Altbundesräte kämpfen gegen 13. AHV-Rente «Die Briefaktion zeigt, dass die Nervosität gross ist»

Von Gil Bieler

7.2.2024

Wenn gleich fünf ehemalige Bundesratsmitglieder gegen die 13. AHV-Rente kämpfen, zeuge das von grosser Besorgnis der bürgerlichen Parteien. Das sagt Politologe Lukas Golder. Die Aktion könnte aber durchaus wirken.

Von Gil Bieler

7.2.2024

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Die Gegner*innen einer 13. AHV-Rente fahren schwere Geschütze auf: Sie verschicken einen Massenbrief an die Bevölkerung, den mehrere ehemalige Bundesratsmitglieder unterschrieben haben.
  • Die Altbundesräte Adolf Ogi, Pascal Couchepin und Co. appellieren an die ältere Generation, ein Nein einzuwerfen. 
  • Diese Aktion sei aussergewöhnlich und könnte die Meinung von Teilen der Bevölkerung durchaus beeinflussen, sagt Politologe Lukas Golder im Gespräch mit blue News. 
  • Der Co-Leiter des Forschungsinstituts GFS Bern rechnet mit einem knappen Rennen am 3. März. Entschieden werde dieses wohl in der politischen Mitte. 

Es ist ein Wahlkampfcoup der Gegner*innen einer 13. AHV-Rente: Dieser Tage erhalten die Senior*innen im Land einen Brief, unterzeichnet von gleich mehreren ehemaligen Bundesratsmitgliedern. Ihre eindringliche Botschaft: Am 3. März müsse man Nein stimmen zu der Volksinitiative, denn die Schweiz könne sich einen solchen AHV-Ausbau nicht leisten.

In der Deutschschweiz unterzeichneten das Schreiben die Altbundesräte Adolf Ogi (SVP) und Johann Schneider-Ammann (FDP) sowie Altbundesrätin Doris Leuthard (CVP, heute Mitte-Partei). In der Westschweiz beteiligen sich auch Pascal Couchepin (FDP) und Joseph Deiss (CVP, heute Mitte-Partei) an der Aktion. Darüber berichtete am Mittwoch «20 Minuten» als Erstes.

Welchen Einfluss kann diese Kampagne auf das Abstimmungsergebnis haben? Auf Anfrage von blue News sagt Politologe Lukas Golder: «Es ist auf jeden Fall ein Ereignis, das zu reden gibt und die Menschen interessiert.»

«Die Altbundesräte springen in die Breschen»

Das bürgerliche Nein-Lager nutze «die kommunikative Sonderstellung, die Altbundesrätinnen und Altbundesräte innehaben». Denn amtierende Mitglieder der Landesregierung übten sich im Abstimmungskampf traditionell in Zurückhaltung, die zuständige Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider sogar in zweifacher Hinsicht: Zum einen dürfte sie als SP-Politikerin der 13. AHV-Rente wohl auch etwas abgewinnen können, zum anderen sei sie noch neu im Innendepartement. «Da springen die Altbundesräte jetzt in die Bresche. Das ist ein cleverer Umgehungstrick.»

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Auffällig ist, dass Altbundesrat Christoph Blocher als Absender fehlt. Weil der SVP-Doyen polarisiert? Er wisse zu wenig darüber, wie die Kampagne zustande gekommen sei, räumt Golder ein. «Blocher ist aber ein gutes Beispiel dafür, wie Altbundesräte aktiv Politik betreiben.» Mit dem Brief sollten jedoch wohl vor allem eher ältere Menschen angesprochen werden, die politisch ungebunden seien.

Die Briefaktion könnte den Abstimmungsausgang durchaus beeinflussen, glaubt Golder. «Es könnte knapp werden, und da spielen solche Einzelereignisse eine Rolle.»

Umfragen zeigen Ja-Trend

Die Umfragen zeigten zuletzt eine Zustimmung von 60 bis 70 Prozent. Eine Erhebung des Forschungsinstituts GFS Bern, dessen Co-Leiter Golder ist, kam Ende Januar ausserdem zum Schluss, dass die Meinungsbildung weit gediehen ist: Nur drei Prozent der Befragten gaben an, dass sie betreffend der 13. AHV-Rente noch unschlüssig seien.

Dennoch sei das Rennen noch nicht gelaufen, sagt Golder. «Bei Initiativen beobachten wir häufig, dass die Probleme einer Vorlage – im vorliegenden Fall die von den Altbundesräten angesprochenen Kosten einer 13. AHV-Rente – erst im Verlauf der öffentlichen Debatte in den Vordergrund treten.»

Zu Beginn stehe dagegen nur die grundlegende Idee einer Vorlage im Fokus. Aus diesem Grund sinke auch häufig die Zustimmung, je länger über eine Initiative diskutiert werde.

Golder glaubt, dass der Urnengang vom 3. März in der politischen Mitte entschieden wird. «Bei jenen Menschen, die politisch nicht fest an eine Partei gebunden sind. Und bei diesen spielt das Portemonnaie am Ende oft die entscheidende Rolle.»

«Initiativen haben dann die grössten Chancen, wenn der Problemdruck hoch ist.»

Lukas Golder gfs.bern

Lukas Golder

Politologe und Co-Leiter von GFS Bern

«Die Briefaktion zeigt, dass die Nervosität im bürgerlichen Lager gross ist», sagt Golder. In den letzten Jahren hätten auch vermehrt Anliegen aus dem links-grünen politischen Lager an der Urne reüssieren können.

Der Politologe nennt die klar angenommene Pflegeinitiative oder die Konzernverantwortungsinitiative als Beispiele, wobei Letztere nur am Ständemehr gescheitert ist. Zur Erinnerung: Eine knappe Mehrheit von 50,7 Prozent der Bevölkerung sagte zwar Ja zur Konzernverantwortungsinitiative, aber keine Mehrheit der Kantone. Das reichte für die Ablehnung des Anliegens. 

Könnte auch die 13. AHV-Rente am Ständemehr scheitern? «Das wird erst dann zum Thema, wenn ein Negativtrend einsetzt und es zu einer Pattsituation von fast 50:50 Prozent kommt», glaubt Golder.

Ja-Lager muss auf hohen Problemdruck hoffen

Die Befürworter*innen der 13. AHV-Rente müssten nun gegen den typischen Prozess des Meinungsumschwungs ankämpfen, sagt der Politologe. «Initiativen haben dann die grössten Chancen, wenn der Problemdruck hoch ist, wenn also viele Menschen das Gefühl haben: Jetzt muss man etwas machen.»

Das Ja-Lager müsse das Kernproblem, dass viele Rentner*innen unter den steigenden Lebenskosten zu leiden hätten, in den Vordergrund stellen und verhindern, dass über die Tücken der Umsetzung diskutiert werde. «Ich bin extrem gespannt, wie es dieses Mal herauskommt», sagt der Politexperte zum anstehenden Abstimmungssonntag.

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