand in Moria Städte machen Druck, Hunderte demonstrieren

tsha/aka/SDA

10.9.2020

Hunderte Menschen protestieren am Donnerstag in Bern gegen die Zustände in den griechischen Flüchtlingscamps – auch SP-Nationalrätin Tamara Funiciello macht mit (l.).
Hunderte Menschen protestieren am Donnerstag in Bern gegen die Zustände in den griechischen Flüchtlingscamps – auch SP-Nationalrätin Tamara Funiciello macht mit (l.).
Keystone/Alessandro della Valle

Der Brand im Flüchtlingslager Moria hat Tausende Menschen obdachlos gemacht. «Die Schweiz kann und soll mehr tun», finden jetzt acht Städte  – und fühlen sich vom Bund im Stich gelassen. Kabarettistin Patti Basler bietet derweil ihre Gästewohnung an.

Mehr als 12'000 Menschen lebten im Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos. Platz gibt es nur für weniger als 3'000 Geflüchtete. In der Nacht auf Mittwoch brannte das Flüchtlingslager komplett nieder, Tausende sind seitdem ohne Obdach.

Viele Schweizerinnen und Schweizer wollen den Menschen helfen. Schätzungsweise 300 Menschen haben am Donnerstag an einer Kundgebung in Bern die Evakuierung von Flüchtlingslagern gefordert. Es brauche die Aufnahme von Flüchtlingen in der Schweiz. Doch um diese Frage ist ein politischer Streit entbrannt.

Ganz konkret ist das Hilfsangebot der Stadt Bern: Man wolle 20 Geflüchtete aus Moria aufnehmen, teilte deren Gemeinderat bereits gestern mit. «Im Moment brennt es in Lesbos. Und wenn ein Haus brennt, muss man die Leute evakuieren, schauen, wo man sie unterbringen kann. Schauen, was sie zu essen kriegen», sagte Franziska Teuscher, Mitglied der Berner Stadtregierung, gegenüber SRF.



Die Stadt Zürich fordert zudem eine nationale Konferenz zur Direktaufnahme von betroffenen Flüchtlingen. Es liege jetzt am Bund, das Angebot der Aufnahme von Menschen aus Moria zu nutzen und zu handeln, teilte die Stadt Zürich am Donnerstag mit.

Städte: «Die Schweiz kann und soll mehr tun»

Auch die Städte Lausanne, Basel, Luzern, Winterthur, Genf und St. Gallen erklären sich bereit, Geflüchtete aufzunehmen. Warum? «Die Schweiz kann und soll mehr tun», schreiben sie in einem Mediendossier. Und weiter: «Auch wenn die schweizerische Asylpolitik eine gemeinsame Aufgabe von Bund, Kantonen und Gemeinden ist, so erfolgt die eigentliche Integration in den schweizerischen Alltag auf Ebene der Städte und Gemeinden.»

Übernahme von 400 Minderjährigen aus Moria in EU

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Emmanuel Macron wollen in einer gemeinsamen Aktion mit anderen EU-Ländern 400 unbegleitete Minderjährige übernehmen. Die Zahl gilt nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur für alle teilnehmenden Länder – wie viele Flüchtlinge Deutschland übernehmen würde, stehe noch nicht fest, hiess es. (sda)

Die Städte würden dabei eine besondere Rolle spielen: Seit jeher würden sie als traditionelle Ankunftsorte vieler Migrantinnen und Migranten eine Vorreiterrolle übernehmen. Und zwar, indem sie fortschrittliche und innovative Ansätze zur besseren Integration erprobten und in die Praxis umsetzten.

Grünen-Parteichef Balthasar Glättli befürwortet diese Initiative der Städte und fordert den Bund via Twitter auf, mehr Geflüchtete aufzunehmen. Glättli hat dazu auch einen Vorstoss geschrieben.

«Wenn jede Gemeinde der Schweiz eine Familie aufnimmt, ist Moria leer»

Auch Kabarettistin Patti Basler meldet sich mit einem ungewöhnlichen Vorschlag zu Wort: «Wenn jede Gemeinde der Schweiz eine Familie aufnimmt, ist Moria leer», schreibt sie auf Twitter – und bietet ihre Gästewohnung als Unterkunft an. Inklusive Seitenhieb auf den als Asyl-Hardliner bekannten SVP-Nationalrat Andres Glarner (AG).

Auf die Frage, ob eine Lösung des Dramas so einfach sein könnte und ob sie ihre Gästewohnung nun für Geflüchtete bei der Gemeinde melde, sagt Basler zu «Bluewin»: «Es ist eine absichtlich naive Rechnung, weil die Dringlichkeit des Problems momentan keine nachhaltigen Lösungen zulässt.»

Bund will Zelte, Decken und Schlafsäcke schicken

Nicht geäussert hat sich bislang der Bund. Das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) lässt gemäss «SRF» in Sachen Vor-Ort-Hilfe verlauten, man sei mit den griechischen Behörden im Kontakt. Aussenminister Ignazio Cassis schreibt derweil auf Twitter, die Regierung wolle mit Hilfsgütern wie Zelten, Decken und Schlafsäcken die Not der Menschen lindern. 

Für mehrere Schweizer Hilfsorganisationen wie Seebrücke Schweiz, Rise against borders und auch für die Juso Zürich ist das zu wenig. «Wir sind wütend und fordern die sofortige Evakuierung aller Lager!», heisst es in einer gemeinsamen Erklärung. «Wir fordern: Sofortige Aufnahme! Evakuiert die Lager – Wir haben Platz!» Für den heutigen Donnerstag sind in mehreren Städten Demonstrationen angekündigt.

Die Schweiz war bislang einzig im Mai aktiv geworden: Damals wurden 23 unbegleitete minderjährige Asylsuchende UMA direkt aus Griechenland in die Schweiz eingeflogen.

War es Brandstiftung?

Unterdessen bringt die griechische Regierung junge Flüchtlinge von Lesbos aufs Festland. Etwa 400 Minderjährige, die ohne Begleitung ihrer Eltern unterwegs sind, wurden am Mittwochabend und am Donnerstag in die Hafenstadt Thessaloniki geflogen. Die deutsche Bundesregierung streitet derweil noch, ob sie Flüchtlinge aus Moria aufnehmen soll. Während Entwicklungsminister Gerd Müller forderte, 2'000 Menschen nach Deutschland zu bringen, fordern andere Teile der Regierung eine Lösung auf EU-Ebene.

Wie es zu den Bränden in Moria kam, ist noch nicht geklärt. Das griechische Migrationsministerium macht inoffiziell aber radikale Migranten für die Katastrophe verantwortlich. Am Donnerstag veröffentlichte das Ministerium eine schriftliche Erklärung mit den Worten: «Erpressungstaktiken werden nicht akzeptiert.»

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